
Karriereende von VW-Chef Matthias Müller Unglaublich viel geschafft


Noch-VW-Chef Matthias Müller
Foto: Andreas Arnold/ picture alliance / Andreas ArnolMit dem öffentlichen Leumund ist es so eine Sache. Zwangsläufig prägen sich im allgemeinen Bewusstsein nur einzelne Details im Wirken einer prominenten Persönlichkeit ein, die - wenn es blöd läuft - den Blick von dem ablenken, was wesentlich ist. Bestes Beispiel dafür ist Matthias Müller, der zurzeit als teuerster VW-Ruheständler in spe gilt. Sein Vertrag läuft zwar noch bis 2020 - doch im Aufsichtsrat hatte man genug: von seinen selbstgerechten Statements in Interviews, von seinen genervten Reaktionen auf aus seiner Sicht ungerechtfertigte Kritik; und dem Vernehmen nach gab es auch Differenzen über einige Fragen, die die strategische Ausrichtung des VW-Konzern betreffen.
Dass Müller nicht brutal hingerichtet wurde, wie es einst im VW-Konzern unter dem Einfluss von Patriarch Ferdinand Piëch gang und gäbe war, ist wohl nur Wolfgang Porsche zu verdanken, für den Loyalität gegenüber seinen Mitarbeitern einen hohen Stellenwert hat. Der Clanchef hat im Hintergrund dafür gesorgt, dass Müller in den Prozess seiner Ablösung eingebunden wurde und so wenigstens Gelegenheit hatte, sein Gesicht zu wahren.
Drei riesenhafte Aufgaben
Porsche hatte Müller im Herbst 2015 in die Pflicht genommen, als der Dieselskandal auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Ein Himmelfahrtskommando, bei dem es eigentlich nur darum ging, den Schaden zu begrenzen, der im Ernstfall auch zum Untergang des VW-Konzerns hätte führen können: Müller hatte die Aufgabe, den Dieselskandal aufzuklären (wobei man sich klarmachen muss, dass er dabei auch in der Pflicht stand, die Interessen des Unternehmens zu wahren, die zwangsläufig nicht immer im Einklang mit den Interessen der betroffenen Verbraucher stehen), neue Autos auf den Weg zu bringen, die schließlich so viel Geld einbringen, um - drittens - neben den Strafen noch die Entwicklung für den Sprung in ein völlig neues mobiles Zeitalter bezahlen zu können. Und er sollte die Kultur des Miteinanders im Konzern vollständig umkrempeln.
Unter den beschriebenen Umständen hat Müller in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit eine Leistung abgeliefert, die kaum hoch genug einzuschätzen ist. Die Kosten der Dieselaffäre konnte er auf 25 bis 30 Milliarden Euro (genau lässt sich das erst in einigen Jahren beziffern) begrenzen. Das ist weit weniger als die 40 bis 60 Milliarden, mit denen Analysten ursprünglich gerechnet hatten.
Die Kunden hat das offensichtlich weit weniger verschreckt, als zu erwarten war. Gemessen an den Verkaufszahlen blieben die Wolfsburger auch 2017 die Nummer eins, vor Toyota. Der Gewinn markierte mit 13,8 Milliarden Euro ein neues Allzeithoch in der Unternehmensgeschichte.
Stichwort Elektrozeitalter: Hier hatte Winterkorn noch erste - halbherzige - Gehversuche gestoppt und eine ganze Abteilung eingestampft. Müller startete VWs Aufholjagd also praktisch bei Null. Ende kommenden Jahres wollen die Wolfsburger mit der Serienproduktion von batteriegetriebenen Autos beginnen. Allein die Marke VW will bis 2025 jährlich etwa eine Million E-Autos verkaufen, im gesamten Konzern sollen es bis zu drei Millionen sein.
Und die Unternehmenskultur? Hier ist Müller nach eigenem Bekunden noch am weitesten von den selbstgesteckten Zielen entfernt. Stimmt womöglich auch, doch das schmälert nicht seine Bilanz. Denn die Aufgabe war (und ist) wirklich groß - fast so, als wollte man das System von Kim Jong-Uns Nordkorea in eine Gesellschaft verwandeln, in der lebendiger aufgeklärter Diskurs blüht.
Denn unter der Ägide von Piëch und seines Adlatus Martin Winterkorn hatte sich das automobile Riesenreich zu einer totalitären Diktatur entwickelt, in der schon um seine Karriere fürchten musste, wer nur in Verdacht geriet, der vorgegebenen Linie skeptisch gegenüberzustehen. Fehler wurden nicht toleriert, wer die Vorgaben nicht erfüllte, war seinen Job los. In so einem Klima sind Tricks und verdeckte Foulspiele programmiert. Nicht wenige sind überzeugt, dass Piëch/Winterkorn damit den Boden für den Abgasbetrug bereitet haben.
Das Klima der Angst
Seit Müllers Amtsantritt hat sich die Stimmung im Konzern bereits deutlich verändert. Probleme werden, so erzählen es Mitarbeiter, wesentlich offener angesprochen. Doch bis daraus ein offener, konstruktiver Diskurs wird, dauert es Generationen.
Diese Revolution wird nun Müllers wahrscheinlicher Nachfolger Herbert Diess weiter vorantreiben müssen. Er erscheint weniger schroff und gilt als jemand, der es versteht, Menschen für seine Sache zu begeistern. Im Prinzip gute Voraussetzungen, zumal dem ehemaligen BMW-Manager außerdem ein eiserner Wille nachgesagt wird, wenn es darum geht, ein Vorhaben umzusetzen. Diess, so erwarten es Beobachter und VWler, wird das Rad bei Volkswagen nicht zurückdrehen. Wie weit er es weiterdrehen kann, bleibt abzuwarten.
Matthias Müller jedoch geht nicht als Gescheiterter - auch wenn er erst mal als jemand in Erinnerung bleiben wird, der sein 10-Millionen-Gehalt als vollkommen angemessen und Volkswagen als ehrlich bezeichnet hat.