Klage gegen Goldman Sachs Wie der fabelhafte Fab die Wall Street narrte

Die Finanzszene steht unter Schock: Goldman Sachs soll Investoren um eine Milliarde Dollar betrogen haben. Jetzt hat die Börsenaufsicht Zivilklage eingereicht. Es geht um ein skrupelloses System des Abkassierens. Im Mittelpunkt: ein Jungstar der Bank und ein milliardenschwerer Hedgefonds-König.
Goldman-Sachs-Zentrale in New York: Die SEC ermittelt

Goldman-Sachs-Zentrale in New York: Die SEC ermittelt

Foto: BRENDAN MCDERMID/ REUTERS

Wer die nagelneue Weltzentrale von Goldman Sachs betritt, könnte meinen, dass es eine Finanzkrise nie gegeben hat. Der 230-Meter-Glasturm in Lower Manhattan ist ein Symbol der Macht und der Stärke - 2,1 Milliarden Dollar teuer, 44 Etagen hoch, allein 53 Aufzüge. Dieser Protzbau sagt: Wir sind wer.

Im Inneren gibt es monumentale Wandgemälde zu bestaunen, eine "Sky Lobby" im elften Stock, sechs Handelsräume, größer als Footballfelder, und ein 5000- Quadratmeter-Sportstudio, die "GS Wellness-Börse".

Der Glas- und Stahlklotz zeigt, dass Goldman Sachs sich als Sieger der Krise sieht. Wohl zu Recht: 2009, während die Konkurrenz noch schwächelte, machte die Bank 13,4 Milliarden Dollar Gewinn - und versechsfachte damit den Vorjahreswert.

Doch die Fahnder der US-Börsenaufsicht SEC lassen sich von all dem Glanz nicht beeindrucken. Sie interessieren sich ausschließlich für Fakten. Und was die Aufseher jetzt veröffentlicht haben, zeigt, wie skrupellos der Geldgigant hinter der Glitzerfassade möglicherweise agierte.

Mal Krimi, mal Klamotte

22 Seiten mit vernichtenden Fakten, Indizien, E-Mails und internen Memos hat die SEC in ihrer Betrugsklage gegen Goldman Sachs und einen Vizepräsidenten zusammengestellt. Das Dokument, das sich mal wie ein Krimi liest, mal wie eine Klamotte, könnte nicht nur zur Belastung für die mächtigste Firma der Wall Street werden, sondern auch die komplette Finanzbranche in Schwierigkeiten bringen.

Kritiker dürften darin ihre langgehegten Befürchtungen bestätigt sehen: Bei der Kreditkrise ging es nicht mit rechten Dingen zu - die Finanzkonzerne zockten Investoren im großen Stil ab.

Um mehr als eine Milliarde Dollar, so die SEC, habe allein Goldman die Anleger betrogen. Die Bank streitet die massiven, in dieser Form einzigartige Vorwürfe gegen einen Wall-Street-Giganten als "völlig haltlos" ab und will sich "und seine Reputation energisch verteidigen".

Tatsächlich steht für Goldman Sachs viel auf dem Spiel. Selbst wenn sich die Beteiligten auf eine Strafzahlung und eine außergerichtliche Lösung einigen, könnte der Ruf des Instituts auf Jahre beschädigt sein. Hauptziel der Bank, so schrieb Vorstandschef Lloyd Blankfein schließlich noch vorige Woche in seinem letzten Aktionärsbrief, sei es, "den Klienten zu dienen". Doch waren es gerade die Kunden, die Goldman der SEC zufolge am meisten geschröpft hat. Die Details der Affäre zerschmettern Goldmans Sauber-Image.

Im Mittelpunkt der Zivilklage , die die SEC beim New Yorker Bezirksgericht einreichte, stehen "collateralized debt obligations" (CDO). Das sind komplexe Kreditprodukte, die oft auf schwachem Fundament gebaut sind, etwa die berüchtigten Subprime-Hypotheken, die 2008 viel zum Beinahekollaps des Finanzsystems beigetragen haben.

Der "fabelhafte Fab"

Die fragliche CDO trug den Namen "Abacus 2007-AC1". Dieses "synthetische" Spekulationsvehikel war nichts anderes als ein Portfolio aus weiteren Kunstprodukten: "Credit default swaps" (CDS) - virtuelle Versicherungsverträge, mit denen sich Großbanken gegen Verluste auf dem Immobilienmarkt absicherten. CDS spielten eine zentrale Rolle beim Zusammenbruch des Versicherungsgiganten AIG. "Abacus" bündelte die windigen Papiere also zu etwas, das auf dem Papier viel besser aussah.

Gemanagt wurde "Abacus 2007-AC1" von Fabrice Tourre, einem aus Frankreich stammenden, 31-jährigen Jungstar der Bank mit dem Spitznamen "fabelhafter Fab". An ihm lag es, das Paket an die Investoren zu verhökern und dabei das meiste für Goldman herauszuholen.

