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Fotostrecke: Neustart für den Windows-Konzern

Foto: ROBERT GALBRAITH/ REUTERS

Microsoft-Chef Steve Ballmer Der Berserker geht von Bord

Microsofts scheidender Vorstandschef Steve Ballmer ist berüchtigt für sein unberechenbares Temperament. Das machte zwar Schlagzeilen, half dem Konzern aber wenig. Zu wahrer Größe reichte es nicht, weil er keine Vision hatte.

Mark Lucovsky war einer der stillen Stars bei Microsoft. Der Software-Ingenieur hatte das Betriebssystem Windows miterfunden. Doch nach 16 treuen Microsoft-Jahren zog es ihn 2005 zu neuen Ufern: Er wechselte zu Google.

Sein Boss, Microsofts Vorstandsvorsitzender Steve Ballmer, nahm die Kündigung mit typischer Rage auf. Ballmer habe einen Stuhl quer durch sein Büro geschleudert und eine Schimpftirade auf den damaligen Google-Chef Eric Schmidt losgelassen: "Ich werde diesen Kerl begraben!", habe Ballmer gebrüllt. "Ich werde Google verdammt noch mal killen!"

Die legendäre Episode - eidesstattlich verbrieft, doch von Ballmer als "wilde Übertreibung" abgetan - wird dem scheidenden Microsoft-Chef für den Rest seines Lebens nachhängen. Wahr oder übertrieben, sie illustriert Ballmers berüchtigt-cholerisches Temperament - jene wilde, unberechenbare Natur, die ihm Kultstatus bei vielen Fans einbrachte, doch dem kriselnden Konzern letztlich nur schadete.

Mit Ballmers angekündigtem Abtritt geht nun einer der letzte großen Irren der Tech-Branche von Bord. Der letzte Pionier jener Gründergeneration, die die Welt revolutionierten (Steve Jobs, Bill Gates), bevor sie von einer neuen, cooleren Garde (Mark Zuckerberg, Jack Dorsey) verdrängt wurden.

Steve Jobs sah Ballmers frühes Ende voraus

Doch selbst im Olymp der alten Tech-Götter findet Ballmer keinen Platz. Stattdessen wird er - auch dank seiner vorzeitigen Pensionierung - fortan fürs Scheitern von Microsoft haftbar gemacht werden. Für jene "verlorene Dekade" ("Vanity Fair"), in der der Konzern aus Redmond bei Seattle den Anschluss verlor an die flottere Konkurrenz im Silicon Valley.

Was bleibt, sind Anekdoten eines herrischen, überdimensionalen Top-Verkäufers, dessen endlose Energie sich jedoch immer seltener in Produkten niederschlug, die inspirierten, geschweige denn funktionierten. Sein frühes Ende war denn auch lange vorgezeichnet. Nicht zuletzt von Apple-Ikone Steve Jobs, der es in seiner Biografie voraussah: "Ich glaube nicht, dass sich bei Microsoft irgendetwas ändern wird, so lange Ballmer es anführt."

Dabei war Ballmer der handverlesene Zögling der Microsoft-Gründer Bill Gates und Paul Allen. 1980 war das, als die ihre damals erst fünf Jahre junge Firma auf betriebswirtschaftlich festere Beine stellen wollten. Da es ihnen an Management-Wissen mangelte, sprach Gates seinen Harvard-Freund Ballmer an, der schon in der Highschool als Mathematikgenie galt.

Ballmer schloss sich Microsoft als Angestellter Nr. 30 an. Er habe ihn an einen sowjetischen Geheimpolizisten erinnert, schrieb Allen in seiner Autobiografie: "Er hatte stechende blaue Augen und eine ehrliche Härte."

Über zwei Jahrzehnte lang diente der Sohn eines aus der Schweiz stammenden Vaters und einer US-amerikanischen Mutter Microsoft als Zahlenfuchser. Anfang 2000 übertrug ihm Gates das CEO-Amt. Schon da hegte Allen Zweifel: Ballmer sei "ein sehr smarter Verwalter", doch ohne "Affinität" für Technologie.

Ballmers Motto: Profit geht vor Hipness

Ballmer war zunächst nur für die Bilanzseite zuständig, während Gates als Aufsichtsratschef und Software-Architekt die Vision zu wahren versuchte. 2006 zog sich Gates ganz zurück; Microsoft war nun vollends in den Händen Ballmers.

Der faszinierte mit seinen Auftritten, öffentlich wie intern: Er schrie, er brüllte, er sang, einmal rissen ihm sogar die Stimmbänder. Die Linie des Konzerns ging dabei jedoch flöten.

Ballmers Motto: Profit geht vor Hipness. Zwar steigerte er so Umsatz und Gewinn sowie sein Privatvermögen auf zuletzt 15,2 Milliarden Dollar. Doch wurde ihm nicht nur das ewige Sorgenkind Windows bald zum Verhängnis - auch wenn er den Schwenk versuchte vom sterbenden PC-Geschäft zu mobiler Hardware.

Bezeichnender Rollenwechsel: Unter Ballmer halbierte sich Microsofts Marktwert fast, von 510 Milliarden auf 285 Milliarden Dollar. Der von Apple wuchs in dieser Zeit von knapp fünf Milliarden Dollar auf 455 Milliarden Dollar.

Die Kritik wurde immer lauter. Ballmers fulminante Auftritte blieben Spektakel, denen keine Innovationen folgten. Bei der Computermesse CES voriges Jahr in Las Vegas kam es sogar zur peinliche Panne, als eine Demonstration des Windows Phone 7 fehlschlug.

Kritiker vergleichen Ballmers Microsoft mit der einst florierenden, heute herabgewirtschafteten US-Kaufhauskette Sears oder den Detroiter Autokonzernen. Schon im Mai 2012 verlangte Hedgefondsmanager David Einhorn Ballmers Rücktritt: "Seine andauernde Präsenz ist der größte Schatten über der Microsoft-Aktie." Das Magazin "Forbes" kürte ihn zum "schlechtesten CEO einer großen US-Aktiengesellschaft".

Wie der Choleriker Ballmer auf solche Herabwürdigungen reagiert, ist leicht zu vermuten.

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