Mikrokredit-Krise Wucherer treiben Tausende Inder in den Ruin

Mikrofinanz-Institut: Die "Grameen Bank" wurde von Muhammad Yunus gegründet
Foto: RAFIQUR RAHMAN/ REUTERSHyderabad ist der Stolz , immer neue Glastürme ragen in den Himmel. Die Stadt symbolisiert den Aufstieg des Landes zu einer ökonomischen Großmacht. Ein U-Bahn-Netz soll in den kommenden fünf Jahren entstehen, Pharma- und Biotechnologiekonzerne siedeln sich an, ebenso Software-Firmen. Irgendwann will die Stadt Bangalore als das IT-Zentrum des Landes überholen - und nennt sich stolz schon mal "Cyberabad".
Die gut dreieinhalb Millionen Einwohner zählende Metropole ist auch die Hauptstadt des südostindischen Bundesstaates Andhra Pradesh, einer dicht besiedelten Region. Etwa 80 Millionen Menschen leben in der Region, so viele wie in Deutschland, auf einer Fläche, die nur zwei Drittel der Fläche der Bundesrepublik umfasst. Die meisten Bewohner arbeiten in der Landwirtschaft, als Kleinbauern oder Landarbeiter. Es ist ein hartes Brot, für viele reicht es kaum zum Leben.
Deshalb nehmen viele Menschen hier einen Kleinstkredit auf, im Schnitt 200 Dollar. Davon kaufen sie eine Kuh, deren Milch sie verkaufen, ein Mobiltelefon, das sie vermieten, oder eine Fahrradrikscha, mit der sie Passagiere befördern. Andere eröffnen einen Kiosk, ein kleines Lebensmittelgeschäft oder eine Werkstatt. Die Kredite sollen für die Armen eine Starthilfe in ein besseres Leben sein. Andhra Pradesh ist der größte Markt für Mikrokredite weltweit. Nach Pharma, Biotechnologie und Software eröffnen deshalb immer mehr Geldinstitute ihre Filialen in Hyderabad. Sie vergeben kleine Summen an Menschen, die mangels Sicherheiten bei herkömmlichen Banken kaum an einen Kredit kommen.
Vom Studentenprojekt zum Riesengeschäft
Die Idee für diese Art des Geldverleihs stammt von dem Wirtschaftswissenschaftler . Im Jahr 1976 besuchte der Professor aus Bangladesch mit seinen Studenten ein Dorf in seinem Heimatland, um die dortigen Wirtschaftsaktivitäten zu untersuchen. Sie begegneten Korbflechterinnen, die nur sehr wenig Geld für ihre Arbeit erhielten. Eine Frau erzählte ihnen, sie würde sich gerne selbständig machen, benötige dafür aber umgerechnet knapp 30 Dollar. Yunus war erschrocken: Diese kleine Summe war alles, woran eine bessere Zukunft für die Frau scheiterte?
Die Idee des Mikrokredits war geboren: Yunus lieh den Frauen aus seiner eigenen Tasche das Geld. Er startete mehrere Projekte zur Existenzgründung von armen Menschen, 1983 gründete er schließlich die ("Ländliche Bank"). Aus einem Studentenprojekt war ein Mikrofinanzinstitut erwachsen, das inzwischen in mehr als 80.000 Dörfern in Bangladesch aktiv ist und bald zehn Milliarden Dollar verliehen hat - von denen knapp neun Milliarden bereits zurückgezahlt sind.
Auf diese extrem niedrige Ausfallquote ist Yunus besonders stolz, und darauf, dass die Bank nicht profitorientiert arbeitet, sondern einen sozialen Zweck verfolgt. Die Kreditnehmer sind zugleich Anteilseigner, ein Gewinn kommt deshalb ihnen zugute. Die Kundschaft sind größtenteils Frauen. Vor vier Jahren wurde die Grameen Bank, gemeinsam mit Yunus, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Seither wurde diese Idee tausendfach kopiert, nicht nur in Südasien, sondern auch in Afrika, Osteuropa, Lateinamerika. Große Geldhäuser wie die Deutsche Bank und die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau stiegen in das Geschäft mit den Minikrediten ein. Stars, Wirtschaftsikonen und Unternehmen fördern die Finanzprojekte mit Millionenaufwand. Seit Jahren bejubeln Idealisten Mikrokredite als Ausweg aus der Armut, als Lichtblick in der ansonsten eher mäßig erfolgreichen Entwicklungshilfe.
