Die Luftfahrt steuert 2020 auf ihr nächstes Krisenjahr zu. Das hat aber weniger mit den Verwerfungen im Welthandel zu tun - oder mit Flugscham. Den entscheidenden Anteil hat ein Brot-und-Butter-Flugzeug.
Boeings im Dornröschenschlaf: In Renton warten fertige 737-Max-Modelle auf ihre Zulassung
Foto: Lindsey Wasson/ REUTERS
Wie wird das kommende Jahr für die Wirtschaft? Lesen Sie unseren Ausblick für sechs Branchen - die übrigen fünf finden Sie unter dem Text.
Das größte Problem der internationalen Luftfahrt steht in einem Vorort von Seattle: Dort parken Dutzende unbenutzte 737-Max-Jets auf dem Boeing-Werksgelände eng verschachtelt. An ihren Leitwerken kleben schon die Logos der jeweiligen Fluggesellschaften: TUI, Turkish Airlines, Icelandair, American. Was noch fehlt, ist die Betriebserlaubnis, die ihnen die Flugaufsichtsbehörden in aller Welt entzogen haben.
Grund sind zwei katastrophale Abstürze von 737-Max-Fliegern, die insgesamt 346 Menschen das Leben kosteten. Als eine der entscheidenden Ursachen gilt eine fehlerhafte Steuerungssoftware, die die Boeing-Ingenieure geschrieben haben. Es ist ein Fiasko. Auch für den Konzern. Rund 400 Flieger der 737 Max stehen in Renton bei Seattle und auf dem nahe gelegenen Flughafen von Moses Lake auf Halde. Selbst Mitarbeiterparkplätze sind schon vollgestellt: Boeing geht der Platz aus.
Auch deswegen wird Boeing die Produktion der 737 Max im Januar erst mal stoppen. Und darauf hoffen, dass die Behörden bald wieder grünes Licht geben für den Einsatz des einstigen Vorzeigefliegers. Das 737-Max-Desaster war das Thema des Jahres 2019 für die Luftfahrtbranche. Und es wird auch 2020 prägen: Denn der Mittelstrecken-Flieger spielt eine zentrale Rolle in den Flotten vieler Fluggesellschaften. Ryanair, mit 135 Bestellungen einer der größten 737-Max-Kunden, musste deswegen bereits seine Expansionspläne eindampfen - zwei Basen sollen geschlossen werden.
Zurückgehende Passagierzahlen
Auch TUI, Norwegian und großen US-Anbietern wie American, Southwest oder United fehlen Dutzende Jets. Und selbst wenn die 737 Max wieder zugelassen wird: Werden die Passagiere dann ohne Weiteres wieder einsteigen in den "Todesflieger"?
Selbst in Deutschland, wo die dominante Lufthansa keine einzige 737 Max geordert hat, hinterlässt das Debakel Spuren. Die Passagierzahlen an deutschen Flughäfen sind zuletzt drei Monate in Folge niedriger gewesen als im Vorjahr - im November betrug das Minus schon 3,7 Prozent.
Condor-Maschine in Düsseldorf
Foto: Ina Fassbender/ AFP
Das 737er-Grounding sei ein "negativer Einflussfaktor", erklärt der Flughafenverband ADV - einer von mehreren. Die anderen: steigende Ölpreise, schwächelnde Konjunktur und zunehmende Handelskonflikte. Letztere spiegeln sich besonders im stark rückläufigen Frachtverkehr wider. Von einem "Greta-Effekt" ist indes keine Rede.
Angst vor dem nächsten Konsolidierungsschub
"Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Branche in Deutschland in einen Abschwung rutscht", sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. "Das könnte zu einem nächsten Konsolidierungsschub führen." Nach Air Berlin 2017 und kleineren Linien 2018 musste 2019 die Germania Insolvenz anmelden. Wie auch Thomas Cook, Mutterkonzern von Condor.
Die traditionsreiche Ferienfluggesellschaft fliegt mithilfe von Staatskrediten weiter; spätestens Anfang Februar will Condor-Chef Ralf Teckentrup einen Retter präsentieren. "Ich würde mir wünschen, dass es bald eine Lösung gibt", sagt Gerald Wissel, Chef des Beratungshauses Airborne Consulting. Aber das wird nicht einfach - obwohl der Flugbetrieb reibungslos läuft und Condor Gewinn erwirtschaftet. Würde etwa die Lufthansa einsteigen, wäre die Übernahme ein Fall fürs Kartellamt. Wettbewerber TUI verfolgt ein anderes Konzept. Und: Die Flotte der Condor gilt als überaltert.
Ein entscheidendes Jahr wird 2020 auch für Eurowings. Nach dem Chaos-Sommer vor anderthalb Jahren mit zahllosen Verspätungen und Ausfällen bekommt die Lufthansa-Tochter ihren Flugbetrieb besser in den Griff. Doch sie schreibt noch immer rote Zahlen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat entschieden, Eurowings das Langstrecken-Ferienfluggeschäft wegzunehmen. Demnächst will der Konzern eine neue Marke für sogenannte Warmwasser-Routen zu Zielen in der Karibik und den USA gründen. Ob dieses Geschäft dann besser funktionieren wird, steht aber in den Sternen.