Ärger über Lufthansa-Rettung Warum sich die EU gegen Merkel stellt

Lufthansa-Flotte in München: Vormachtstellung auf dem europäischen Luftfahrtmarkt
Foto: CHRISTOF STACHE / AFPNein, Margrethe Vestager ist nicht als Kritikerin Deutschlands bekannt. Die Zahlen aber, die die Vizepräsidentin der EU-Kommission und Wettbewerbskommissarin am Montagnachmittag im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments präsentierte, sprechen für sich. Im Ganzen hätten die EU-Länder bis jetzt 2,3 Billionen Euro an staatlichen Beihilfen vergeben, um Unternehmen in der Coronakrise zu unterstützen, berichtete Vestager. 47 Prozent davon entfielen auf Deutschland, 18 Prozent auf Italien, 16 Prozent auf Frankreich, vier Prozent auf Spanien.
Die Zahlen sind für Europa durchaus gefährlich. Denn wenn der Staat so ungleich eingreift, drohen erhebliche Verzerrungen auf dem EU-Binnenmarkt.

EU-Kommissarin Vestager: "Zehn Jahre lang hat man Deutschland aufgefordert, mehr auszugeben, und jetzt geben sie mehr aus"
Foto: Kay Nietfeld/ DPAUnd ausgerechnet jetzt landet der nächste prominente Wettbewerbsfall aus Deutschland auf Vestagers Schreibtisch: der Einstieg des Staats bei der Lufthansa. Deutschland bewahrt die Airline vor der Pleite - mit stillen Einlagen von insgesamt 5,7 Milliarden Euro, einem staatlich abgesicherten Kredit von bis zu drei Milliarden Euro und einer direkten Beteiligung in Höhe von 20 Prozent oder 300 Millionen Euro.
Bedingungen aus Brüssel
Offiziell sagt die Wettbewerbsbehörde zum Thema Lufthansa gar nichts, offiziell ist der Fall noch nicht mal in Brüssel notifiziert, also zur Prüfung angemeldet. Dennoch haben Vestagers Leute die Unterhändler in Deutschland längst wissen lassen, welche Bedingungen diese erfüllen müssen, damit die Wettbewerbshüter in Brüssel den staatlichen Einstieg genehmigen.
Vor allem soll die Lufthansa an ihren Drehkreuzen in Frankfurt und München sogenannte Slots abgeben, also die heiß begehrten Zeitfenster zum Starten und Landen. Bislang belege die Lufthansa an beiden Flughäfen jeweils rund 70 Prozent, heißt es in Brüssel - zu viel für eine Airline, die künftig zu 20 Prozent dem deutschen Staat gehört. Die Sorge ist klar: Mithilfe des deutschen Staats könnte die Lufthansa ihre ohnehin schon dominante Stellung auf dem europäischen Luftfahrtmarkt weiter stärken.
Die zu erwartenden Auflagen aus Brüssel sorgen nun für Ärger in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im CDU-Präsidium am Montag bereits einen "harten Kampf" dagegen angekündigt. "Das lassen wir nicht mit uns machen", soll Merkel ungewöhnlich krawallig getönt haben.
Auch im Bundesfinanzministerium ist mit Blick auf die Vorstellungen der EU-Kommission eher Ablehnendes zu hören: Wünschen könne man sich in Brüssel ja vieles. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ist ebenfalls alarmiert, schließlich fällt das Drehkreuz Frankfurt in sein Hoheitsgebiet.
Deutschland hat die Regeln mit aufgestellt
Allein: Solche Drohungen haben Vestager noch nie besonders beeindruckt, wie in den vergangenen Jahren vor allem die Chefs der großen Techfirmen im Silicon Valley feststellen mussten. Zudem hat die EU-Wettbewerbshüterin Regeln auf ihrer Seite, die auch unter Mitwirkung der Bundesregierung zustande gekommen sind.
Konkret geht es um das sogenannte Rahmenregelwerk ("state aid temporary framework"), das den EU-Mitgliedern helfen soll, Unternehmen in der Coronakrise unbürokratisch und schnell zu helfen. Am 8. Mai wurde dieses Regelwerk nach Beratung mit den EU-Mitgliedern angepasst, um auch Fälle zu behandeln, in denen der Staat, wie bei der Lufthansa, nicht nur Kredite gibt, sondern als Teilhaber einsteigt.
In diesem Fall trägt der Staat mehr Risiko, als wenn er nur einen Kredit gibt, das Unternehmen profitiert also stärker, die denkbare Wettbewerbsverzerrung ist größer - infolgedessen sind auch die Regeln strenger. Managergehälter müssen eingefroren, Dividendenzahlungen eingestellt werden, das ist bekannt. Vor allem aber sollen "zusätzliche Maßnahmen" ergriffen werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, wenn ein Unternehmen mit erheblicher Marktmacht Kapitalspritzen im Wert von 250 Millionen Euro bekommt. So weit die Regeln.
Die Lufthansa sei zweifellos ein solcher Fall, heißt es in Brüssel. Sechs Milliarden der neun Milliarden Euro an Hilfen seien als Kapitalspritzen zu interpretieren. Und die "zusätzlichen Maßnahmen", das seien bei Fluggesellschaften nun mal nicht nur neue grüne Auflagen, die auch die Bundesregierung mit der Lufthansa ausgehandelt hat, sondern eben Slots - die harte Währung im Luftverkehr.

