

Hamburg - Der frühere Chef des Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor, Thomas Middelhoff, hat Spekulationen widersprochen, er stehe vor dem finanziellen Ruin. Auf die Frage: "Sind Sie pleite?" erwiderte der Manager der Nachrichtenagentur dpa: "Ganz klare Antwort. Nein." Middelhoff räumte aber ein, dass er am Freitag vor dem Gerichtsvollzieher über seine Vermögensverhältnisse habe Auskunft geben müssen - im Volksmund Offenbarungseid genannt. Der SPIEGEL hatte zuvor darüber berichtet.
Middelhoff sagte, sein Problem sei, dass er an seine Liquidität nicht herankomme, die von der Bank Sal. Oppenheim blockiert werde. Dazu erwarte er jedoch noch in diesem Jahr ein erstinstanzliches Urteil. Er müsse deshalb Wege finden, wie er bestehende Forderungen bedienen könne. "Dazu bin ich gerne bereit. Und an der Umsetzung arbeiten wir mit Hochdruck." Middelhoff betonte, er habe noch ausreichend andere Vermögenswerte.
Am Freitag war Middelhoff nach dem Termin beim Gerichtsvollzieher aus einem Fenster geklettert und über ein Garagendach geflüchtet, um wartenden Journalisten zu entgehen. Laut "Bild am Sonntag" hatte das Personal des Essener Landgerichts ihm sogar eine Leiter besorgt. "Leider war die zu kurz", erklärte Middelhoff.
"Fröhlich pfeifend ein Taxi gerufen"
Deshalb musste er sich mit etwas Akrobatik helfen: "Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße. Dann bin ich durch den Hinterhof fröhlich pfeifend zu einer Nebenstraße gegangen, habe mir ein Taxi gewunken und bin zu Gesprächen und Verhandlungen geflogen", erzählte Middelhoff.
Der Manager betonte, er sei nicht vor den Fragen der Journalisten geflüchtet, aber er habe auch nicht in die "Medienfalle" gehen wollen, die ihm sein ehemaliger Geschäftsfreund und heutiger Gläubiger, der Berater Roland Berger, gestellt habe. "Das wollte ich mir und vor allem meiner Familie nicht antun."
In den vergangenen Monaten hatten wiederholt Gerichtsvollzieher den Untreue-Prozess gegen den Manager vor dem Essener Landgericht genutzt, um Middelhoff abzufangen und ihm Forderungen zu präsentieren.
Nach Angaben des Managers verlangt allein der Unternehmensberater Roland Berger 7,5 Millionen Euro von ihm, davon seien rund 2 Millionen Euro bereits durch Sicherheiten gedeckt. Sein früherer Vermögensverwalter Josef Esch fordere 2,5 Millionen Euro, der Arcandor-Insolvenzverwalter 3,4 Millionen Euro, die allerdings durch seine Managerversicherung abgedeckt seien, und die Bank Sal. Oppenheim rund 70 Millionen Euro. Er fordere umgekehrt über 200 Millionen Euro, sagte der Manager.
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Ab 1994 saß Middelhoff im Vorstand der Bertelsmann AG, von November 1998 bis Juli 2002 war er Vorstandsvorsitzender. Der Manager versuchte, den Konzern in den digitalen Medien zu etablieren. Er investierte unter anderem in America Online (AOL), was Bertelsmann später viele Milliarden Euro einbrachte. Für Kritik und jahrelangen Ärger vor Gericht sorgte dagegen der von Middelhoff eingefädelte Einstieg bei Napster, einem seinerzeit beliebten Portal für illegale Downloads. Unterm Strich war Middelhoffs Bilanz gut. In seinen vier Jahren als Bertelsmann-Boss verdoppelte das Unternehmen seinen Umsatz.
