
Erneuerbare Energien: Das Milliardenprojekt im Schwarzwald
Milliardenschwerer Kraftwerksbau Seeschlacht um den Schwarzwaldspeicher
Freiburg - Für die Torwartlegende Toni Schumacher ist er nur der "Schlucksee". Hier, am idyllischen Schluchsee östlich von Freiburg, bereitete sich das deutsche Nationalteam 1982 auf die Weltmeisterschaft in Spanien vor. Dabei floss der Whisky angeblich in Strömen.
Für die Energiebranche ist der Schluchsee dagegen vor allem ein gigantischer Stromspeicher: Das künstliche Gewässer ist Teil einer Kette von Stauseen, die über riesige Rohre miteinander verbunden sind. Da sie auf unterschiedlichen Höhen liegen, können die Betreiber der Anlage nach Belieben Wasser durch die Turbinen schießen lassen und so erzeugen.
Das machen die Unternehmen immer dann, wenn der Stromverbrauch gerade sehr hoch ist, und sie zusätzliche Kapazitäten brauchen. Ist der Energiebedarf gerade gering, pumpen sie das Wasser in die höher gelegenen Seen zurück. Ein lohnendes Geschäft: Überschüssiger Strom lässt sich beliebig lange für den Eigenbedarf speichern oder teuer verkaufen. Zugleich stabilisiert der Speicher die Stromnetze, da Schwankungen zwischen Energieangebot und -nachfrage ausgeglichen werden.
20 Pumpspeicher-Kraftwerke wie im Schwarzwald gibt es in Deutschland. Fast alle sind im Besitz der vier großen privaten Energieversorger: RWE , E.on , Vattenfall und EnBW . Die Konzerne verdienen viel Geld mit den Anlagen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten abgeschrieben sind.
Doch nun soll der Klimaschutz Vorrang vor dem Profitgedanken bekommen. Denn je mehr Wind- und erzeugt wird, desto schwieriger ist es, die Erzeugung und den Verbrauch in Balance zu bringen. "Wind- und Solaranlagen richten sich nicht danach, wann Strom genutzt wird, sondern wann der Wind weht oder die Sonne scheint", sagt Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur. Seine Schlussfolgerung: "Deutschland braucht Energiespeicher." Dabei seien Pumpspeicherwerke auf absehbare Zeit die flexibelste, effizienteste und wirtschaftlichste Lösung.
Allerdings haben die Anlagen einen großen Nachteil: Sie benötigen viel Platz, einen Wasserzulauf und ein Gefälle zwischen den Becken. In der dicht besiedelten Bundesrepublik ist es deshalb nahezu unmöglich, Standorte für neue Kraftwerke dieser Art zu finden.
Tief im Berg arbeiten die Turbinen
Der Hotzenwald im Südschwarzwald, eine dicht bewachsene Berglandschaft mit steilen Flanken Richtung Rhein, ist ein solcher Standort. Zumindest in den Augen der Schluchseewerk AG, die hier bis 2018 Deutschlands größtes Pumpspeicherwerk bauen will.
Die Pläne sind gigantisch: Das Wasser soll aus einem 40 Hektar großen Becken senkrecht durch einen 600-Meter-Schacht im Hang stürzen, an dessen Grund mehrere Turbinen tief im Berg Strom erzeugen. Über einen acht Kilometer langen Stollen würde das Wasser dann in den unteren, 60 Hektar großen See ablaufen. Insgesamt eine Milliarde Euro will das Unternehmen in die 1400-Megawatt-Anlage investieren. Sind die Wasserspeicher gefüllt, reicht die erzeugbare Leistung aus, um 1,5 Millionen Haushalte 13 Stunden mit Strom zu versorgen.
Doch zwischen Basel und Waldshut gibt es Protest gegen das Großprojekt. Den lokalen Widerstand bündelt eine Bürgerinitiative, die bereits 450 Mitglieder zählt. Die Gegner, darunter der mächtige Schwarzwaldverein, fürchten um das Landschaftsbild und die Trinkwasserqualität. Auch die Heilquellen im nahen Bad Säckingen sehen sie bedroht. Touristen könnten ausbleiben, wenn das Pumpspeicherwerk kommt, so die Befürchtung.