Die Klage zeichnet die oft abenteuerlichen Bemühungen Tourres über Monate hinweg akribisch nach. Als stillen Partner gewann er den legendären Hedgefonds-Milliardär John Paulson, 54, der die Zusammensetzung von "Abacus" zu seinen Gunsten steuerte. Deal-Manager wurde die renommierte Finanzfirma ACA, die dem ganzen Zauber gutgläubig ihr Gütesiegel aufgedrückt habe.

Was weder ACA noch die Investoren nach Ermittlungen der SEC wussten: Paulson habe von Anfang an auf ein Scheitern des Pakets spekuliert - und das Portfolio mit Billigung Goldmans entsprechend manipuliert, indem er nur "schwache" CDS darin gebündelt habe. Er habe, so zitiert die SEC einen Mitarbeiter, auf ein "Wipeout-Szenario" gehofft.

Millionenschaden für die IKB?

Tourre, so die SEC, sei sich über Paulsons doppelte Agenda "vollkommen im Klaren" gewesen, habe sie den Klienten aber unterschlagen. Er selbst habe all das als "surreal" empfunden. "Das ganze Gebäude kann jetzt jeden Moment zusammenbrechen", zitiert die Behörde aus einer E-Mail Tourres aus dem Jahr 2007. "Einziger potentieller Überlebender, der fabelhafte Fab…, der inmitten dieser komplexen, fremdfinanzierten, exotischen Trades steht, die er erfunden hat, ohne die Bedeutung…zwangsläufig zu verstehen!!!"

"Abacus" ging im April 2007 auf den Markt. Neun Monate später, im Januar 2008, hatte das Portfolio 99 Prozent seines Werts verloren. Paulson, so die SEC, habe eine Milliarde Dollar verdient, die Investoren hätten etwas mehr verloren. Goldmans Gebühr für das kurzlebige Abenteuer betrug demnach 15 Millionen Dollar.

Einer der Hauptgeschädigten: die Düsseldorfer IKB. Die sprang nach Erkenntnissen der SEC erst auf, als ACA das "Abacus"-Paket adelte. Am Ende habe die IKB fast 150 Millionen Dollar in den Sand gesetzt. Die Bank selbst bestätigte das zunächst nicht.

Goldman-Aktie schmiert ab

Die Goldman-Aktie an der New York Stock Exchange stürzte nach der dramatischen Anklage ab: Sie verlor bis zu 13 Prozent, was zwölf Milliarden Dollar Marktkapitalisierung entspricht. Auch andere Indizes litten unter der Nachricht. Die Nachbeben waren sogar bis nach Washington zu spüren.

Denn das Timing ist pikant. Im US-Kongress entwickelt sich gerade eine neue Debatte um die von Präsident Barack Obama geplante Finanzmarktreform. Die Republikaner haben angedroht, das unter dem Druck der Wall-Street-Lobby verwässerte Gesetzespaket ganz zu blockieren. Die Klage spielt den Demokraten nun direkt in die Hände.

"Wir können nicht länger warten", schrieb Obama am Freitag in einer E-Mail. "Es ist Zeit, dass wir die großen Banken zur Rechenschaft ziehen." Ähnlich scharf äußerte er sich in seiner wöchentlichen Radio- und YouTube-Ansprache: "Die Finanzindustrie und ihre mächtige Lobby widersetzen sich selbst bescheidenen Schutzmaßnahmen gegen die leichtsinnigen Risiken und schlechten Praktiken, die zu eben dieser Krise führten."

Experten geben der Finanzreform dank der Goldman-Klage nun wieder Chancen. "Dies gab den Politikern alles, was sie brauchten", sagte Analyst Matthew McCormick (Bahl & Gaynor). "Und es wird das Vertrauen der Investoren in die Wall Street nur noch weiter erschüttern."

Weitere Klagen drohen

Zumal die SEC weitere Klagen angedroht hat. Goldman war ja nicht der einzige Konzern, der mit CDOs spekulierte: Viele andere Banken taten das, darunter Morgan Stanley und die Deutsche Bank. Auch das US-Justizministerium prüft nun Ermittlungen.

Fabrice Tourre, der "fabelhafte Fab", stolperte durch seine Leistungen zunächst einmal die Treppe hoch. Er arbeitet inzwischen als Exekutivdirektor von Goldman Sachs International in London. Nach Bekanntwerden der Klage tauchte er ab und ließ über seinen Rechtanwalt jeden Kommentar verweigern.

Für Goldman selbst, das sein bei der leidigen Bonusdebatte ramponiertes Ansehen gerade erst wieder mühsam geflickt hat, beginnt nun eine neue Runde des Rechtfertigens. Nur einer scheint ungeschoren davonzukommen - John Paulson. Die SEC hat vorerst kein Interesse an dem Multimilliardär und seiner Firma, die rund 32 Milliarden Dollar verwaltet. "Goldman war verantwortlich für die Darstellung gegenüber den Investoren", betonte SEC-Chefermittler Robert Khuzami am Freitag auf einer Tagung. "Nicht Paulson."

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