Lohndumping Wie Arbeitgeber Gehälter schleifen

Druckmittel: So pokern Post, Bahn und Schlecker
Hamburg - Es geht auch für weniger Geld: Eigentlich bezahlt die Post ihre Briefträger nach Tarif. Doch in Düsseldorf hat sich der ehemalige Staatskonzern vor einigen Jahren eine Billigtochter mit Namen First Mail zugelegt. Deren 190 Mitarbeiter bekommen lediglich den für die Branche vorgeschriebenen Mindestlohn von 9,80 Euro pro Stunde - viel weniger als die Kollegen bei der Post.
Was als Modellprojekt anfing, wird nun kräftig ausgebaut: Die Belegschaft von First Mail soll deutlich aufgestockt werden und dann auch im Ruhrgebiet auf Kundenfang gehen. Allein die Zahl der Auszubildenden wird dem Unternehmen zufolge kommendes Jahr auf mehr als 300 steigen. 2011 sollen sogar 690 neue Zusteller-Lehrlinge eingestellt werden.
Die Post erklärt, mit ihrer Billigtochter wolle sie lediglich Kunden erreichen, die "preissensitiv sind" und der Post ansonsten verlorengingen. "Von Lohn- oder Sozialdumping kann nicht die Rede sein", empört sich ein Sprecher im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Gemäß eines kürzlich erneuerten Vertrags mit der Gewerkschaft Ver.di dürfe der Konzern bis 2011 die hauseigene Zustellung gar nicht auslagern.
Doch diese Ansicht teilen nicht alle: Volker Geyer, der Vorsitzende der Postgewerkschaft DPVKOM, fürchtet dennoch, dass mittelfristig "Stück für Stück" die gesamte Zustellung auf Billigtöchter übertragen werden könnte. Die Angst kommt nicht von ungefähr. Der Brief-Vorstand Jürgen Gerdes drohte kürzlich unverhohlen, dass im Paketbereich bereits die Zustellung für 800 Bezirke "mit großem Erfolg ausgelagert" worden sei. Das könne "auch im Briefbereich funktionieren".
Die Post ist kein Einzelfall. Immer mehr Unternehmen lassen sich Mittel und Wege einfallen, Tarifvereinbarungen zu umgehen und Mitarbeiter billiger einzukaufen.
Auch die Bahn hat damit begonnen, für den heiß umkämpften Regionalverkehr bis zu 30 Tochtergesellschaften zu gründen. Die Strategie sei eingeschlagen worden, um "bei künftigen Ausschreibungen mithalten und Arbeitsplätze bei DB Regio erhalten zu können", verteidigt eine Sprecherin das Vorgehen.
Bislang freilich bestehen die rund 15 bereits gegründeten Tochterfirmen in erster Linie auf dem Papier. Sowohl die Bahn-Gewerkschaften als auch der Konzern selbst kämpfen derzeit für einen allgemeingültigen Branchentarifvertrag, der die Konkurrenzsituation im Regionalverkehr für die Bahn etwas entspannen könnte. Sollte ein solcher für alle Unternehmen gültige Kontrakt allerdings nicht zustande kommen, stellen sich die Arbeitnehmervertreter auf einen harten Kampf ein.
Dass in den Regionaltöchtern der Bahn plötzlich Kollegen für "einen Appel und ein Ei" eingestellt werden, will etwa Claus Weselsky, der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, auf keinen Fall akzeptieren. "Wenn da die ersten Kollegen unter Vertrag genommen werden, wird es wie beim Hase-und-Igel-Spiel sein: Ich bin dann schon da", prophezeit er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Im Notfall werde dann eben in jeder Gesellschaft für Tariflohn gekämpft. Ähnlich sieht das Reiner Bieck, der zuständige Vorstand der Gewerkschaft Transnet: "Das wäre Tarifflucht", sagt er. Sollte die Bahn damit ernst machen, "wird es Ärger geben".
Schlecker leiht sich Ex-Mitarbeiter zum Spottpreis
Wie geschickt Unternehmen aber vorgehen, wenn es darum geht, die Lohnkosten zu drücken, zeigt das Beispiel Schlecker. Der Drogeriediscounter hat dieses Jahr rund 800 kleinere Läden geschlossen, dafür werden größere XL-Märkte eröffnet. Oft in direkter Nachbarschaft zu den ehemaligen Geschäften. Hunderten Mitarbeitern, die gerade noch Tariflohn bekommen haben, wurde betriebsbedingt gekündigt. Dann wurde ihnen angeboten, in den XL-Märkten tätig zu werden - aber nicht länger für Schlecker, sondern für die Zeitarbeitsfirma Meniar.
