Millionenverlust Opel wird zum Zombie-Konzern

Opel entwickelt sich zum Untoten unter den Autoherstellern. Einen Konkurs muss die Konzernmutter GM um jeden Preis vermeiden, sonst gefährdet sie ihr Europageschäft. Doch um der Traditionsmarke neues Leben einzuhauchen, fehlt das Geld. Jetzt heißt es noch mehr sparen.
Opel-Werk in Bochum: Sanierung nach althergebrachtem Muster

Opel-Werk in Bochum: Sanierung nach althergebrachtem Muster

Foto: Caroline Seidel/ dpa

Berlin - Wenn man Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke zuhört, könnte man glauben, Opel sei eine einzige Erfolgsstory. Für Stracke bedeutet selbst der 750-Millionen-Dollar-Verlust, den die GM-Europa-Tochter 2011 verzeichnen musste, noch einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem Vorjahr. 2010 hatte GM für sein europäisches Geschäft schließlich noch einen Verlust von zwei Milliarden Dollar ausgewiesen.

Aber natürlich weiß auch der Opel-Manager, dass solche Rechenspiele nur für die Galerie taugen. Verlust ist Verlust. Und er fällt umso schmerzlicher ins Auge, als GM am Donnerstag mit 8,3 Milliarden Dollar das beste Ergebnis der Unternehmensgeschichte vorgelegt hat. Opel muss dagegen erneut einräumen, die selbstgesteckten Ziele verfehlt zu haben. Abzüglich der Sanierungskosten hatte man bereits 2011 die Gewinnzone erreichen wollen. Stattdessen nun erneut Millionenverluste.

Seit Wochen schon stellen sich die Opel-Beschäftigten die bange Frage, welche Opfer ihnen bei der jetzt erneut anstehenden Sanierungsrunde abverlangt werden. Von Werksschließungen in Bochum und im britischen Ellesmere Port ist bereits die Rede. Doch von solchen Plänen will Stracke vorerst nichts wissen. Nichts sei bislang entschieden, erklärte er am Donnerstag. Eine Vision hört sich anders an.

Sicher, die Probleme von Opel sind nicht nur hausgemacht. Der ganze europäische Automarkt schwächelt. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Neuzulassungen in Europa nach Angaben des europäischen Herstellerverbands ACEA  um 7,1 Prozent zurück. Die Märkte in Südeuropa verzeichneten durchweg zweistellige Schrumpfungsraten, allen voran Griechenland und Portugal mit rund 30 Prozent. Schlimm für Opel, denn gerade im rezessionsgeplagten Südeuropa waren die Rüsselsheimer bislang stark vertreten. Die Folgen lassen sich an den Absatzzahlen ablesen: Im Januar verkaufte Opel nur noch rund 56.000 Autos, 21,3 Prozent weniger als im gleichen Monat des Vorjahres.

Verkäufe gehen massiv zurück

Ein Fünftel weniger Absatz innerhalb eines Jahres: das hält kein Unternehmen lange durch. Klar also, dass Opel eine erneute Rosskur bevorsteht - zumal die Bosse in Detroit selbst unter enormen Druck stehen, das leidige Problem mit ihrer Europa-Tochter endlich zu lösen. Der amerikanische Staat ist Großaktionär bei GM - und die US-Regierung sieht es äußerst kritisch, dass mit dem Geld amerikanischer Steuerzahler Arbeitsplätze im fernen Europa subventioniert werden.

Auf Solidarität in Detroit kann Opel nicht bauen. Das ist auch den Statthaltern in Rüsselsheim bewusst. "Wir müssen unsere Probleme in Europa selbst lösen", sagt Stracke.

Doch wie könnte eine wirksame Lösungsstrategie aussehen? Die größte Baustelle ist nach wie vor die Modellpalette. Opel hat mit dem Astra nur einen einzigen Bestseller im Programm. Die zum Hoffnungsträger ausgerufene Mittelklasse-Limousine Insignia bleibt hingegen weit hinter den Absatzerwartungen zurück. 2011 fanden lediglich 25.600 Insignia einen Käufer. Selbst biedere Import-Familienkutschen wie der Skoda Oktavia verkaufen sich in Deutschland ungleich besser.

