Kartellermittlungen gegen deutsche Autoindustrie Dobrindts Dilemma

Erst mal ermitteln - so die Devise von Verkehrsminister Dobrindt nach dem Dieselgate. Nach der SPIEGEL-Enthüllung zum Autokartell geht die Taktik nicht mehr auf, zumal weitere Details der Manipulationen ans Licht kommen.
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU)

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU)

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Beinahe wäre die Strategie von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt aufgegangen: den Dieselskandal bis zur Bundestagswahl auszusitzen. Dann hätte sich sein Nachfolger darum kümmern müssen, den Schlamassel um manipulierte Abgassysteme aufzuräumen.

Doch erst fielen die Preise für Dieselautos in den vergangenen Monaten so stark, dass die Branche in Panik geriet und den Minister zur Einberufung eines nationalen Diesel-Gipfels drängte - mitten in den parlamentarischen Sommerferien am 2. August. Und jetzt bricht über die deutschen Herstellern auch noch die Enthüllung des SPIEGEL über den Kartellskandal herein.

Über Nacht steht der CSU-Minister im Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit: Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Dobrindt die Zuständigkeit für den Dieselskandal zu entziehen. Dem CSU-Minister fällt es nun zugleich zu, zu retten, was vom angeblichen Saubermann-Image der deutschen Autobauer noch zu retten ist. Ein Dilemma.

Bei dem Dieselskandal ging es um die Gesundheit der Bürger, die durch hohe Stickoxidkonzentrationen in den Innenstädten gefährdet wird und um getäuschte Verbraucher. Durch die Kartellvorwürfe steht zusätzlich der Verdacht im Raum, dass neben den Kunden auch Zulieferer, ausländische Konkurrenten und auch die Aufsichtsbehörden seit Jahren an der Nase herumgeführt wurden.

Ausgerechnet durch jene Branche, die sich als so etwas wie die Deutschland-AG versteht: unantastbarer Jobmotor, weltweiter Technologie-Exporteur, Innovationsmaschine der Nation. Das Image implodiert, und wer, wenn nicht der Verkehrsminister soll es richten?

Am Wochenende versuchte Dobrindt einmal mehr, mit dem Ruf nach Aufklärung den Druck von seinem Amt zu nehmen. "Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben. Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen."

Kalt erwischt

So hat er es schon nach Ausbruch des VW-Skandals im September 2015 versucht: erst mal ermitteln. Auch jetzt, fast zwei Jahre später, sind Dobrindt und seine Leute wieder einmal kalt erwischt worden. In diesem Fall durch die Titelgeschichte des SPIEGEL. Seine Beamten waren gerade dabei, den Diesel-Gipfel vorzubereiten. Noch am Freitag saßen sie mit dem Verband der Deutschen Autoindustrie (VDA) zusammen und diskutierten die technischen und rechtlichen Fragen der Nachrüstung dreckiger Diesel-Pkw.

In der Hauruckaktion sehen die Konzerne die einzige Chance, Fahrverbote in den Innenstädten aufzuhalten. VW, Porsche, Audi, BMW und Daimler sicherten Dobrindt Nachbesserungen sowohl bei Euronorm-5- als auch Euronorm-6-Fahrzeugen zu. Dobrindts Leute waren überrascht, wie konzessionsbereit die großen fünf deutschen Konzerne geworden sind.

Die Fünf werden in den nächsten Tagen noch mehr einknicken. Sie müssen mehr Konzessionen machen, Demut zeigen. Denn Dobrindt will auf dem Diesel-Gipfel Ergebnisse präsentieren. In diesem Punkt könnte ihm die Kartellaffäre ganz gelegen kommen.

Andererseits kann Dobrindt immer weniger seine alte Strategie anwenden, im Schongang mit den Autokonzernen zu verfahren, so wie er es seit Ausbruch von Dieselgate getan hat: Der Christsoziale hatte sich dazu entschlossen, Volkswagen und auch den anderen Herstellern nicht die Typgenehmigung für ihre Autos zu entziehen, obwohl diese mit Abschalteinrichtungen in ihrer Software die Abgasreinigung reduziert haben.

Er hat ihnen das Argument des Motorenschutzes frei Haus geliefert. So konnten sie sich herausreden aus einer Reihe von EU-Verordnungen, die in ihrer rechtlichen Aussage eigentlich Klartext sprechen: Abschalteinrichtungen sind illegal.

Helfer für die Gesichtswahrung der Konzerne

Auch Strafen hat er nicht verhängt, obwohl er sich mit ein bisschen juristischer Kreativität auch dort in den Paragraphen des deutschen und europäischen Rechts bedienen hätte können. Dobrindt beließ es bei freiwilligen Rückrufaktionen der Hersteller, was nichts anderes bedeutete als eine Gesichtswahrung für die Autokonzerne, die sich dem Vorwurf der Gesundheitsgefährdung und des Betrugs ausgesetzt haben. In den letzten Wochen zeigt Dobrindt ungekannte Härte. Er zitierte den Audi-Chef Rupert Stadler ins Ministerium, machte öffentlich, dass dessen Konzern bei der Luxuslimousine A8 eine "unzulässige Abschalteinrichtung" verwendet habe.

Foto: SPIEGEL ONLINE

Der Minister muss mit dieser Linie jetzt weitermachen. Und er könnte schon bald einen guten Anlass haben, Härte zu zeigen. Die Prüfer des Kraftfahrtbundesamts sind gerade dabei, sowohl bei Audi als auch bei Daimler Nachweise für den Verdacht zu erbringen, dass die Konzerne die Dosierung des Stickoxid-Killers AdBlue nach der Größe des Tanks und nicht dem Bedarf für eine besonders saubere Abgasreinigung gewählt haben. Im Autokartell war es nämlich unter anderem um genau diese Frage gegangen: Wie groß sollte der Tank maximal sein, damit die ganze Reinigung nicht zu teuer würde?

Offensichtlich war den Autoherstellern klar, dass sie nur mit Schummeleien verhindern konnten, dass der AdBlue-Tank leer ist, bevor der Wagen wieder zum nächsten Service-Intervall kommt. BMW ist der einzige Hersteller, der nach den Enthüllungen vom Wochenende bestreitet, diese Dosierungsstrategie gewählt zu haben. Bei Daimler sind die Ermittlungen in dieser Sache nach Informationen des SPIEGEL schon sehr weit gediehen.

Verkehrsminister Dobrindt wird keine Gnade mit Daimler oder anderen Herstellern mehr walten lassen können, wenn seine Prüfer tatsächlich den Beweis für diese Manipulationen mit der AdBlue-Dosierung finden. Im Verkehrsministerium ist nach SPIEGEL-Informationen bislang keine Anfrage der EU-Kartellbehörden eingegangen, welche Erkenntnisse in Berlin und beim KBA in Flensburg vorliegen.

Die Ermittler der EU sollten sich bei Minister Dobrindt dringend erkundigen.

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