
Möglicher Opel-Verkauf Comeback der Angst in Rüsselsheim
Hamburg/Berlin - Den ersten Warnschuss aus den USA hätten die Mitarbeiter bei Opel schon Ende vergangenen Jahres wahrnehmen können. Mit großem Getöse hatten die Konzern-Oberen von General Motors (GM) ihre Vision für die kommenden Jahre skizziert. Das Hauptthema war aber nicht Opel und seine zukünftige Rolle auf den Weltmärkten, sondern die GM-Tochter Chevrolet. Dass damit innerhalb der Konzernfamilie ein echter Rivale für Opel entstehen würde, ließ GM einfach unkommentiert.
Im März dann ließ GM-Boss Dan Akerson in Zeitungsinterviews ungeniert seinen Unmut über die seiner Meinung nach zu kleinen Fortschritte in Rüsselsheim durchblicken. Auf die Frage, wie viel Zeit er Opel noch gebe, sagte er: "Ich bin ungeduldig." Der zweite Warnschuss. Einen dritten dürfte es nicht mehr geben.
Denn schon seit längerem machen die Konzernlenker in Detroit keinen Hehl mehr daraus, dass ihnen die verlustreiche deutsche Tochter zunehmend lästig geworden ist. In den Strategieabteilungen der Konzernzentrale in Detroit deklinieren die Planer bereits eifrig die verschiedenen Möglichkeiten durch - und eine davon hat inzwischen durchaus konkrete Formen angenommen: der Verkauf.
Nun herrscht wieder Alarmstimmung in Rüsselsheim. Kaum berichtete der SPIEGEL am Donnerstag von den neuen möglichen Verkaufsplänen, reagierte auch schon Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke mit dem Versuch, die Wogen zu glätten. In einem internen Schreiben an die Belegschaft bezeichnete er den Bericht als reine Spekulation. Diese Aussage sei auch konzernweit abgestimmt. Im Gegensatz zum Firmenchef vermisste Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz jedoch ein klares Dementi aus der Detroiter Konzernzentrale.
Zähe Sanierung sorgt für Ärger in Detroit
Dieses wird es wohl auch nicht geben. Denn aus Sicht von GM sprechen immer weniger Gründe dafür, den deutschen Patienten noch weiter zu päppeln, wenn wenig Aussicht auf Heilung besteht. Während GM selbst nach seiner Blitzinsolvenz im Jahr 2009 im vergangenen Herbst ein furioses Comeback an der Börse feierte und inzwischen wieder Milliardengewinne erwirtschaftet, verharrt Opel weiter in der Verlustzone. Erste ernstzunehmende Gewinne erwartet das Unternehmen frühestens im kommenden Jahr, die Sanierung ist noch voll im Gange.
Allerdings gibt es erste Anzeichen, dass es besser wird bei Opel. Der Konzern steigerte im Mai in Europa zum siebten Mal in Folge seinen Marktanteil auf nun 6,3 Prozent. Auch die Zahl der verkauften Autos legt stetig zu. Interessant dabei: Neben dem Meriva werden vor allem auch Astras gut verkauft, die im sanierungsbedürftigen Werk Bochum gebaut werden.
Umso härter trifft viele Opel-Mitarbeiter jetzt die Nachricht von einem möglichen Verkauf und sie weckt böse Erinnerungen: GM stand 2009 kurz vor der Pleite und gab seine deutsche Tochter zum Verkauf frei. Die rund 25.000 Opel-Beschäftigten in Deutschland bangten monatelang um ihre Jobs. Am Ende entschied sich der Mutterkonzern jedoch in letzter Sekunde anders und ließ die unterschriftsreifen Verträge mit dem Zulieferer Magna einstampfen. In einer Rosskur trennte sich Opel in der Folge europaweit von 8000 der 48.000 Beschäftigten und machte sein Werk im belgischen Antwerpen dicht. Zuletzt einigten sich Unternehmensführung und Betriebsrat auf einen Personalabbau im Bochumer Werk.