Von Juni 2004 bis Februar 2009 managte Middelhoff die Arcandor AG, die anfangs noch Karstadt/Quelle hieß. Zunächst war er Vorsitzender des Aufsichtsrats, im Mai 2005 wurde er Vorstandschef. Seine Aufgabe: den angeschlagenen Mischkonzern sanieren. Ein Job, der ihm viel Kritik einbrachte, vor allem für den milliardenschweren Verkauf der Karstadt-Immobilien an die Goldman-Sachs-Tochter Whitehall und ein von der Deutsche-Bank-Immobilientochter RREEF geführtes Konsortium. Karstadt musste seitdem jeden Monat rund 23 Millionen Euro Miete zahlen. Das waren erhebliche Kosten, die das angeschlagene Unternehmen zusätzlich belasteten. Der Aktienwert von Arcandor stürzte zwischen 2005 und 2009 von 10 auf 1,30 Euro ab.
Am 1. März 2009 folgt Middelhoffs Rücktritt als Arcandor-Chef. Trotz aller Bemühungen hatte er das Vertrauen der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz verloren, unter anderem weil er den rapiden Wertverfall der Arcandor-Aktie nicht stoppen konnte. Zum Abschied forderte Middelhoff neben seinem Grundgehalt von 1,2 Millionen Euro noch einen Bonus. 2,2 Millionen Euro zusätzlich wollte er haben. Und das, obwohl Arcandor 2008 einen Verlust von 746 Millionen Euro erlitt. (Im Bild: Middelhoff Mitte Februar 2009 bei der Verkündung des Zwischenberichts für das erste Quartal.)
Am 9. Juni 2009 beantragte Arcandor in Essen Insolvenz. Am 12. Juni leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Untreue gegen Middelhoff ein. Denn vier Karstadt-Immobilien gehörten schon seit Jahren mehreren Fonds des Unternehmers Josef Esch und der Bank Sal. Oppenheim. An diesen war auch Middelhoff schon lange beteiligt. Seit er 2004 Aufsichtsratschef bei KarstadtQuelle wurde, war er praktisch Mieter und Vermieter zugleich.
Am 25. April 2012 urteilte das Landgericht Essen, dass Middelhoff und drei weitere ehemalige Arcandor-Vorstände nicht hätten zulassen dürfen, dass ein Warenhaus in Wiesbaden an den Oppenheim-Esch-Fonds überschrieben wurde. Middelhoffs Anwalt kündigte Berufung an. Der Fall ging ans Oberlandesgericht Hamm (im Bild), dieses schaltete im September 2013 einen Sachverständigen ein, das endgültige Urteil steht noch aus.
Im April 2013 verlegte Middelhoff seinen Wohnsitz von Bielefeld nach Saint-Tropez. Nach Informationen des SPIEGEL machte der Umzug die Gläubiger des Paares nervös. Einige schalteten den Gerichtsvollzieher ein.
9. September 2013, wieder im Landgericht in Essen (Archivbild): Dieses Mal geht es um einen Rechtsstreit mit Arcandor-Insolvenzverwalter Hans-Gerd Jauch. Das Gericht verurteilt Middelhoff unter anderem wegen ungerechtfertigter Boni zur Rückzahlung von rund 3,4 Millionen Euro. Middelhoffs Anwalt kündigt Berufung an.
Auch mit dem Bankhaus Sal. Oppenheim streitet sich Middelhoff um Millionen. Erst verklagten er und seine Frau Cornelie die Bank im Sommer 2013 beim Kölner Landgericht auf 103 Millionen Euro Schadensersatz, weil das Geldhaus sie bei verlustreichen Immobilienfonds-Investments falsch beraten haben soll. Im Dezember 2013 reagierte Sal. Oppenheim mit einer Gegenklage. Wie das Landgericht mitteilte, fordert Sal. Oppenheim darin 77,8 Millionen Euro von dem Ehepaar, das seine für die Immobilienfonds aufgenommenen Kredite nicht mehr bedienen will.
Am 11. Juni 2014 kommt es im Saal des Essener Landgerichts zum Eklat. Sein früherer Geschäftspartner, der Münchner Unternehmensberater Roland Berger, hatte eine Forderung von 6,8 Millionen Euro fällig gestellt. Das Geld hatte Berger nach eigenen Angaben 2008 im Rahmen eines Geschäfts der gemeinsam gegründeten Investmentfirma BLM vorgestreckt und forderte es nun zurück. Dazu hatte eine von Berger geschickte Gerichtsvollzieherin einen Termin angesetzt. Weil Middelhoff aber nicht erschien, passte die Gerichtsvollzieherin ihn im Essener Landgericht ab. In einem Aktenraum musste der einstige Top-Star der deutschen Wirtschaft seine Taschen öffnen. Allerdings hatte er nur 56 Euro im Portemonnaie und lag damit unter der Pfändungsgrenze, sodass die Gerichtsvollzieherin ihm nichts abnehmen konnte. Uhr und Handy - sonst gerne bei solchen Gelegenheiten beschlagnahmt -, blieben ihm, weil Berger auf diese Preziosen verzichtet haben soll.
Berger ist nicht der Einzige, der eine sogenannte Taschenpfändung beantragt hat. Auch Middelhoffs ehemaliger Kompagnon Josef Esch hat dies nach SPIEGEL-Informationen getan. Er will zumindest einen Teil der 2,5 Millionen Euro eintreiben, die Middelhoff ihm vor allem für die jahrelange Nutzung einer Luxusjacht an der Côte d'Azur schuldet. Vor knapp zwei Jahren hatte sich Middelhoff in einem Vergleich verpflichtet, das Geld bis spätestens Ende September 2013 zu zahlen. Esch hat bis heute keinen Cent gesehen.
Das liegt offenbar daran, dass Middelhoff dieses Geld nicht mehr hat. Am 25. Juli 2014 leistete der ehemalige Top-Manager einen Offenbarungseid vor dem Landgericht Bielefeld.
Middelhoff selbst betonte, er sei nicht pleite. Nur habe er gerade ein kleines Liquiditätsproblem, das er durch eine Klage gegen seine Bank Sal. Oppenheim lösen will.
Und auch mit der Sparkasse Köln/Bonn hat Middelhoff Ärger. Das Ehepaar Middelhoff bedient seit geraumer Zeit auch Kredite der Sparkasse Köln/Bonn nicht mehr. Die Forderungen belaufen sich derzeit auf gut drei Millionen Euro. Das sorgt für Unruhe bei rund 40 deutschen Millionären, darunter die Kunstsammlerin Claudia Oetker, der Bankerbe Wilhelm von Finck und Anka Kast, Gesellschafterin der Vorwerk-Gruppe. Denn nun sollen sie für Middelhoffs Schulden bei der Sparkasse Köln/Bonn einspringen.
Am 14. November 2014 kam schließlich das vorläufige Urteil: Der frühere Top-Manager ist vom Landgericht Essen wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Das Urteil vom Freitag ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Mit dem überraschend harten Urteil blieb das Gericht nur geringfügig unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Sie hatte für den Manager eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten gefordert.
Und auch mit der Sparkasse Köln/Bonn hat Middelhoff Ärger. Das Ehepaar Middelhoff bedient seit geraumer Zeit auch Kredite der Sparkasse Köln/Bonn nicht mehr. Die Forderungen belaufen sich derzeit auf gut drei Millionen Euro. Das sorgt für Unruhe bei rund 40 deutschen Millionären, darunter die Kunstsammlerin Claudia Oetker, der Bankerbe Wilhelm von Finck und Anka Kast, Gesellschafterin der Vorwerk-Gruppe. Denn nun sollen sie für Middelhoffs Schulden bei der Sparkasse Köln/Bonn einspringen.
Foto: Oliver Berg/ dpaMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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