Mögliche Lufthansa-Rettung Der Staat fliegt wieder mit

Lufthansa-Maschinen in Frankfurt: Einbruch um 97 Prozent
Foto:KAI PFAFFENBACH/ REUTERS
Es war ein großer Tag in der Unternehmensgeschichte und so griff man zu einem großen Symbol. Als die Lufthansa im Oktober 1997 durch den Verkauf der letzten Aktien in Staatsbesitz endgültig privatisiert wurde, ließ der Konzern vor der Frankfurter Börse die Heckflosse eines Jets aufstellen.
Drinnen herrschte Feierlaune. Bis 1963 war die Fluglinie komplett in staatlicher Hand gewesen, danach hatte die Bundesregierung noch jahrzehntelang mitgemischt. Jetzt sah Lufthansa-Chef Jürgen Weber sein Unternehmen von einer "neuen Freiheit durch die Restprivatisierung beflügelt".

Lufthansa-Flosse vor der Frankfurter Börse im Oktober 1997: Tschüss, Staat! Hallo, Staat!
Foto: Katja Lenz/ DPAGut zwei Jahrzehnte später scheint es mit dieser Freiheit auch schon wieder vorbei zu sein. Die Lufthansa klopft beim Staat wegen Hilfen an, weil ihr Geschäft in der Coronakrise fast komplett zum Erliegen gekommen ist. Die Verhandlungen mit der Bundesregierung laufen auf Hochtouren. Am Montag gab es eine Runde mit Staatssekretären, an diesem Dienstag sprach Lufthansa-Chef Carsten Spohr selbst sowohl mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch mit Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Geld steht prinzipiell bereit, denn genau für solche Fälle wie die Lufthansa hat die Bundesregierung gerade erst den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) eingerichtet, der sich unter anderem mit bis zu 100 Milliarden Euro an kriselnden Unternehmen beteiligen kann.
Meldungen über eine Einigung stellten sich dennoch als verfrüht heraus. Nach SPIEGEL-Informationen wies die Lufthansa ein Angebot des Bundes zurück, der bis zu 30 Prozent der Anteile übernehmen wollte und im Gegenzug zwei Aufsichtsratsmandate und eine Sperrminorität fordert - also eine entscheidende Mitbestimmung, um Beschlüsse zu blockieren.
Der Konzern fürchtete zu großen politischen Einfluss. Zudem soll das angebotene Finanzierungspaket des Bundes durchschnittliche Zinskosten von neun Prozent gehabt haben. Zu teuer, kritisierte die Lufthansa - und drohte damit, sich in eine Insolvenz in Eigenverwaltung zu flüchten.
Sehnsucht nach Rettung
Offensichtlich blickt die Lufthansa mit zwiespältigen Gefühlen auf eine mögliche Rückkehr des Staates. Einerseits ist unübersehbar, dass Deutschlands größte Fluglinie Hilfe braucht. Denn durch die Auflagen gegen die Corona-Pandemie ist der Flugverkehr fast komplett zum Erliegen gekommen. Am Lufthansa-Heimatflughafen Frankfurt lag die Zahl der Gäste in der vergangenen Woche um fast 97 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Wenn die Krise so lange dauere wie von Experten vorhergesagt, werde keine globale Fluglinie ohne Staatshilfen auskommen, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr kürzlich dem SPIEGEL. Auch bei den Aktionären herrscht Sehnsucht nach Rettung - das zeigte ein zeitweiliges Kursplus von bis zu zwölf Prozent nach Bekanntwerden der angeblichen Einigung.
Andererseits hat die Lufthansa frühzeitig klargemacht, dass sie möglichst wenig politischen Einfluss wünscht. Unionspolitiker kommen ihr entgegen und sprechen sich für das Modell einer stillen Beteiligung aus: Der Staat würde dabei neues Kapital zuschießen und dafür mit Zinsen oder einer Dividende entlohnt. Die Regierung hätte aber anders als bei einem klassischen Aktienpaket keinen unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftspolitik der Lufthansa.
