
Milliardeninvestition China plant Mega-Industriepark in den USA
Wenn Amerikaner von Boise sprechen, denken sie an Kartoffeln, Jazz und Hinterland. Die Provinzhauptstadt des Bundesstaates Idaho produziert meist Nachrichten begrenzter Tragweite. In jüngster Zeit kursieren Meldungen über gestohlene Zeitungen, aus denen Konsumenten die Beilagen herausnehmen, um Coupons auszuschneiden.
Doch bald dürfte die Stadt zwischen Seattle und Salt Lake City dicke Schlagzeilen machen. Denn Boise (sprich: Boisi) steht eine brisante Karriere als Chinas Brückenkopf in Amerika bevor. Der chinesische Staatskonzern China National Machinery Industry Corp., kurz Sinomach, will unweit des Provinzflughafens einen gigantischen Industriepark bauen.
Die Dimension ist enorm: Rund um die Fabriken in Boise ist eine komplette Technologiezone geplant, dazu Lagerhallen, Großhandelszentren, logistische Umschlagplätze und ganze Wohngebiete mit eigener Energieversorgung. Es geht um eine wirtschaftlich autarke Stadt, eine Insel mit einer Fläche von 129 Quadratkilometern. Das entspricht der Größe von Amsterdam.
Die führende lokale Zeitung, der "Idaho Statesman", spricht schon von einer chinesischen Sonderwirtschaftszone auf amerikanischem Boden. In der Volksrepublik selbst gibt es vier solche Sonderwirtschaftszonen: Shenzhen, Zhuhai, Shantou und Xiamen. Ende der siebziger Jahre hatte sie Reformer Deng Xiaoping als Experimentierlabor für die neue Öffnungspolitik auserkoren. Der Rest ist bekannt: die Entfesselung des größten Wachstumsschubs in der Geschichte der Menschheit. Er führte dazu, dass China in den vergangenen drei Jahren Deutschland als Exportweltmeister ablöste, Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft überholte und die USA als führenden Energieverbraucher und Automarkt hinter sich ließ. Aus dem früheren Fischerdorf Shenzhen wurde eine vibrierende Metropole mit 14 Millionen Einwohnern.
Mit einer Armee von Arbeitern
Chinas Idaho-Plan lässt die Amerikaner deshalb nicht kalt. "Die Volksrepublik hat sich zu einer Invasion der USA entschlossen, nicht mit Panzern und Kampfjets, sondern mit einer Armee von Arbeitern, die eine eigene Freihandelszone errichten werden", kommentiert Jerome Corsi das Vorhaben; der Autor hatte 2009 mit seinem Buch "America for Sale" für Aufsehen gesorgt.
Führende Politiker in Idaho sehen das anders: "Idaho ist der letzte Bundesstaat, der Geschäfte mit Asien ablehnen wird", sagt Vizegouverneur Brad Little. "In Asien ist schließlich das ganze Geld", fügt Little trotzig hinzu. Noch deutlicher wurde Idahos Wirtschaftsminister Don Dietrich: "Die Chinesen schauen sich nach einem Brückenkopf in den USA um. Idaho ist bereit, einen anzubieten."
Die Anleihe aus dem Wortschatz der Militärstrategen schlug solche Wellen, dass das Zitat schnell wieder von der Web-Seite des "Idaho Statesman" verschwand. Die Pläne der Chinesen hingegen sind immer noch aktuell.
Denn Idaho braucht ein solches Megaprojekt dringend. Die Arbeitslosenrate liegt mit 9,7 Prozent über dem Schnitt der USA von 9,1 Prozent. Und das Wirtschaftswachstum blieb zuletzt mit 1,4 Prozent hinter der ohnehin enttäuschenden Rate für die Gesamt-USA von 1,8 Prozent zurück.
