
Gemüse-Catering: Krumm, bucklig und dennoch lecker
Catering mit Ausschussware Eine Chance für krumme Möhrchen
Rote-Beete-Kugel mit Ziegenkäsecreme und Teltower Rübchensuppe mit Apfel-Chutney - was nach Szene-Essen klingt, war eigentlich für den Müll bestimmt. Lea Brumsack und Tanja Krakowski spießen eingelegte Möhren kunstvoll auf und richten Schokoladen-Beete-Trüffel an. Eine Kochausbildung haben die beiden nicht- dafür aber das Talent, den einstigen Ausschuss begehrenswert erscheinen zu lassen.
Mit ihrem Unternehmen Culinary Misfits - zu deutsch: kulinarische Sonderlinge - bringen die beiden Berlinerinnen das auf die Teller, was sonst in der Tonne landet: schiefe Möhrchen, knubbelige Kartoffeln, bucklige Auberginen. "Als Produktdesignerinnen machen wir uns schon seit Jahren darüber Gedanken, wie man Leute dazu bringt, dass ihnen etwas gefällt", sagt Brumsack. "Wir wollen nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Leute zugehen", sagt die 30-Jährige. "Wir nennen das schiefe Gemüse Misfits und inszenieren es als Unikat. Das ist viel aufregender."
Kartoffeln scheitern am Supermarkt-Casting
Mit ihrem Konzept haben sie geschafft, woran Handelsketten und Großmärkte scheitern: ein erfolgreiches Geschäftsmodell für vermeintliche Ausschussware. "Vieles von dem, was natürlich wächst, schafft es nicht in die Läden und landet im Müll", sagt Valentin Thurn. Er hat für seinen Dokumentarfilm und das gleichnamige Buch "Taste the Waste" systematische Lebensmittelverschwendung aufgedeckt. Thurn kritisiert: Das makellose Gemüse im Supermarkt führe zu einem verzerrten Eindruck beim Verbraucher, denn der bekomme von der Auslese nichts mit.
In den industrialisierten Ländern landen laut einem Uno-Bericht 46 Prozent der angebauten Lebensmittel auf dem Müll. Obst und Gemüse mit kleinen Makeln werde größtenteils weggeworfen, weil es in Form und Aussehen nicht den Idealen des Handels entspreche, kritisiert Thurn.
Wenn Landwirt Christian Heymann Gemüse erntet, fallen im Schnitt etwa 40 bis 50 Prozent Ausschuss an. "Supermärkte wollen in der Regel nichts von dem, was schief, aber dennoch vollkommen natürlich wächst", sagt der Landwirt vom Vierfelderhof Berlin-Gatow. Kartoffeln und Möhren werden maschinell nach optischen Kriterien sortiert. Heraus fällt alles, was zu groß oder zu klein ist. Für spezialisierte Betriebe sei es billiger, das aussortierte Gemüse wegzuwerfen, sagt Heymann. Er kritisiert nicht nur die wirtschaftlichen Verluste. "Es ist absurd, was einfach vergammelt und an Artenvielfalt verlorengeht."
Um die Verluste auf seinen Feldern so gering wie möglich zu halten, arbeitet der 33-Jährige mit Brumsack und Krakowski zusammen. Sie holen die verschmähte Ernte kiloweise vom Feld und verwandeln zum Beispiel die vom Hagel verunstaltete Zucchiniernte in "Kaltes Zucchini-Mandel-Süppchen mit Basilikumöl".
Bei Handelsketten wird Landwirt Heymann seine kulinarischen Sonderlinge nicht los. Dreibeinige Möhren und schiefe Zucchini bedeuten schlicht mehr Arbeit: Kartoffeln mit Beulen passen nicht in die modernen Schälmaschinen, krumme Gurken lassen sich schlechter stapeln. Die teils kuriosen Formen kommen auf natürliche Art zustande. Wachsen Möhren dicht beieinander, umwinden sie sich gegenseitig. Oder sie verzweigen, wenn sie auf dem Weg nach unten auf ein Hindernis wie einen kleinen Stein treffen.
EU hat nichts gegen krumme Gurken
Gesetzlich vorgeschrieben ist das Gemüse-Casting nicht. So wurde die "Verordnung zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken", die einst die exakte Krümmung bei Gurken regelte und vielen als Paradebeispiel für den Bürokratiewahn der EU galt, 2009 abgeschafft. Folgen hatte das allerdings kaum.
Denn die großen Handelsketten haben eigene Vorgaben für die genaue Form, Farbe und Größe von Gemüse. "Jetzt gibt es einfach eine eigene Aldi-Norm, Lidl-Norm und Rewe-Norm", sagt Autor Thurn. "Die Bauern sind verzweifelt, denn das hat ihre Situation eher noch komplizierter gemacht."
Um das Gemüse loszuwerden, bietet mancher Landwirt bucklige Kürbisse auf Wochenmärkten günstiger an, spendet an Hilfsprojekte oder lädt Städter zur Gratis-Kartoffelnachlese aufs Feld - in der Regel ein Verlustgeschäft. Den wenigsten gelingt es, Geld mit dem natürlich gewachsenen Gemüse zu verdienen. Brumsack und Krakowski aber bekommen viele Anfragen fürs Catering. Was für die beiden Produktdesignerinnen als Projekt ihrer Abschlussarbeiten zum Thema Lebensmittelverschwendung gedacht war, ist mittlerweile zum Vollzeitjob geworden.
"Solange die Händler denken, dass Verbraucher kein krummes Gemüse wollen, werden sie es nicht ins Sortiment nehmen", sagt Thurn. Culinary Misfits wagt das Geschäft mit den kurios geformten Lebensmitteln. Im kommenden Jahr wollen die beiden Unternehmerinnen einen eigenen Laden in Berlin eröffnen und beweisen, dass es mit dem richtigen Marketing auch schiefe Gemüse-Sonderlinge in die Küchen der Verbraucher schaffen können.