Wer Hilfen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds nutze, dürfe keine "politische Einmischung in sein operatives Geschäft befürchten müssen", mahnt Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Bei den Sozialdemokraten sieht man das anders. "Staatsgeld ohne Mitsprache für das betroffene Unternehmen mögen sich manche Manager wünschen, für die SPD ist das aber ausgeschlossen", sagt deren Parlamentarischer Geschäftsführer, Carsten Schneider.
Auch Teile der Opposition sehen die Lufthansa-Rettung unter dem Motto: Wenn schon, denn schon. Die Grünen fordern eine aktive Beteiligung des Staates, um mehr Klimaschutz durchzusetzen. Es gehe zum Beispiel um "Fragen der Reduzierung von Kurzstreckenflügen und Nachtflügen, mehr Kooperation mit der Bahn und den Einsatz von alternativen, klimafreundlichen Treibstoffen", sagt Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. Linkenchef Bernd Riexinger fordert gar eine Komplettübernahme. Als die Lufthansa noch staatlich war, sei es sowohl den Beschäftigten "gut gegangen als auch der Gesellschaft". Am Geld würde eine Komplettübernahme eher nicht scheitern: An der Börse ist die ganze Lufthansa nicht einmal mehr vier Milliarden Euro wert.
First Class für die Staatssekretäre
Trotzdem ist die Sehnsucht nach alten Zeiten im Konzern weniger ausgeprägt. Mit Grauen erinnern sich altgediente Lufthanseaten an die Achtziger- und Neunzigerjahre, als die Regierung noch Anteile an der Fluglinie oder sogar die Mehrheit besaß und Staatssekretäre oder den ehemaligen CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann in den Aufsichtsrat entsandte. Zur Sache konnten die Politiker zumeist wenig beitragen, trotzdem waren die Jobs extrem begehrt. Schließlich durften die Kontrolleure mit der Lufthansa für lau fliegen, auf Wunsch und wenn ein Platz frei war sogar in der Business oder First Class.
Das Privileg für Aufsichtsräte wurde erst 2009 abgeschafft, zwölf Jahre nach der endgültigen Privatisierung. Auslöser war damals Ver.di-Chef Frank Bsirske, damals Mitglied des Lufthansa-Aufsichtsrates. Der Gewerkschafter war im Sommer 2008 mit seiner Frau in der Lufthansa First Class nach Los Angeles in den Urlaub geflogen, während daheim seine eigenen Mitglieder für höhere Löhne bei der Kranichlinie streikten. Die Freiflüge seien "nicht mehr zeitgemäß", lautete die offizielle Begründung.
Das Unternehmen fürchtet auch, dass ihr der Staat künftig wieder reinregieren könnte, etwa im Fall eines Jobabbaus. Der scheint unvermeidbar, wenn die Flotte nach der Krise wie geplant um 100 Jets schrumpft. Pro Flugzeug könnten insgesamt 100 Stellen wegfallen - macht ein Minus von rund 10.000 Arbeitsplätzen, wie Spohr kürzlich in einem internen Webcast ankündigte. Ein solcher Stellenabbau wäre schwer durchsetzbar, wenn sich die Vertreter des Bundes mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat verbündeten.
Bevor es so weit kommen könnte, muss der WSF aber überhaupt erst einmal startbereit sein. Noch wartet man in Berlin auf die Genehmigung des Rettungsschirms durch die EU-Kommission. Auch deshalb dürfte sich die Einigung mit der Lufthansa noch einige Tage hinziehen.
Auch der Staat hat gute Gründe, die Bedingungen eines Einstiegs genau zu prüfen. In der Finanzkrise rettete er unter anderem die Commerzbank - erst über eine stille Beteiligung, dann auch über den Erwerb eines Aktienpakets. Die stille Beteiligung wurde mittlerweile zurückgezahlt, auf den Aktien aber sitzt der Bund bis heute. Sie sind mittlerweile nur noch einen Bruchteil des Kaufpreises wert.
Mitarbeit: Gerald Traufetter, Christian Teevs