Haushaltskontrolle EU-Kommission kontert Merkel

EU-Währungskommissar Rehn: "Es geht um das Wohlergehen unserer Bürger"
Foto: GEORGES GOBET/ AFPGerade einmal zehn Prozent der Empfehlungen der Brüsseler Exekutive an die EU-Mitgliedsstaaten seien 2012 umgesetzt worden, schimpfte Angela Merkel beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche vor laufenden Kameras. Unterstützung erhielt sie von Jörg Asmussen, dem deutschen Vertreter im Direktorium der Europäischen Zentralbank. Die "im Prinzip richtigen Verfahren der wirtschaftspolitischen Koordinierung in Europa" würden "nicht richtig funktionieren", sagte Asmussen dem SPIEGEL.
Die EU-Kommission hingegen verteidigt das als Reaktion auf die Schuldenkrise von allen Mitgliedsstaaten beschlossene System. "In den vergangenen drei Jahren haben wir einen Quantensprung hin zu mehr wirtschaftspolitischer Koordinierung unternommen", sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn dem SPIEGEL als Reaktion auf die Kritik aus Frankfurt und Berlin.
Im Rahmen des so genannten Europäischen Semesters müssen alle Mitgliedsstaaten ihre Haushaltsentwürfe an Brüssel schicken, bevor sie in den nationalen Parlamenten beschlossen werden. Dadurch sei ein "glaubwürdiger Rahmen eingeführt, um vernünftige Haushaltspolitiken sicherzustellen und Strukturreformen für Wachstum und Arbeit voranzubringen", so der liberale Politiker aus Finnland.
Das Europäische Semester sei "eine beispiellose Vertiefung der wirtschaftlichen Integration", sagte Rehn, "und sie funktioniert". So konnten seit 2010 die Haushaltsdefizite erfolgreich halbiert werden. Im Mai dieses Jahres wurden die Defizitverfahren gegen fünf Staaten eingestellt: Italien, Rumänien, Lettland, Litauen und Ungarn.
Hoffnung auf die SPD
Zudem seien viele Hürden für Wachstum und Arbeitsplätze beiseite geräumt worden. Dass nur zehn Prozent der Empfehlungen umgesetzt worden seien, bezweifelt man in der Brüsseler EU-Exekutive. Im Übrigen bezögen sich die meisten Empfehlungen auf Strukturreformen; deren Umsetzung könne man gar nicht in Prozentzahlen messen. Im vergangenen Frühjahr legte das Europäische Parlament eine Analyse der "länderspezifischen Empfehlungen" vor, in den meisten Fällen attestierte das Parlament Fortschritte, nur in wenigen Fällen gab es demzufolge gar keine Umsetzung.
Trotzdem sperrt sich die EU-Kommission nicht dagegen, die Wirtschaftspolitik der Länder noch stärker miteinander zu verzahnen. "Natürlich können wir weitergehen", sagte Rehn. Die Kommission habe bereits vor einem Jahr entsprechende Vorschläge auf den Tisch gelegt. Allerdings ist die "Blaupause für eine tiefe und echte Wirtschafts- und Währungsunion", die Kommissionspräsident José Manuel Barroso im November 2012 vorstellte, nicht das, was sich Kanzlerin Merkel unter einer Reform der EU vorstellt. Zwar enthält das Papier auch Maßnahmen für mehr Haushaltsdisziplin. Gleichzeitig schlägt die Kommission aber auch Elemente einer gemeinsamen Haftung vor, kurzzeitige Schuldanleihen ebenso wie langfristige Euro-Bonds. Die Richtschnur laute, so Rehn: "Jeder Schritt hin zu mehr Solidarität muss von Schritten hin zu mehr Verantwortung begleitet werden."
Offensichtlich hofft man in Brüssel auf das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen und den mildernden Einfluss der Sozialdemokraten auf Merkel. Währungskommissar Rehn jedenfalls betonte, wie sehr er sich auf die Zusammenarbeit mit der nächsten deutschen Regierung freue. Es gehe schließlich um "essentielle Fragen der Euro-Zone" und um "das Wohlergehen unserer Bürger".