ThyssenKrupp Das Ende von Glut, Schweiß und Stahl

ThyssenKrupp: Das Ende von Glut, Schweiß und Stahl
Foto: Roland Weihrauch/ picture alliance / dpaIn den Stunden, in denen ThyssenKrupp den halben Vorstand feuert, schaut Günter Niel immer wieder auf seine Uhr: In der Schrankwand, altdeutsch, Eiche, steht dieses Monstrum aus Stahl, ganz oben sind die drei Ringe der Firma Krupp eingraviert. Niel hat die Uhr zu irgendeinem Jubiläum bekommen, lange her. Mittlerweile geht "das Ding" zehn Minuten nach. "Die Mechanik", entschuldigt Niel, "hat noch nie richtig funktioniert."
Die Uhr gleicht dem Konzern, aus dem sie stammt und der heute ThyssenKrupp heißt: massiv, aber von gestern. In Duisburg-Rheinhausen, wo der Rentner Niel seit seiner Geburt lebt, war Krupp früher das ganze Leben: Arbeitgeber und Krankenhaus, Fußballverein, Lebensmittelgeschäft und Gesangsverein. Vor allem aber war das Werk an der Kruppstraße: Zukunft.
Mit 14 unterschrieb Niel als Dreher-Azubi, 1962 war das. Sein Lehrer sagte: "Günter, dat is ne sichere Sache, da machse nix falsch!" Niels Vater arbeitete schon bei Krupp, sein Bruder, seine Schwester, die ganze Familie hing an der Firma, nicht nur in finanzieller Hinsicht. "Kruppianer zu sein", sagt Niel, "das war mehr als ein Job."

ThyssenKrupp: Niedergang eines Industrie-Giganten
Fast 20.000 Menschen waren damals an dem Standort Rheinhausen beschäftigt, hinzu kamen die Zulieferer und Auftragnehmer, der ganze Speckgürtel des Riesen. Wohnblöcke wurden gebaut, natürlich von Krupp. Es entstand ein halbes Dutzend Kinos, ein Kegelzentrum, es gab ein Theater, ein Hallenbad und einen Jugendclub. "Es ging uns gut", sagt Niel.
Trotz NS-Verwicklungen gelang der Wiederaufstieg
Als Niel bei dem Stahlkonzern einstieg, herrschte noch Alfried Krupp von Bohlen und Halbach über die Firma. Als einstige Waffenschmiede hatten die Krupps an Kriegen verdient, jüdische KZ-Häftlinge mussten in den Werken schuften. Nach dem Ende der Nazi-Zeit saß Alfried Krupp wegen "Plünderung" und Förderung von "Sklavenarbeit" mehrere Jahre im Gefängnis.
Doch es gelang dem Firmenerben, Krupp wieder zu einem angesehenen Konzern zu machen. Denn der verurteilte Kriegsverbrecher holte sich 1953 Berthold Beitz an seine Seite: einen weltgewandten, charmanten Mann, der noch dazu im Zweiten Weltkrieg Hunderten Juden das Leben gerettet hatte. Mit Beitz' Unterstützung gab Krupp die Waffenproduktion auf, produzierte stattdessen Brücken, Kräne, Fahrzeuge und Turbinen. Bereits 1959 schloss der Konzern ein Entschädigungsabkommen mit Zwangsarbeitern. Man machte wieder Geschäfte mit Krupp.
Doch der Patriarch und sein Vertrauter Beitz schworen weiter auf Stahl. Viel zu spät erkannten die Manager, welche Folgen der Strukturwandel in der Montanindustrie für das Unternehmen hat. Es machte Verluste, aber Alfried Krupp weigerte sich, Leute zu entlassen. Die Unternehmerfamilie Krupp hatte stets Wert darauf gelegt, Fürsorge für die "Kruppianer" zu leisten. Im Gegenzug forderte sie Loyalität ein.