Lufthansa-Maschine in München: Nicht der erste Ärger mit Vestager
Foto: Alexander Hassenstein/ Getty ImagesVestager und ihre Leute entscheiden in diesen Tagen Beihilfefälle wie am Fließband - Fälle wohlgemerkt, die sonst Monate und Jahre dauern. 175 sind es seit Beginn der Krise, zwei pro Tag, wie ein Beamter ausgerechnet hat. Immer wieder geht es auch um Fluggesellschaften, die skandinavische SAS etwa, Finnair und Air France. Die Luftfahrtbranche leidet besonders unter den Folgen der Coronakrise. Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr bezifferte die Verluste kürzlich auf eine Million Euro - in jeder Stunde.
Entsprechend deutlich werden Wirtschaftsexperten wie der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber. "Während bisher alle Hilfen für Fluggesellschaften ohne Auflagen genehmigt wurden, soll jetzt an der Lufthansa ein Exempel statuiert werden", sagt er dem SPIEGEL. "Für die Übernahmen in der Vergangenheit musste Lufthansa bereits Start- und Landerechte abgeben." Man könne das Unternehmen doch "nicht doppelt bestrafen".
Die Kommission wehrt sich. Vergleiche mit den anderen Entscheidungen der Kommission zu Fluggesellschaften seien nur bedingt zulässig, heißt es. Anfang Mai gaben die Wettbewerbshüter zwar grünes Licht für Hilfen des französischen Staats an Air France in Höhe von sieben Milliarden Euro. Allerdings geht es da, bislang jedenfalls, allein um Kredite und nicht um eine Aufstockung der Staatsbeteiligung. Daher griffen hier auch die neuen EU-Regeln nicht.
Bei der Lufthansa sieht die Sache anders aus. Es ist nicht das erste Mal, dass der Konzern mit Vestager zu tun hat.
Ende 2017 zog das Unternehmen sein Angebot für die Übernahme des Air-Berlin-Ablegers Niki zurück, angeblich waren die Brüsseler Auflagen zu harsch. Als gute Freunde, das kann man sagen, sind beide Seiten damals nicht auseinandergegangen.
Dennoch: Vestager ist es wichtig, erst gar nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, sie habe Deutschland im Visier. "Zehn Jahre lang hat man Deutschland aufgefordert, mehr auszugeben, und jetzt geben sie mehr aus", sagte sie am Montag in der Videokonferenz mit den Europaparlamentariern, ohne konkret auf die Lufthansa einzugehen. "Das hilft indirekt auch Unternehmen außerhalb Deutschlands, weil diese auch Teil der europäischen Wertschöpfungskette sind."