Lohn-Preis-Spirale Teure Rohstoffe heizen weltweite Inflation an

Ölarbeiter in China: Steigende Löhne bedeuten steigende Inflation
Foto: STRINGER SHANGHAI/ REUTERSEs ist gespenstisch: Die Rohstoffpreise steigen dramatisch - obwohl die Wirtschaft noch gar nicht richtig in Schwung gekommen ist. Der Rohstoffindex (ohne Energie) des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) hat in Euro gerechnet bereits seine Höchststände vom Sommer 2008 übertroffen.
Die Szenerie weckt Erinnerungen an das Frühjahr 2008: Auch damals waren Öl, Metalle und landwirtschaftliche Rohstoffe extrem teuer geworden, in Ländern wie Mexiko kam es zu Hungerrevolten. Auch jetzt geht in manchen Staaten wieder die Angst vor politischem Aufruhr um.
Und wie im Sommer 2008 treibt die Explosion der Rohstoffpreise die . Damals stemmten sich einige Notenbanken gegen den Preisschub, darunter die Europäische Zentralbank (EZB). Doch wirklich ausrichten konnten sich nichts: Gestoppt wurde die Entwicklung erst durch die Lehman-Pleite im Herbst 2008 und die darauf folgende Weltrezession.
Jetzt droht abermals ein globaler Inflationsschub, der bei den Rohstoffpreisen beginnt und dann in die übrige Wirtschaft überschwappt. Denn die fundamentalen Tendenzen, die bereits vor zwei Jahren Energie, Nahrungsmittel und Metalle verteuerten, wirken nach wie vor:
- Die erleben ein rasches und rohstoffintensives Wachstum. Ob Weizen, Kupfer oder Öl: China, Indien und Co. fragen inzwischen mehr dieser Produkte nach als der Westen. Die rasche Industrialisierung in den Schwellenländern treibt den Bedarf. Und viele hundert Millionen Menschen dort steuern einen westlich geprägten, rohstoffintensiven Mittelklasse-Lifestyle an.
- Der Westen seinerseits fragt verstärkt Agrarprodukte nach, um Erdöl durch Biotreibstoffe zu ersetzen. Ackerfrüchte gewinnen außerdem an Bedeutung für die Industrie.
- Die Spekulation verstärkt die realen Knappheiten und sorgt für dramatische Preisausschläge. So reagieren dieser Tage die Weizenmärkte extrem volatil auf Nachrichten über die Brände in Russland.
- Die Notenbanken lassen die Entwicklung laufen. Dies gilt insbesondere für die beiden führenden Geldbehörden der Welt, die amerikanische Fed und die EZB. Durch die Finanzkrise haben sich ihre Prioritäten verschoben, neben das Ziel Geldwertstabilität ist nun vor allem das Ziel Finanzstabilität getreten. Aus diesem Grund haben die Notenbanken sehr viel Geld in die Märkte gepumpt und damit eine globale Überschussliquidität geschaffen. All dieses Geld sucht sich nun Anlageformen - und drängt in die Rohstoffmärkte.
Es mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen, derzeit über Inflationsgefahren zu sprechen. Schließlich sind die Inflationsraten in Europa und Nordamerika niedrig. Außerdem schwächt sich die Konjunktur in den USA gerade abermals ab, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, und auch in Euro-Staaten wie Irland bereiten eher deflationäre Entwicklungen Sorgen. Selbst teures Öl führt nicht per se zu Inflation, weshalb sich Notenbanken vor allem an der "Kerninflation" orientieren, die die Rohstoffpreise herausrechnet.
Und doch: Zur Beruhigung besteht wenig Anlass. "Selbstgefälligkeit wäre gefährlich", warnt Morgan-Stanley-Ökonom Manoj Pradhan die Notenbanker dieser Welt. Insbesondere in den Schwellenländern führen höhere Nahrungsmittelpreise unmittelbar zu anziehenden Verbraucherpreisen - einfach weil ärmere Konsumenten relativ mehr für Essen ausgeben. In Indien liegt der Anteil der Nahrungsmittelpreise am Verbraucherpreisindex bei rund 50 Prozent, in Russland bei rund 40 Prozent, in China und Brasilien bei rund einem Drittel. In den reichen Ländern hingegen geben die Bürger im Schnitt deutlich unter 20 Prozent für Essen aus.
In China steigen die Löhne zum Teil um 50 Prozent
Mit anderen Worten: Teurere Nahrungsmittel sind für das Gros der Bürger der Schwellenländer unmittelbar spürbar. Wenn, wie in den vergangenen Monaten, die in Indien mit Jahresraten von 15 bis 20 Prozent oder in China mit Raten von mehr als fünf Prozent steigen, dann hat das Auswirkungen auf das gesamte Preisgefüge.
Damit aus dem Rohstoffimpuls eine inflationäre Eigendynamik werden kann, müssen allerdings auch die Löhne steigen. Eine Entwicklung, die sich ebenfalls längst abzeichnet. So sind in China - das Land des angeblich unendlichen Angebots an billigen Arbeitskräften - im vorigen Jahr die Einkommen der Wanderarbeiter um stolze 17 Prozent gestiegen. Für Aufsehen sorgte kürzlich ein Streik in einer chinesischen Honda-Fabrik, in dessen Folge die Entlohnung der Beschäftigten um fast die Hälfte stieg.
Schön, dass die Leute dort besser verdienen. Aber das Ausmaß der Lohnerhöhungen zeigt, wie groß das versteckte inflationäre Potential ist.
Auch in Deutschland droht eine Lohn-Preis-Spirale
Auch in Deutschland sind die Bedingungen für eine Lohn-Preis-Spirale gegeben: Der Aufschwung der befeuert die hiesige Industrie; die Nachfrage nach Arbeitskräften zieht stark an. Parallel dazu wirkt sich die demografische Wende aus, die das Angebot an Arbeitskräften verknappt, wie die laufende Debatte über den Mangel an Fachkräften zeigt. Folge: steigende Löhne.
Die Volkswirte der Commerzbank rechnen damit, dass ab dem kommenden Jahr die Effektivverdienste in Deutschland deutlich anziehen werden. Der "Boden für einen stärkeren Lohnanstieg" sei "bereitet". Und das werde Auswirkungen auf die Entwicklung der Preise insgesamt haben: "Die Inflation schläft, aber der Wecker ist gestellt."
Für die Notenbanken gäbe es also gute Gründe, den Ausstieg aus den Liquiditätsprogrammen ins Auge zu fassen. Zumindest gilt das für Länder wie China und Indien, aber auch für Deutschland. Das Geld, das sie in die Märkte gepumpt haben, muss wieder eingefangen werden.
Nur: Solange hochverschuldete Volkswirtschaften wie die USA, Großbritannien, Spanien und Griechenland in heikler Verfassung sind, werden die Notenbanken die globale Geldschwemme nicht eindämmen.
Die Rechnung kommt später: in Form höherer Inflationsraten.
Übersicht: Enorme Preissprünge bei Rohstoffen