Nachhaltige Kleidung aus Berlin Die grüne Mode-Revolution

Modedesigner Wilfried Pletzinger
Foto: Agata Szymanska-Medina / DER SPIEGELDer Modepionier arbeitet in einem Souterrain in der Reinhardtstraße in Berlin-Mitte. Wilfried Pletzinger lässt dort seine Nähmaschine surren. Er verwandelt Altkleider in Couture.
Auf Flohmärkten, in Second-Hand-Läden oder bei eBay fahndet der Modemacher nach alten Sportklamotten. Aus abgetragenen Trainingshosen werden unter Pletzingers kundigen Händen kurze Damenkleider, aus gebrauchten Eishockeytrikots neue Hosen.
Es entstehen Unikate in grellen Farben, gespickt mit bunten Sport-Logos, hochpreisig noch dazu. Dem Designer ist selbst das wichtig: "Solche Preise zu zahlen hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun", sagt er, "ich finde es respektlos, wenn Menschen Kleider kaufen, die sie nach ein paar Mal tragen gleich wieder wegwerfen".
Wilfried Pletzinger macht sogenannte Upcycling-Mode. Aus Altem entsteht Neues, Hochwertiges, Hippes. Der Berliner Designer ist einer der Vorreiter einer grünen Moderevolution. Es ist eine Gegenbewegung zur "Fast Fashion" von Ketten wie H&M, Zara oder Primark, deren kurzlebige Klamotten Mensch und Umwelt belasten.
80 Milliarden Kleidungsstücke - pro Jahr
In Sweatshops schuften unterbezahlte Näherinnen in Bangladesh, Pakistan oder Indien für die Kleider. Chemie und Synthetikfasern belasten die Umwelt. Und die konventionelle Baumwollproduktion verbraucht gewaltige Mengen an Insektiziden, Pestiziden und Wasser. (Lesen Sie mehr dazu im neuen SPIEGEL)
Mode ist zur Wegwerfware verkommen: 80 Milliarden Kleidungsstücke werden jährlich produziert. Drei Viertel davon landen nach einer kurzen Tour durch die Kleiderschränke auf der Müllkippe oder werden verbrannt.
Doch immer mehr Designer wollen das ändern. Vor allem in Berlin, der grünen Modehauptstadt Deutschlands, wächst das Interesse an fair und nachhaltig gefertigten Kleidungsstücken.

Fashion-Studio "Wesen" in Berlin
Foto: Agata Szymanska-Medina/ DER SPIEGEL"Das deutsche Publikum ist bereit für den Wandel", sagt die Designerin Arianna Nicoletti vom Verein "Future Fashion Forward", einem Bündnis für nachhaltige Textilien. "In Berlin gibt es eine Vielzahl von Designern, die nachhaltig arbeiten", sagt sie. Junge Modemacher begeistern hier mit Hosen aus Biobaumwolle und Jacken aus Recycling-Polyester, mit kreislauffähigen Mänteln und eben mit Upcycling-Mode, die aus Second-Hand-Kleidern, Stoffresten oder Ausschussware gefertigt wird.
Einen Eindruck der Vielfalt erhält, wer an einer "Green Fashion Tour" von Nicolettis Verein teilnimmt. An diesem Tag Anfang Dezember geht es durch Berlins Hipster-Hochburg Neukölln. Eine Handvoll Modebegeisterte haben sich angemeldet. Drei Stunden lang führt die Modedesignerin Elke Fiebig durch schicke Boutiquen und Designstudios. Zwischendurch diskutieren die Teilnehmer bei Fair-Trade-Cappuccino die Vor- und Nachteile verschiedener Textil-Produktlabels wie GOTS, BlueSign oder FairWear.
Strumpfhosen aus Fischernetzen, Mützen aus Wollsocken
Nichts erinnert in diesen Läden mehr an ausgeleierte Wollpullis und Hemden aus kratziger Jute. Auf gewienerten Parkettböden stehen gepimpte Oma-Sofas. Die Decken sind hoch, der Stuck der Altbauten ist hell ausgeleuchtet. Junge Designerinnen sitzen an metallenen Vintage-Nähmaschinen und lassen die Nadeln schnurren. Dienstsprache ist Englisch, die Kundschaft international.
Im "Wesen" in der Tellstraße etwa wird die Öko-Kleidung ethisch vorbildlich direkt im Hinterzimmer geschneidert. Vorne gibt es Mützen, deren Wolle von abgelegten Socken stammt, und Schuhe aus Leder, das mit Pflanzenkraft gegerbt wurde.