Chinas Kundschafter sind auch in Ohio, Michigan und Pennsylvania
Sinomach ist ein Industriekoloss mit 15 Milliarden Dollar Jahresumsatz, der 1997 vom Staatsrat - Chinas Kabinett - gegründet wurde. Peking bündelte zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts die größten und strategisch wichtigsten Staatsbetriebe und lässt sie seitdem von der eigens eingesetzten State Asset Supervision and Administration Commission (Sasac) führen. Sinomach zählt seitdem zur industriellen Avantgarde der Volksrepublik. Zu dem Unternehmen gehören 50 große Konglomerate mit weltweit 80.000 Beschäftigten. Der Staatskonzern wächst seit Jahren mit Raten um die 30 Prozent.
"Sinomach ist nur eine von vielen chinesischen Firmen, die Interesse an Idaho zeigen", versichert Jeff Don, der Chefrepräsentant von Sinomach in Idaho. Unterschätzen sollte man das Engagement des Unternehmens dennoch nicht. Denn es hat nicht nur Idaho im Visier. In den vergangenen Monaten hat Sinomach auch Delegationen nach Ohio, Michigan und Pennsylvania entsandt. Der Auftrag: Standorte für weitere Quasi-Sonderwirtschaftszonen zu identifizieren.
Worum es den Chinesen geht, liegt auf der Hand. Mit Transportflugzeugen liegt Boise nur 45 Minuten weiter von Asien entfernt als Seattle. Das ist nah genug, um die Stadt als Exportzone für die Versorgung des chinesischen Marktes zu nutzen. Aber Boise liegt auch schon weit genug von Küstenstädten wie Portland und Seattle entfernt, um günstige Landpreise und großzügige Subventionen der lokalen Regierung für die Ansiedlung herauszuschlagen.
Versuchslabor für eine neue Außenwirtschaftsstrategie
Sinomach ist als Investor durchaus interessant: Der staatliche Konzern hat Zugang zu üppigen Finanzierungsquellen der Regierung in Peking. Daher hat sich Sinomach auch gleich für die Planung, den Bau und die Finanzierung eines zwei Milliarden Dollar teuren Düngemittelwerkes in Idaho starkgemacht. Das Werk will der regionale Energieversorger Southeast Idaho Energy bauen. Technologisch geht es hier um die Umwandlung von Kohle in Gas, zur Produktion von Düngemitteln und Schwefel. Ein Know-how, das auch China als größter Kohleverbraucher des Planeten effizienter nutzen will.
Und noch etwas haben die Chinesen auf dem Monitor: Weil ihre Löhne jährlich um 15 Prozent steigen und hohe Ölpreise den Transport über den Pazifik ständig verteuern, wird allmählich eine Verlagerung bestimmter Industrien auf die andere Seite des Pazifiks interessant, vor allem dann, wenn Amerika der größte Absatzmarkt ist. Mit lokaler Produktion könnten die nachteiligen Effekte des sinkenden Dollars und des stärkeren Yuan abgefangen werden. Insofern dürfte Boise nicht nur ein Brückenkopf sein, sondern auch das Versuchslabor für eine neue Außenwirtschaftsstrategie gegenüber den USA.
Kein Wunder also, dass man beim "Idaho Statesman" das chinesische Großprojekt als "Symbol für eine fundamentale Veränderung der Beziehungen zwischen den beiden wirtschaftlichen Supermächten" sieht.
Noch allerdings können die Pläne scheitern. Was ist, wenn es einen nationalen Proteststurm gibt wie vor sechs Jahren? Damals bot der Ölkonzern China National Offshore Oil Corp. (CNOOC ) für die kalifornische Firma Unocal 18,2 Milliarden Dollar. Im Kongress und in der Öffentlichkeit formierte sich enormer Widerstand, die nationale Sicherheit der USA sei in Gefahr, hieß es. Die starke Opposition gegen die Übernahme brachte das Projekt letztlich zum Scheitern.
Doch im Gegensatz zu heute brummte damals die US-Konjunktur. Die Arbeitslosigkeit war mit knapp fünf Prozent nur halb so hoch wie jetzt, und es wurden noch keine Feuerwehrstationen geschlossen, keine Polizisten heimgeschickt und Lehrer entlassen, weil den Bundesstaaten das Geld fehlt. Als Steuerzahler dürften die Chinesen also durchaus willkommen sein.