Novelle des Klimaschutzgesetzes Gutachter fordern gesetzliches Verbot von CO₂-Emissionen der Industrie

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – dieses Ziel könnte zu hohen Schadensersatzforderungen der Industrie führen. Ein neues Gutachten empfiehlt deshalb unverzüglich gesetzliche Regelungen.
Stahlproduktion im ThyssenKrupp-Werk Schwelgern

Stahlproduktion im ThyssenKrupp-Werk Schwelgern

Foto: Marcel Kusch / picture alliance / dpa

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Der Bundestag berät diese Woche über den Entwurf einer Novelle des Klimaschutzgesetzes, das eine deutliche Verschärfung der bisherigen Ziele vorsieht. Demnach soll Deutschland schon im Jahr 2045 klimaneutral sein, was bedeutet, dass ab diesem Datum kein CO₂ aus der Verfeuerung fossiler Energieträger in die Erdatmosphäre entweichen darf.

Das hat für die Wirtschaft einschneidende Folgen. Denn ab diesem Zeitpunkt darf etwa in Stahlwerken keine Kohle und in Raffinerien kein Öl verarbeitet werden, wenn dabei Treibhausgase ausgestoßen werden. Gleiches gilt für das Erdgas in den Pipelines, wenn es in der Industrie oder in Hausheizungen zu CO₂-Emissionen führt. Was aber passiert mit den alten Anlagen? Darf der Staat deren Betrieb einfach verbieten? Und wenn ja: Folgen daraus Schadensersatzansprüche der Unternehmen an den Staat?

Mit diesen brisanten Fragen setzt sich ein noch unveröffentlichtes Rechtsgutachten auseinander, das die Kanzlei Becker Büttner Held (bbh) erstellt hat. Das Ergebnis der über 200 Seiten langen Expertise, die dem SPIEGEL vorliegt: Die Bundesregierung muss schleunigst gesetzliche Vorkehrungen treffen, damit ein solches Verbot fossiler Energieträger zum 1. Januar 2045 rechtlich zulässig ist und keine Ersatzansprüche der Unternehmen nach sich zieht. Auftraggeber der Studie ist die Stiftung Klimaneutralität, deren Arbeit zur Klimaneutralität 2045 bereits im Entwurf des Klimaschutzgesetzes berücksichtigt worden ist.

In einem Brief, der dem SPIEGEL ebenfalls vorliegt, drängt der Direktor der Stiftung, Ex-Energiestaatssekretär Rainer Baake, die zuständigen Bundesminister Svenja Schulze (Umwelt, SPD) und Peter Altmaier (Wirtschaft, CDU) zum Handeln: »Gegenwärtig ist mit Blick auf die Abschreibungszeiträume der Zeitraum bis 2045 noch knapp ausreichend, um keine Entschädigungszahlungen des Staates annehmen zu müssen.«

Großinvestitionen müssen sich in 24 Jahren amortisieren

Begründet ist die Eile mit den langen Zeiträumen, in denen solche großen Investitionen normalerweise abgeschrieben werden. »Ein Unternehmen, das heute zum Beispiel einen Antrag nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes auf Genehmigung einer Anlage stellt, die mit fossilen Brennstoffen arbeitet, hat bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf unbefristete Betriebsgenehmigung«, begründen die Klimaexperten ihren Vorstoß.

Technologien, die den Einsatz fossiler Energieträger benötigen, müssten deshalb gesetzlich in ihrer Laufzeit beschränkt werden. Denn Investitionen in solche Technologien seien »ökonomisch nicht rentabel, wenn sie sich nicht innerhalb der kommenden rund 24 Jahre amortisieren«, schreiben die renommierten Umweltrechtler der Kanzlei bbh.

Bei Stahlwerken etwa ist der Abschreibungszeitraum drei bis vier Jahrzehnte und reicht damit bis weit in die Zeit nach dem geplanten Erreichen der Klimaneutralität. Noch länger ist die Spanne beim Bau von Gasnetzen. Baake weist in seinem Schreiben darauf hin, dass allein im vergangenen Jahr die Rekordsumme von 1,527 Milliarden Euro in diesen Bereich geflossen sei.

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Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Unternehmen, sondern auch die Verbraucher. »Diese Investitionen werden aufgrund von Vorgaben der staatlichen Regulierung über einen Zeitraum von wenigstens 45 Jahren abgeschrieben und die Netzentgelte entsprechend kalkuliert«, heißt es in dem Brief an die beiden Bundesminister. Die schnellere Abschreibung würde auf die Kunden umgelegt. Mit anderen Worten: Die Gaspreise steigen.

Klimaschutz als Staatsziel

Das Aus von Öl, Gas und Kohle ab 2045 müsse deshalb dringend in den Gesetzen niedergeschrieben werden, die die Verwendung dieser klimaschädlichen Stoffe regeln, etwa das Bundesimmissionsschutzgesetz oder das Gebäudeenergiegesetz. Auf diese Weise könnten spätere Ansprüche der Unternehmen vermieden werden.

Verfassungsrechtlich sehen die Gutachter keine Bedenken für ein solches Verbot der CO₂-Emissionen aus fossilen Energieträgern. »Dabei kann sich der Gesetzgeber auch auf das ›Staatsziel Umweltschutz‹ aus Artikel 20a Grundgesetz stützen, weil es ihm bei der Klimaschutzpolitik – auch im Interesse zukünftiger Generationen – um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen geht«, argumentieren die Gutachter von bbh.

Die rechtliche Regelung habe auch für die Industrie Vorteile. Sie schaffe Planungssicherheit, damit künftige Investitionen etwa eines Stahlunternehmens in einen neuen Hochofen nicht zu einem sogenannten »stranded investment« führen, also zu Fehlinvestition in eine veraltete Technologie. Denkbar wäre es, stattdessen eine Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff und nicht Kohle zu errichten.

Fossile Brennstoffe dürften nur noch verwendet werden, wenn die Anlage dennoch kein CO₂ emittiert. Das könnte durch den Einsatz von Technik geschehen, die das bei der Produktion entstehende Treibhausgas auffängt und sicher endgelagert werde. »Alternativ, indem die Anlage ausschließlich mit regenerativen Brennstoffen wie Biomethan, Wasserstoff oder synthetischem EGas betrieben wird«, schreiben die Juristen.

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