"Das ist ein massiver Eingriff in die Natur. Wir haben hier 44 Arten, die auf der Roten Liste bedrohter Tiere und Pflanzen stehen, und die durch den Bau gefährdet sind", sagt Jürgen Pritzel von der Bürgerinitiative. Andreas Schmidt, Projektleiter bei der Schluchseewerk AG sieht darin jedoch ein notwendiges Übel für mehr Klimaschutz: "Der Boom bei erneuerbaren Energien verlangt neben dem Netzausbau einen raschen Ausbau von Stromspeichern. Pumpspeicherwerke sind mittelfristig die einzige großtechnische Speichermöglichkeit für Strom."
"Die Energiekonzerne verramschen überflüssigen Strom"
Die Gegner des Projektes glauben diesem Argument nicht: "Das Pumpspeicherwerk läge tausend Kilometer von der Küste entfernt, wo die großen entstehen. Da ist es mehr als logisch, dass es hier nicht um die Speicherung von Windenergie geht, sondern um Kernenergie. Wir haben in Baden-Württemberg ja einige Atomkraftwerke", sagt Pritzel.
In seinen Augen wollen die Eigentümer des Schluchseewerks, das zu 50 Prozent RWE und zu 37,5 Prozent EnBW gehört, die Anlage vor allem bauen, um ihre Kern- und Kohlekraftwerke profitabler zu machen: "Wenn die Nachfrage nach Strom niedrig ist, und zugleich viel Windstrom erzeugt wird, muss der Grundlaststrom aus dem Netz, weil der Windstrom per Gesetz Vorrang hat. Für die Konzerne ist es aber aufwendig, ihre Kraftwerke so zu regeln, dass sie kurzzeitig weniger Strom erzeugen. Deshalb verramschen sie den überflüssigen Strom lieber an der Börse oder bezahlen sogar dafür, dass ihn jemand abnimmt", meint Pritzel von der Bürgerinitiative. Mit dem neuen Pumpspeicherwerk könnten RWE und EnBW den Atom- oder Kohlestrom so lange zwischenspeichern, bis die Nachfrage wieder angezogen habe.
Schmidt von der Schluchseewerk AG weist diesen Vorwurf zurück: "Unser Projekt steht im Zusammenhang mit dem Ausbau der und nicht mit der Kernenergie. Je mehr Strom aus erneuerbaren Energien stammt, desto mehr Stromspeicher werden benötigt. Und umso mehr Strom aus Sonnen- und Windkraft wird im Pumpspeicherwerk gespeichert werden."
Die Anlage soll 100 Jahre laufen
Bürgerinitiativen-Sprecher Pritzel geht allerdings noch weiter. Er ist überzeugt, dass der Energiespeicher gar nicht gebraucht wird. Der Ertrag von Windenergieanlagen lasse sich immer besser prognostizieren, so dass Mittellastkraftwerke, etwa Gasturbinen, Flauten überbrücken können. Auch der Aufbau eines europäischen Netzes werde dazu beitragen, Erzeugung und Verbrauch in die Balance zu bringen. "Das Pumpspeicher-Kraftwerk ist energiewirtschaftlich nicht zwingend notwendig", meint er. "Deshalb sagen wir auch nicht: Baut es bitte woanders. Sondern wir sagen: Es ist überflüssig."
Doch das Projekt verhindern können werden die Bürger wohl kaum. Ob im Schwarzwald bald Atom-, Kohle- oder Ökostrom gespeichert werden wird, ist heute kaum vorherzusagen. Der Energiemarkt wandelt sich rasch. Wie der Strommix 2018, dem Jahr der geplanten Eröffnung der Anlage aussehen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Unter anderem davon, ob die Regierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern wird, ob Kohlekraftwerke dann noch wirtschaftlich sind und ob die erneuerbaren Energien weiterhin so schnell wachsen wie in den vergangenen Jahren.
Allerdings sind das kurzfristige Probleme, wenn man bedenkt, dass die Anlage im Südschwarzwald darauf ausgelegt ist, noch in hundert Jahren Strom zu speichern. Und der wird im Jahr 2118 sicher nicht aus Kohlekraftwerken kommen. Und wohl auch nicht aus Kernreaktoren.