Geleitet wird Meniar von einem langjährigen Schlecker-Personalmanager - zahlt nach Angaben der Gewerkschaft aber bis zu 50 Prozent weniger Lohn. Statt rund zwölf Euro nach Tarif, zu dem Schlecker von einem Gericht verdonnert wurde, gebe es für die gleiche Arbeit nur noch 6,50 Euro in der Stunde. Weihnachts- und Urlaubsgeld seien gestrichen, freie Tage auf das gesetzliche Minimum reduziert.
Schlecker erklärt das Vorgehen auf ganz eigene Weise: Bei den von Ver.di kritisierten Fällen handle es sich um ein Modellprojekt "im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort", heißt es aus dem Unternehmen. Schließlich müsse Schlecker seine Wettbewerbsfähigkeit sichern, dazu müssten auch die Personalkosten gesenkt werden.
Andere Unternehmen würden in einer ähnlichen Situation "ohne Zögern zu Massenentlassungen übergehen", fügt das Unternehmen hinzu. Die Drogeriemarktkette dagegen unternehme "die größten Anstrengungen, um wertvolle Arbeitsplätze zu erhalten". Die Teilnahme an dem Modellprojekt sei zudem "rein freiwillig", niemand würde dazu gedrängt, Aufhebungsverträge zu unterschreiben und bei Meniar anzuheuern. Schließlich könnten die Mitarbeiter fortan auch in einen Schlecker-Markt "in der näheren Umgebung" versetzt werden.
Die Gewerkschaft Ver.di findet die Erklärung reichlich absurd. "Das ist staatlich sanktionierte Tarifflucht", sagt Ulrich Dalibor, Handelsexperte bei Ver.di, über die Zustände bei der Drogeriekette. Das Verhalten sei typisch für die Branche, in der auf vielfache Art und Weise versucht werde, Tarifvereinbarungen zu umgehen. Etwa durch den "überbordenden Einsatz von Leiharbeit im Lager oder an der Kasse, der mit dem Ausgleich von saisonalen Schwankungen oder krankheitsbedingten Ausfällen nichts mehr zu tun hat", wie Dalibor erklärt.
Er betrachtet deshalb den Preiskampf der Discounter mit großer Sorge. Eine "relativ neue Mode" im Handel seien etwa "der massenhafte Einsatz von Werkverträgen", kritisiert Dalibor. Oft würden dabei Einzelpersonen zu ungünstigen Bedingungen unter Vertrag genommen, etwa um Regale einzuräumen. Aufgrund solcher Kontrakte würden in der Branche zunehmend "normale Stellen abgebaut".
Arm trotz Arbeit: Wenn der Staat aufstocken muss
Bei Schlecker will Ver.di noch eine weitere üble Praxis ausgemacht haben: Mitarbeiterinnen mit geringem Einkommen seien aufgefordert worden, sich doch vom Staat etwas dazuzuholen. Denn wer nur wenige Stunden im Monat arbeitet oder einen niedrigen Stundenlohn erhält, so dass es nicht zum Leben reicht, kann Hartz IV beantragen. Der Lohn wird dann auf das lebensnotwendige Minimum "aufgestockt".
Schlecker bestreitet, dass es eine entsprechende Vorgabe oder Empfehlung für Führungskräfte gebe. Ohnehin seien von der "Aufstocker'-Thematik" nur "geringfügig Beschäftigte mit sehr niedriger Wochenstundenzahl" betroffen.
Auch damit wäre Schlecker leider kein Einzelfall: Claudia Weinkopf von der Universität Duisburg-Essen glaubt, dass viele Unternehmen die zusätzliche Leistung als willkommenen Anlass sehen, niedrige Löhne zu zahlen. "Ein Drittel der Aufstocker im Westen und noch mehr im Osten verdienen weniger als fünf Euro pro Stunde", sagt die Arbeitsrechtsexpertin. Von einem Tariflohn können diese Arbeitnehmer nur träumen. Bei derart niedrigen Stundenlöhnen liege es nahe, dass manche Unternehmen die Grundsicherung missbrauchten, um die Arbeitskosten zu drücken.
Zumindest für dieses Problem scheint die Lösung einfach: "Wenn es diese Kombilöhne aus Stütze und Gehalt gibt, dann muss es auch Mindestlöhne geben", fordert Arbeitsmarktexpertin Weinkopf. Ohne Lohnuntergrenze "lädt man Firmen dazu ein, den Kombilohn zu missbrauchen".
Ein staatlicher alimentierter Niedriglohnsektor ist die Folge - auf Kosten der Steuerzahler und zum Nutzen der Unternehmen.