Neue Untersuchung Tarifkonflikte verschärfen sich deutlich

Streikende Lokführer vergangene Woche in München: Im Schnitt verlangten Gewerkschaften zuletzt zwischen 4 und 5,3 Prozent mehr Lohn – bei zwölf Monaten Laufzeit
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Bundesweit eskaliert derzeit der Tarifstreit zwischen Lokführern und Deutscher Bahn. Zumindest in Berlin und Brandenburg wiederum könnten Verbraucher heute die Auswirkungen eines Warnstreiks im Einzelhandel zu spüren bekommen – betroffen sind laut Gewerkschaft Ver.di unter anderem Rewe, Kaufland, Ikea, Galeria Karstadt Kaufhof und Hennes & Mauritz.
Solche Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften sind in den ersten Monaten dieses Jahres einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge deutlich schärfer ausgefallen als noch im Vorjahr.
»Die Konfliktbereitschaft hat im ersten Halbjahr 2021 spürbar zugenommen«, heißt es. Nach zurückhaltenden Tarifverhandlungen im ersten Coronajahr 2020 sei 2021 die Lohnentwicklung wieder in den Mittelpunkt der Tarifverhandlungen gerückt.
Corona-Zurückhaltung wird abgelegt
Die Lohnforderungen der Gewerkschaften lagen demnach zwischen 4 und 5,3 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. »Im Fokus stand und steht nun stärker, wie die Leistungen der Beschäftigten während der Pandemie angemessen honoriert werden können«, heißt es weiter.
Da die verschiedenen Branchen jedoch unterschiedlich durch die Pandemie betroffen waren, »ergeben sich vor allem dort Spannungen, wo die Unternehmen auf ihre schlechte wirtschaftliche Situation hinweisen, die Gewerkschaften aber nicht länger zum Lohnverzicht bereit sind«.
Bei den Tarifabschlüssen an sich zeigten sich die Gewerkschaften dann aber laut dem Bericht des arbeitgebernahen Forschungsinstituts »eher zurückhaltend«. So verzichteten viele Arbeitnehmerbünde auf prozentuale Gehaltserhöhungen und akzeptierten stattdessen Coronaprämien, die teils sogar erst 2022 ausgezahlt werden.
Inflation treibt Gehaltsforderungen
Für den Rest des Jahres rechnen die IW-Experten nicht mit Entspannung: So sei die Situation in den Tarifverhandlungen der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer mit der Bahn festgefahren, ebenso wie im Einzelhandel und im Bankgewerbe. Auch die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst bergen demnach Konfliktpotenzial.
Angesichts der hohen Inflationsrate sei weiterhin mit höheren Lohnforderungen der Arbeitnehmer zu rechnen. »Damit dürfte sich der im ersten Halbjahr beobachtbare Trend einer zunehmenden Konfliktbereitschaft auch im zweiten Halbjahr 2021 fortsetzen«, erklärten die Experten.
Das IW analysierte im Rahmen seines »Konfliktmonitorings« 14 zentrale Tarifverhandlungen im ersten Halbjahr 2021. In der Erhebung werden regelmäßig die Tarifverhandlungen in 20 Branchen aus allen Bereichen der Volkswirtschaft ausgewertet. Die Konfliktintensität – vom IW errechnet aus verschiedenen Eskalationsstufen wie Streikankündigungen, Urabstimmungen und Warnstreiks – erreichte im ersten Halbjahr 2021 demnach einen Punktestand von 8,4 und damit beinahe den langjährigen Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2020 (neun Punkte).
Im Jahr 2020 hatte die durchschnittliche Konfliktintensität lediglich 2,3 Punkte betragen, da sich die Gewerkschaften im Rahmen der Coronapandemie insbesondere auf Beschäftigungssicherung konzentriert hatten. 2019, dem letzten Jahr vor der Coronapandemie, hatte die Konfliktintensität laut IW bei 10,3 Punkten gelegen.