Ein paar Ecken weiter bei "Dzaino" nähen junge Gründerinnen Taschen aus dem Stoff alter Jeans zusammen. Bei "standard saubere Sachen" gibt es Strumpfhosen, die aus alten Fischernetzen bestehen. Im "Fashion Studio Obst und Gemüse" wiederum hängen elegante Kleider und Blusen, stilvoll und modisch, dem Öko-Image längst entwachsen.
Oder eben bei Wilfried Pletzinger direkt am Friedrichstadtpalast: Die Ärmel einer alten Adidas-Jacke werden bei ihm zu neuen Hosenbeinen, der alte Reißverschluss der Trainingsjacke verschließt die Hosentaschen. "Ich habe eine Beziehung zu vielen meiner Sachen", sagt der Designer, "es gibt Teile, die hängen hier einige Jahre im Laden; aber dann finden sie einen Liebhaber, jemanden, der die Sachen wirklich schätzt."
Pletzingers Upcycling-Mode verlängert die Lebensdauer von Textilien. Die Bio-und Fair-Trade-Klamotten der schicken Berliner Boutiquen verringern Umweltbelastungen und werden unter besseren Arbeitsbedingungen genäht. Für die Massenproduktion sind solche Kleider noch nicht geeignet. Doch es entwickelt sich eine neue Achtsamkeit, freut sich Arianna Nicoletti.
"Als wir vor sieben Jahren angefangen haben, hat noch niemand über nachhaltige Mode gesprochen", sagt die Designerin, "inzwischen ist das Interesse riesengroß".
Slow Fashion ist das Ziel
Alljährlich findet während der Berliner Modewoche im Januar die "Ethical Fashion Show" statt, im April folgt dann die "Fashion Revolution Week", ein Festival für nachhaltige Mode. Mehr als 2000 Menschen seien im letzten April dabei gewesen, berichtet Nicoletti. In Italien studierte sie Modedesign, ging erst nach London, dann nach Berlin. Nicoletti brachten den grünen Modetrend mit in die Spreemetropole und kämpft seither für nachhaltigen Konsum, mit ihrem eigenen Business-Label "Aluc", vor allem aber als Netzwerkerin.
Die Designerin will eine Moderevolution anzetteln, eine "Slow Fashion"-Bewegung. Mehr Wertschätzung wünscht sich Nicoletti, mehr Bewusstsein im Umgang mit Klamotten, ähnlich wie es zunehmend auch in anderen Bereichen, etwa bei der Ernährung, geschieht. "Wir wollen den Leuten wieder beibringen, welchen materiellen und emotionalen Wert Kleidung hat", sagt sie.
Ideen dafür gibt es genug, zum Beispiel im "Bis es mir vom Leibe fällt" in Berlin-Schöneberg: Seit 2011 gibt es das "Veränderungsatelier" in zwei Altbauräumen in der Frankenstraße.
Im Video: SPIEGEL-Redakteur Philip Bethge alias Dr. Phil erklärt den wahren Preis der Mode
"Zu uns kommen Kunden, denen etwas nicht mehr passt oder nicht mehr gefällt", sagt die Textildesignerin Katharina Clauß, die in dem Laden arbeitet. Zusammen mit ihren Kolleginnen überlegt Clauß dann, was mit den alten Klamotten noch geschehen könnte. "Aneignen, anpassen, auffrischen, hochschneidern, reparieren, vereinzigartigen, wachküssen, weiterspinnen" - das Programm des Ladens steht in großen Lettern an einer der Wände geschrieben.
Clauß zeigt ein blaues Kleid, dass aus fünf alten Herrenhosen gefertigt ist, und eine Bluse, deren Kragen aus alten Spitzendeckchen besteht. In "Kleidersprechstunden" ermutigt das Team die Kunden dazu, die "Krise im Kleiderschrank als Chance zu begreifen".
Reparieren ist hier eine "umwelt- und benutzerfreundliche Art zu designen", ein Mittel der Veränderung in einer "reparaturbedürftigen Welt".
"Wenn etwas kaputt geht, ist das kein Makel", sagt Clauß. "Wir wollen den Leuten Lust darauf machen, Neues aus Altem zu schaffen", erklärt sie, "und wir hoffen, dass sich andere damit infizieren lassen."