
Aldi: Die Brüder, die Erben, das Imperium
Nach dem Tod Theo Albrechts "Mehr Kreativität, mehr Flexibilität, mehr Mut"
SPIEGEL ONLINE: Herr Hennerkes, Sie gelten als intimer Kenner vieler deutscher Familienunternehmen. Stürzt Aldi Nord nach dem Tod Theo Albrechts ins große Chaos? Zuletzt war er in der Führung zwar nicht mehr aktiv. Dennoch stand der Gründer wie kaum ein Zweiter für das Prinzip Discount, das den Konzern groß gemacht hat.
Hennerkes: Aldi Nord hat Probleme. Der Discount-Markt in Deutschland ist gesättigt, Konkurrenten wie Lidl oder Netto holen mit größeren Sortimenten und moderneren Läden auf. Aldi wird gejagt, gerade im Norden. Es muss etwas passieren - und selten war die Chance für einen Wandel größer als jetzt nach dem Tod Theo Albrechts. Es drohen aber keine Turbulenzen, jedenfalls nicht sofort.
SPIEGEL ONLINE: Aldi galt doch als großer Innovator. Warum hat das Unternehmen seine Linie verloren?
Hennerkes: So düster sieht es ja auch wieder nicht aus. Beide Teilkonzerne, Nord und Süd, verdienen noch Geld. Die geschätzte Umsatzrendite von fünf Prozent ist sicher kein Krisensymptom. Aber Aldi muss aufpassen, sich nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Wenn Ihnen schon der Pförtner sagt: "Uns geht es ja so gut", müssen die Alarmglocken schrillen. Selbstzufriedenheit ist Gift. Und das hat sich gerade bei Aldi Nord leider zuletzt etwas ausgebreitet.
SPIEGEL ONLINE: Der Patriarch ist fort und alles wird anders. Steht Aldi Nord jetzt der große Wandel bevor?
Hennerkes: Nein, eine Radikalreform wäre auch die falsche Antwort auf den Tod des Gründers. Theo Albrecht hat eine Unternehmenskultur durchgesetzt, die auf Qualität, Vertrauen bei Kunden und Lieferanten sowie auf Kostenbewusstsein basiert. Das zu kippen, wäre ein fataler Fehler.
SPIEGEL ONLINE: Was muss passieren?
Hennerkes: Es muss sanfte Anpassungen geben: Mehr Kreativität, mehr Flexibilität, mehr Mut - und zwar ohne die alten Tugenden aus den Augen zu verlieren. Aldi Nord hat dafür die beste Ausgangslage. Die Eigenkapitalrendite und -ausstattung ist exzellent. Es gibt weder den Zwang, Ergebnisse zu publizieren, noch bremsen Mitbestimmungsregeln. Jetzt ist die Gelegenheit da, um den Wandel einzuleiten.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt Zweifel, ob das gelingt. Bei Aldi Nord hat jetzt Hartmuth Wiesemann das Sagen. Er gilt als Vertrauter Theo Albrechts, der die Vorgaben des Gründers in der Vergangenheit treu umsetzte. Gerade er soll jetzt die Neuausrichtung einleiten?
Hennerkes: Hartmuth Wiesemann wurde von Theo Albrecht ausgewählt. Jetzt aber fehlt ihm der Schutzpatron. Der Druck auf ihn wird wachsen - und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Aldi Nord etwas ändert.
SPIEGEL ONLINE: Hat Theo Albrecht den Führungswechsel versäumt?
Hennerkes: Nicht unbedingt. Wiesemann ist aus meiner Sicht ein Übergangskandidat und kann als solcher mögliche Unruhe nach dem Tod des Patriarchen abmildern. In absehbarer Zeit aber muss ein echter Führungswechsel stattfinden.
SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielen dabei die Kinder? Mit Theo junior und Berthold Albrecht stehen zwei Söhne bereit. Werden sie eine aktivere Rolle einnehmen?
Hennerkes: Damit rechne ich nicht. Beide gelten als zurückhaltende Charaktere. Hätten sie ein echtes unternehmerisches Interesse, wären sie wohl schon längst in der Firma aktiv geworden. Beide Söhne werden eher im Hintergrund die Kultur des Unternehmens sichern. Und da liegt ihre eigentliche Aufgabe jenseits des Alltagsgeschäfts.
SPIEGEL ONLINE: Bei Aldi Süd gibt es eine ähnliche Ausgangslage. Dort stand lange Jahre Theos älterer Bruder Karl Albrecht an der Spitze. Werden die direkten Nachfahren im Süden zum Zuge kommen?
Hennerkes: Ich habe den Sohn Karl Albrechts, Karl junior, kennengelernt: Ein seriöser, geradliniger Mann, aber kein Unternehmertyp. Die Tochter Beate ist aus meiner Sicht die Aktivere. Aber für beide galt bisher ebenso wie für Theos Kinder: Sie agieren im Hintergrund, pflegen das kulturelle Erbe, halten sich aus dem Tagesgeschäft heraus. Das hat auch Vorteile. Die Zurückhaltung verringert die Gefahr von familieninternen Streitereien. Machtkämpfe können Familienunternehmen über Jahre hinweg lähmen und in letzter Instanz die komplette Existenz gefährden.
SPIEGEL ONLINE: Der Fall Aldi zeigt eines der großen Probleme vieler Familienfirmen auf: Die Furcht vor Veränderungen. Ist dieses Unternehmenskonzept in Zeiten von Finanz-, Schulden-, und Wirtschaftskrise für Großkonzerne mit Milliardenumsätzen überhaupt noch zeitgemäß?
Hennerkes: Sicher, Familienkonzerne sind hier besonders anfällig. Viele Patriarchen geben sich mit geringeren Renditen zufrieden als zum Beispiel börsennotierte Unternehmen. Es fehlt schlicht der Druck durch die Anteilseigner für echte Veränderungen. Das kann wichtige Anpassungen und Innovationen ausbremsen. Es gibt aber auch Faktoren, die in Krisenzeiten eindeutig für Familienunternehmen sprechen.
SPIEGEL ONLINE: Und zwar?
Hennerkes: Viele Familienkonzerne haben sehr solide Zahlenwerke. Gewinne werden hier allein schon aus steuerlichen Gründen - bilanziell nicht sichtbar - eher in Firmenwerte investiert, als bei börsennotierten Konzernen. Viele inhabergeführte Firmen sind also besser und stabiler als ihr Ruf. Und das ist gerade in einem schwierigen Umfeld ein Ausweis von Stärke. Außerdem planen Familienunternehmer viel langfristiger als angestellte Manager. Ein Konzern kann davon profitieren, wenn sich die Strategie nicht allein auf den schnellen Gewinn fokussiert.
SPIEGEL ONLINE: Bei allen Problemen: Aldi ist auch eine Erfolgsgeschichte. Theo Albrecht hat es vom Krämer zu einem der reichsten Männer Deutschlands gebracht. Ist so ein Aufstieg wiederholbar?
Hennerkes: So eine Gründergeschichte werden wir in Deutschland wohl nie mehr erleben. Das funktioniert höchstens noch in Boom-Märkten wie Indien und China. Bei uns wachsen Firmen heute zu langsam, um innerhalb einer Generation eine vergleichbare Größe zu bekommen. Aufstrebende Unternehmen werden oft vorher von größeren Wettbewerbern aufgekauft, viele Gründer können der Verlockung großer Summen nicht widerstehen. Aldi ist und bleibt einmalig. Das ist auch das große Verdienst von Theo Albrecht.