Jetzt kommt es vor allem auf zwei Neuerscheinungen an: Einen kompakten Geländewagen namens Mokka, der auf dem Corsa basiert; und den vorläufig Junior genannten Kleinwagen, der gegen den Up von VW oder den Fiat Cinquecento antreten wird. Endlich ist auch eine neue Motorengeneration absehbar, die dem Trend zu aufgeladenen Motoren mit kleinem Hubraum folgt.

Der technologische Rückstand ist groß

Moderne Getriebe und Technologien zum Spritsparen sucht man aber weiterhin vergebens. Den Opel-Ingenieuren fehlt angesichts chronischer Verluste schlicht das Geld, um leichte Karosserien und moderne Antriebe zu entwickeln - zumal die auf den amerikanischen Markt fixierte Muttergesellschaft GM solchen Aufwand lange Zeit für unnütz hielt.

Einigkeit zwischen Rüsselsheim und Detroit besteht hingegen, wenn es um die Produktionskosten geht: Sie sind viel zu hoch. Nach Berechnungen von Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte und Professor an der Universität Duisburg-Essen, sind die Opel-Werke derzeit zu maximal 75 Prozent ausgelastet - Folge der niedrigen Verkaufszahlen.

Genau gerechnet ist die Situation bei Opel sogar noch dramatischer, als es die offiziellen Verkaufszahlen vermuten lassen. Denn laut Dudenhöffer wurden 42 Prozent der produzierten Autos zunächst auf die Händler oder Opel selbst zugelassen und anschließend als Gebrauchtwagen mit hohen Abschlägen verkauft. Mit dem Trick schönen zwar auch die Konkurrenten ihre Verkaufszahlen, keiner jedoch so stark wie Opel.

Der Knackpunkt bei Opel ist die fehlende Flexibilität in der Produktion. Während andere Autobauer wie Volkswagen, BMW oder Mercedes ihre Werke je nach Bedarf mit der Produktion von verschiedenen Modellen auslasten können, herrscht bei Opel ein nahezu starres System. Dabei böte die Schwestermarke Chevrolet die Möglichkeit, die Lücken auf den Bändern in Bochum oder Rüsselsheim zu füllen. Die Chevrolet-Bestseller Orlando und Cruze, die sich auch in Europa sehr gut verkaufen, nutzen die gleiche Plattform wie Astra und Co. Eine Verlegung der Produktion aus Korea nach Europa sei bereits angedacht, sagte Stracke am Abend. Konkret seien die Pläne aber noch nicht.

Export nach China löst heimische Probleme nicht

Opel-Führung und Betriebsrat fordern von der Konzernmutter immer wieder, dass Opel seine Autos auf mehr Exportmärkten als bisher anbieten müsse. Doch solch ein Schritt dürfte das Renditeproblem kaum lösen. "Wer in China oder Brasilien verkaufen will, muss dort produzieren, schon der Zölle wegen", erklärt Dudenhöffer. "Opel-Werke in China oder Brasilien helfen aber wenig, um die Auslastung der Werke in Rüsselsheim oder Bochum zu verbessern."

Doch ganz gleich, ob es um neue Modelle, flexiblere Produktion oder neue Exportmärkte geht: Keine dieser Strategien wird die über Jahre angestauten Opel-Probleme so schnell lösen, wie es die ungeduldigen GM-Bosse in der Detroiter Konzernzentrale fordern. Wahrscheinlich wird GM seiner Europa-Tochter deshalb eine Rosskur nach althergebrachtem Muster verordnen: Werksschließungen, Entlassungen und Zugeständnisse der Mitarbeiter.

"Die Verhandlungen mit den Vertretern der Belegschaft laufen", sagte Stracke und bat gleichzeitig um Geduld: "Die Gespräche dürften noch einige Monate in Anspruch nehmen." Schwer zu glauben, dass Detroit seinem europäischen Sorgenkind so viel Zeit zur Besserung einräumen wird.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten