Verdacht des Insiderhandels Staatsanwaltschaft prüft Verfahren gegen Linde-Aufsichtsratschef Reitzle

Linde-Zentrale in München
Foto: © Michaela Rehle / Reuters/ REUTERSWolfgang Reitzle, Aufsichtsratschef des Münchner Dax-Konzerns Linde, steht unter Verdacht, Insiderhandel betrieben zu haben. Der Star-Manager, der Linde von 2002 bis 2014 als Vorstandschef geführt hatte, war vor knapp einem Jahr als Aufsichtsratsvorsitzender nach München zurückgekehrt und hatte Linde-Aktien gekauft. Im August wurde dann bekannt, dass Linde über eine Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair verhandelt.
Die Finanzaufsicht BaFin hatte deshalb im Januar wegen Verdachts auf Insiderhandel eine formale Untersuchung des Vorgangs eingeleitet. Diese Prüfung ist nun abgeschlossen, die Ergebnisse wurden an die Wirtschaftsstrafkammer der Staatsanwaltschaft München übergeben. Die prüft nun nach Angaben einer Sprecherin, ob sie ein Ermittlungsverfahren aufnimmt. Das Ergebnis sei offen, zu den Vorwürfen gegen Linde oder einzelne Mitarbeiter des Konzerns äußerte sich die Staatsanwaltschaft nicht. Die BaFin lehnte eine Stellungnahme ab. Linde erklärt Reitzles Aktienkäufe mit seiner unternehmerischen Haltung und seinem langfristigen Engagement bei Linde.
Die Finanzaufsicht bewertet Insidervorwürfe grundsätzlich nicht selbst, sondern gibt ihre Untersuchungsergebnisse an die Staatsanwaltschaft weiter. Sie tut dies jedoch nur dann, wenn es aus ihrer Sicht Anhaltspunkte für mögliche Gesetzesverstöße gibt. Die BaFin hat außerdem analysiert, ob Linde gegen Veröffentlichungspflichten verstoßen haben könnte, weil sie im September 2016 womöglich zu spät darüber informierte, dass der damalige Vorstands- und der Finanzchef Linde verlassen werden. Anlass für die Prüfung war ein "Handelsblatt"-Interview mit Aufsichtsratschef Reitzle, in dem es um die Personalien ging. Die BaFin hatte den Verdacht, das Interview könnte schon vor der Herausgabe der Mitteilungen über die Vorstandspersonalien geführt worden sein. Auch mit dieser Frage befasst sich nun die Staatsanwaltschaft.
Für Linde und Chefkontrolleur Reitzle landet das Thema zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt bei der Staatsanwaltschaft. Der Konzern hatte sich im Dezember auf einen Zusammenschluss mit dem amerikanischen Konkurrenten Praxair geeinigt. So soll der weltweit größte Industriegasekonzern entstehen. Das Management auf beiden Seiten bewirbt den Deal als Zusammenschluss unter Gleichen.
Arbeitnehmervertreter im Linde-Aufsichtsrat fürchten jedoch, dass die Amerikaner dominieren, die deutschen Interessen zu kurz kommen und es zu einem massiven Stellenabbau in Deutschland kommt. Sie hatten vergangene Woche angekündigt, geschlossen gegen die Fusion stimmen zu wollen. Reitzle hatte daraufhin erklärt, den Deal zur Not mit seinem Doppelstimmrecht im Aufsichtsrat durchboxen zu wollen.
Reitzle sollte in dem fusionierten Konzern die Rolle des Chairman übernehmen, in etwa vergleichbar mit der Rolle des Aufsichtsratschefs in deutschen Konzernen. Den CEO-Posten soll Praxair-Chef Steve Angel übernehmen, er will das Unternehmen aus den USA heraus führen. Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich Ermittlungen gegen Reitzle aufnehmen, geriete seine Rolle als Chairman des fusionierten Konzerns und damit die gesamte Architektur des Zusammenschlusses in Gefahr.