Aussicht auf neue Märkte
Doch auch wenn der Schock tief sitzt: Nach Überzeugung von Fachleuten könnte ein Verkauf den Opelanern am Ende mehr nutzen als schaden. Denn damit böte sich womöglich die Chance, endlich auf Märkten zu reüssieren, die Opel unter GM-Regime bislang verschlossen blieben. Dazu zählen insbesondere China und die wachstumsstarken Märkte in Lateinamerika. "Das Wachstum, das Opel benötigt, um endlich rentabel produzieren zu können, ist in Europa nicht zu schaffen", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Die Konzernzentrale lasse Opel dagegen am langen Arm verhungern, indem GM zum Beispiel der Marke Chevrolet in den entscheidenden Märkten den Vortritt einräume.
Aus Sicht von Bratzel macht es zwar wenig Sinn für die Konzernmutter, Opel angesichts der absehbaren Rückkehr in die Gewinnzone zu verkaufen und damit den europäischen Markt preiszugeben; doch eine vollständige Loslösung erwartet er ohnehin nicht. "Ein möglicher Käufer wird sich wahrscheinlich auf lange Zeit auf eine enge Kooperation mit den Amerikanern einlassen müssen."
Spannend dürfte jedoch zunächst die Frage werden, wer denn überhaupt als Käufer von Opel in Frage käme. Volkswagen wird als möglicher Interessent gehandelt. Der Wolfsburger Konzern könnte so ein Vordringen der chinesischen Konkurrenten auf dem europäischen Markt verhindern. VW-Manager hatten bereits vor zwei Jahren, als Opel offiziell zum Kauf stand, analysiert, ob diese Marke in den Konzernverbund passen würde. Doch Experten räumen VW schon wegen der kartellrechtlichen Problematik nur geringe Chancen ein.
Für einige ausländische Autokonzerne könnte Opel dagegen sehr wohl ein interessanter Kauf sein. Denn damit böte sich die Möglichkeit, sich den mühseligen und teuren Aufbau eines eigenen Vertriebs- und Servicenetzes in Europa zu sparen. Außerdem verfügen die Rüsselsheimer über beträchtliches Know-how, was die Entwicklung von Autos angeht.
Ambitionen in dieser Richtung werden einigen großen Autokonzernen in China nachgesagt. BAIC käme dafür ebenso in Frage wie Geely oder Chery. Sie könnten allesamt auf die Unterstützung der Regierung zählen: Erst zu Jahresbeginn hat Peking noch einmal die Absicht bekräftigt, ein oder zwei Autokonzerne zu formen, die mit den Marktführern weltweit mithalten können.
Großer Nachholbedarf
Ob Opel dabei als Steigbügelhalter dienen kann, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Denn nicht zuletzt wegen der kruden Entwicklungsvorgaben aus Detroit mussten die Ingenieure etliche Projekte liegenlassen, die derzeit zum Standard in der Kompakt- und Mittelklasse gezählt werden. Nach wie vor sind Opel-Autos auch viel zu schwer und die Palette sparsamer Motoren in den verschiedenen Leistungsklassen ist eng begrenzt. Einzig der Elektrowagen Ampera, der dank eines kleinen Verbrennungsmotors - Range Extender genannt - über eine konkurrenzlose Reichweite verfügt, gilt als Renner. Doch sonst hat Opel, was die Modellpalette angeht, großen Nachholbedarf. Während die Konkurrenz die Nischen füllt, müht sich Opel mit Konfektionsware.
Dabei fehlt es den Entwicklungsbüros nicht einmal an kreativen Talenten, glaubt Christoph Stürmer vom Marktforscher IHS Global Insight. Eine lange Leine und in erster Linie Geduld und viel Geld - also Kontrapunkt zum jetzigen GM-Regime - würden dagegen schon viel helfen. Voraussetzung aber sei, dass der mögliche Käufer die Möglichkeit böte, das Know-how gleich für mehrere Marken zu nutzen. Sein Fazit: "Opel muss schon sehr stark wachsen, um wirklich rentabel zu sein."