ThyssenKrupp: Industrielegende im Ruhrgebiet
Mit Alfried Krupp starb 1967 der letzte persönliche Inhaber des Konzerns. Doch er hatte vorgesorgt. Sein Vertrauter Beitz wurde Testamentsvollstrecker und damit der neue starke Mann bei Krupp. Er führte die Firma im Sinne Alfried Krupps weiter. Beitz gelang es, neue Geldgeber ins Boot zu holen.
Plötzlich tauchte ein Manager neuen Schlages auf
Doch in den Siebzigern bekam der Konzern immer heftiger die Schwankungen der Stahlkonjunktur zu spüren. Stellen wurden gestrichen, Personal abgebaut, Anfang der Achtziger ging Günter Niel dann in den Betriebsrat, er wollte sich den Entscheidungen des Managements nicht mehr vollständig ausgeliefert fühlen. 1987 begann die Auseinandersetzung, die Rheinhausen bundesweit zu einem Sinnbild werden ließ.
Als die Arbeiter damals monatelang gegen die drohende Schließung des Stahlwerks protestierten, zeigten sie Deutschland, wie hartnäckig eine Belegschaft um ihre Stellen kämpfen konnte. Seit jener Zeit haftete dem Begriff Rheinhausen so etwas wie ein Mythos an. Wo immer im Lande Malocher ihre Arbeitsplätze bedroht sahen, fehlte nicht der Hinweis: "Dann geht es hier zu wie in Rheinhausen." Am Ende wurde das Werk trotzdem geschlossen.
Damals traf der Betriebsrat Niel auch auf den Vorstandsvorsitzenden Gerhard Cromme, einen Manager neuen Typs. Anders als die Ruhrbarone vergangener Zeiten sei der stets kühl-kalkulierend vorgegangen, erinnert sich Niel. "Menschen und deren Schicksale haben Cromme nie interessiert." Im Gegensatz dazu sei Berthold Beitz derjenige gewesen, der sich als Hüter der Krupp'schen Tradition verstanden habe - und damit auch als Bewahrer eines menschlichen Umgangs zwischen den Patriarchen und ihren Werksangehörigen.
Als der menschenscheue Alfried Krupp den galanten Beitz an seine Seite holte, wunderten sich viele über das ungleiche Gespann. Ähnlich war es, als der väterliche Beitz dann den kühlen Manager Cromme förderte. Seit den achtziger Jahren bestimmt nun das Männergespann die Geschicke des Konzerns. Beitz als Vorsitzender der mächtigen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Cromme zuerst als Vorstandschef, seit 2001 als Aufsichtsratschef.
Wieder bestimmt ein Männergespann die Geschicke des Konzerns
Cromme und Beitz - die beiden brauchen einander. Beitz ist für die Arbeiter das Symbol für die Krupp'sche Tradition. Er gibt ihnen das Gefühl, dass noch etwas geblieben ist vom fürsorglichen Familienkonzern. Als Vorsitzender der Krupp-Stiftung wacht Beitz über den Konzern und tritt im Ruhrgebiet als großzügiger Spender auf.
Doch die Rolle des Wohltäters und Grandseigneurs kann Beitz nur wahren, weil Cromme lange dafür sorgte, dass die Zahlen bei Krupp halbwegs stimmten. Der Manager fusionierte den Stahlkonzern 1992 mit Hoesch, um das Überleben in der hart umkämpften Branche zu sichern. 1999 folgte der Zusammenschluss mit dem viel größeren Konkurrenten Thyssen zur ThyssenKrupp AG.
Auch während des Stahlkampfs um Rheinhausen hatte Cromme Beitz den Rücken freigehalten und die Rolle des harten Sanierers übernommen. Das Werk in Rheinhausen machte er dicht, der letzte Abstich war im August 1993, "am Fuffzehnten", weiß Niel. Er wurde in die Lehrwerkstatt versetzt, noch knapp zehn Jahre, dann schied Günter Niel mit 55 Jahren aus, Frührentner. Seither beobachtet er den Niedergang seiner Heimatstadt Rheinhausen. Eingemeindet ins chronisch klamme und strukturschwache Duisburg, ging es abwärts, die Einzelhändler in der Fußgängerzone wichen Solarien und Handyshops. Die Arbeitslosigkeit liegt bei elf Prozent und das Hallenbad ist auch zu.
Auch in den Villensiedlungen von Krupp lässt sich an vielen Stellen die glanzvolle Krupp'sche Vergangenheit nur noch erahnen. Viele der prächtigen Häuser im Englischen Landhausstil wurden für Direktoren und Betriebsführer erbaut. Nun verfallen sie.
Und noch etwas ist aus der guten alten Zeit geblieben: Der Konzern leistete sich zuletzt noch teure Jagdreviere in Österreich und Deutschland - mit zum Teil repräsentativen Jagdhäusern, diversen Fahrzeugen und Berufsjägern, berichtete das manager magazin. Vor Jahren schoss Beitz demnach einen mächtigen 22-Ender.
Und noch immer residiert Beitz, mittlerweile 99 Jahre alt, in der schloßartigen Villa Hügel in Essen, dem Stammsitz der Krupps. Von dort zieht er die Fäden an Rhein und Ruhr.
Die Prophezeiung für Günter Niel erfüllte sich nicht
Leisten kann sich der Konzern diese alte Herrlichkeit der Schlotbarone schon lange nicht mehr. Fünf Milliarden Euro Verlust machte das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr. Seit sieben Jahren verbrennt der Konzern Geld. Fehlplanungen bei Stahlwerken in den USA und Brasilien kosten Milliarden. Dazu drohen hohe Schadensersatzforderungen, weil ThyssenKrupp im Stahlgeschäft und in der Aufzugsparte in Kartelle verwickelt war. Der Konzern sitzt auf fast sechs Milliarden Euro Schulden.
Die Rating-Agentur Standard & Poor's hat die Anleihen des Konzerns auf Ramschniveau herabgestuft. Das heißt: Die Pleite von ThyssenKrupp wird an den Finanzmärkten inzwischen als Möglichkeit gehandelt.
Da wurde auch noch bekannt, dass ausgerechnet der Compliance-Vorstand des Konzerns, der für die Einhaltung interner Regeln und saubere Geschäfte verantwortlich ist, teure Luxusreisen mit Journalisten unternommen haben soll.
Zum Jahresende muss der halbe Vorstand den Konzern verlassen - es ist die alte Garde. Auch Aufsichtsratschef Cromme muss sich Fragen gefallen lassen, ob er das Unternehmen noch im Griff hat. Seit 2011 regiert mit Heinrich Hiesinger ein Vorstandschef, der von außen kam. Er soll ThyssenKrupp nun umbauen - der Konzern muss weg vom Stahl und stärker zu einem Technologieunternehmen werden. Er wird ganze Sparten verkaufen müssen, andere schließen. Es wird an Rhein und Ruhr neue Fälle wie Rheinhausen geben.
"Krupp ist unsere Geschichte", sagt Günter Niel, "Vergangenheit." Glut und Schweiß und Stahl - darauf lässt sich heute keine Zukunft mehr gründen. Niels Lehrer hat nicht recht behalten.