Das System hatte sich verselbständigt
Aber nicht nur Idealisten mischen in dem Geschäft mittlerweile mit. Erst im August ging der indische Branchenprimus, SKS Microfinance, in Mumbai an die Börse. Das Unternehmen hatte mit einer Eigenkapitalrendite von 24 Prozent geworben - ein Ertrag, wie ihn sonst nur Investmentbanken versprechen. Aber die Geldgeber glaubten dem Firmengründer Vikram Akula, einem ehemaligen McKinsey-Berater - und zeichneten kräftig Aktien. Investoren in aller Welt wie Sequoia Capital und der Milliardär George Soros griffen zu, die Emission der Anteilsscheine brachte 350 Millionen Dollar, das Papier war 14-fach überzeichnet. Dieser Erfolg spornte an, auch andere Mikrofinanzbanken wollen an die Börse. Aus dem Non-Profit-Gedanken von Yunus ist ein milliardenschweres Business geworden.
Doch seit diesem Sommer läuft es nicht mehr so rund. Immer wieder tauchen Meldungen über Selbstmorde von Kreditnehmern in den indischen Zeitungen auf, Berichte, wonach die Zinsen für die Mikrokredite in extreme Höhen schießen und skrupellose Schuldeneintreiber die Menschen bedrängen. Innerhalb von sechs Wochen wurden allein in Andhra Pradesh 30 Suizidfälle registriert. Aufgeschreckt durch diese Nachrichten erließ die Regierung des Bundesstaates Auflagen für die Branche. Mitte Oktober wurde eine Höchstgrenze für den Zinssatz festgelegt, seit einer Woche existiert außerdem ein Rettungsfonds für angeschlagene Mikrokreditbanken.
Der Grund für die Krise: Das System hatte sich verselbständigt. Immer mehr Anbieter drängten in den Markt - und besorgten Geld von herkömmlichen Banken, zu Zinssätzen zwischen 15 und 20 Prozent. Sie verliehen es weiter für 30 Prozent - ein hoher Zinssatz, aber immer noch weniger als bei den berüchtigten Geldverleihern in Zeiten, als es noch keine Mikrokredite gab.
Allerdings verlangten auch manche Mikrofinanzinstitute Zinsen von bis zu 60 Prozent. Und da das Angebot von Mikrokrediten drastisch gestiegen ist, finanzierten viele Kunden ihren Kredit mit einem weiteren Darlehen - sie kamen ja problemlos an Geld. Auch wurde kaum noch kontrolliert, ob das geliehene Geld tatsächlich für den eigentlichen Zweck, nämlich als Startkapital für ein Unternehmen, genutzt wurde.
Immer mehr Menschen liehen sich das Geld, um Lebensmittel zu kaufen oder Krankheitskosten zu bezahlen, also um einfach zu überleben. Eine Überschuldung war die Konsequenz, irgendwann konnten die Schuldner die drückende Last nicht mehr tragen und kamen ihren Tilgungs- und Zinsverpflichtungen nicht mehr nach.
Ein hehres Ziel scheitert an der Realität
sieht in dieser Entwicklung einen "Missbrauch der ursprünglichen Idee". Die Institute versuchten, mit Mikrokrediten das große Geld zu verdienen, anstatt in "soziales Unternehmertum" zu investieren. Der Börsengang von SKS Microfinance habe mit seiner Idee nichts mehr gemeinsam.
Regierungen müssten deshalb Regeln und Grenzen finden für die Branche. Grundsätzlich sei das System Mikrokredite aber nach wie vor geeignet, um Menschen aus der Armut zu helfen, verteidigte er seine Erfindung. Motiv eines Geldgebers müsse aber sein, Menschen zu helfen, nicht Gewinn zu machen.
Ein hehres Ziel, das sich zumindest im Massengeschäft nicht umsetzen lässt, wie der Markt in Andhra Pradesh zeigt. Das Vertrauen in die Institute ist inzwischen verschwunden, die Aktie von SKS Microfinance nach einem anfänglichen Höhenflug unter den Ausgabewert abgestürzt.
Die Polizei verhaftete kürzlich Geldeintreiber mehrerer Kreditunternehmen, weil sich die Schuldner über deren rabiate Art beschwert hatten. Unter den Festgenommenen waren auch Mitarbeiter von SKS Microfinance. Mehrere indische Rating-Agenturen werteten rund ein Dutzend Mikrofinanzfirmen Anfang der Woche deutlich ab. Experten der Weltbank fürchten, dass etwa einem Drittel der 250 indischen Unternehmen die Insolvenz droht.
Indiens Finanzminister Namo Narain Meena kündigt jetzt eine umfassende Regelung der Branche an. "Wir warten noch einen Expertenbericht ab, der in drei Monaten fertig sein soll, danach machen wir uns an ein entsprechendes Gesetz", sagte er dem Fernsehsender NDTV.
Bis dahin soll das Sicherheitspersonal vor der Zentrale von SKS Microfinance verstärkt bleiben, auch die Netze vor dem gläsernen Hochhaus sollen hängen bleiben. Damit wütende Demonstranten nicht in die Büros eindringen und Steinewerfer das Gebäude nicht beschädigen.