Navigation für Autos Wettlauf um die Vermessung der Welt

Wenn es um die Mobilität der Zukunft geht, machen Tech-Unternehmen den Autokonzernen oft etwas vor. Doch bei der Navigation spielen diese die Rolle der Jäger - und machen Google und Apple das Revier streitig.
Navigationssystem im Audi TT

Navigationssystem im Audi TT

Foto: Audi

Carsharing? Klar - Car2Go und Drive Now haben den New-Economy-Spirit, aber Uber ist viel cooler. Elektroantrieb? Haben praktisch alle klassischen Autohersteller im Programm. Aber Tesla und wohl bald auch der chinesische Newcomer Byton gelten als die meilenweit enteilten Vorreiter. Autonom fahrende Autos? Google und Apple werden den Premiumherstellern den Rang ablaufen, da sind sich viele Beobachter sicher.

Wenn es um die Zukunft geht, gelten insbesondere deutsche Autokonzerne eher als Todgeweihte. Hartnäckig hält sich das Image, rückwärtsgewandt zu sein und festgefahren in verkrusteten Hierarchien, und viel zu behäbig in der Entscheidungsfindung. Denkbar schlechte Voraussetzungen also, um im Ringen mit den wendigen und kreativen Start-ups zu bestehen, die neue Ideen liefern, wie sich die Mobilität der Zukunft gestalten ließe.

Doch dieses Image bildet nur einen Teil der Wirklichkeit ab - und zwar einen eher kleinen. In vielen Disziplinen können die Premiumhersteller mithalten. Sogar sehr gut. Das beste Beispiel dafür ist der in Berlin ansässige Kartendienst Here, den BMW, Daimler und Audi 2015 für rund 2,5 Milliarden Euro dem finnischen Netzwerkausrüster Nokia abgekauft haben. Nicht zuletzt dank dieses Coups ist das Trio wieder im Rennen, wenn es um das autonom fahrende Auto geht. Keine Frage: Die großen Konkurrenten Google und Apple oder der niederländische Navigationsanbieter Tom Tom bilden die Straßen weltweit noch um einiges detaillierter ab. Doch die Aufholjagd der Berliner lässt den Vorsprung zusehends schmelzen.

Aktualisierung in Echtzeit

Technisch operiert Here mit den Konkurrenten längst auf Augenhöhe. Experten bescheinigen den Karten eine extrem hohe Qualität. Sie erfassen die Umgebung zentimetergenau - mit Straßen, Bürgersteigen und Radwegen, aber auch Verkehrsschildern, Bordsteinen und Leitplanken. Die Datenbasis ist längst so groß, dass das Navigationssystem erkennt, wie stark sich die nächste Kurve krümmt und ob es danach bergauf oder bergab geht. Das System ist sogar über den Fahrbahnbelag informiert.

Die E-Klasse von Mercedes Benz nutzt die Informationen unter anderem zum Spritsparen, aber auch, um die Stoßdämpfer vorzuspannen, wenn die Straße schlechter wird. Der Tempomat reagiert automatisch auf Geschwindigkeitsbegrenzungen und im Ernstfall auch auf den Stau hinter einer Straßenbiegung.

Was das Kartensystem von Here besonders auszeichnet, ist die Möglichkeit, sich selbstständig auf dem neuesten Stand zu halten. Die Basis der Daten bilden Quellen wie Katasterämter, Satelliten- und Luftaufnahmen, oder die Messfahrzeuge nach Art der Google- und Apple-Mobile.

Darüber hinaus liefern die mit den Here-Karten ausgerüsteten Autos regelmäßig Informationen über ihr Umfeld: Von der Reaktion der ABS-Sensoren leitet das System Erkenntnisse über eventuelle Rutschgefahr ab, aktiviert der Regensensor den Scheibenwischer, könnte dies auf Regen oder Schneefall hindeuten. Wenn eine Mindestzahl der beteiligten Autos ähnliche Informationen liefert, gilt sie als gesichert. Die Daten werden dann nahezu in Echtzeit an die an das Netzwerk angeschlossenen Fahrzeuge geschickt. So entsteht eine virtuelle Fahrgemeinschaft, die ihr Wissen teilt.

Schnelles Mobilfunknetz als Basis

Mithilfe des Mobilfunkanbieters Vodafone soll der Datenaustausch jetzt auf eine neue Stufe gehoben werden. "Gemeinsam mit Here entwickeln wir den 5G-Atlas fürs autonome Fahren", sagte Hannes Ametsreiter, Chef von Vodafone Deutschland, bei der Vorstellung der Pläne auf der Technikmesse CES. In ihm kämen hochpräzise Karten mit Echtzeit-Vernetzung zusammen. Den Beitrag, den der Mobilfunker liefern will, ist das neue Netz der fünften Generation, das einen Datenaustausch von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde und Latenzzeiten von weniger als 10 Millisekunden ermöglicht.

Jede der gesammelten Informationen ist elementar wichtig, damit Autos sich eines Tages von allein auf der Straße zurechtfinden und der Computer Veränderungen wahrnimmt, wie es sonst nur ein leibhaftiger Fahrer könnte.

Das Problem ist, dass nicht allein die technischen Herausforderungen enorm groß sind - angesichts des Tempos, den Google und andere vorlegen, stehen die Ingenieure der "deutschen Gruppe" auch noch unter enormem Zeitdruck. Längst testen Uber, Lyft oder die Google-Schwester Waymo ihre Autos in Boston, Las Vegas und Pittsburgh unter Realbedingungen.

57 Billionen Planquadrate für die Welt

Waymo verzichtet in einem Testgebiet in Chandler (Arizona) ganz auf einen Fahrer, der im Notfall das Steuer übernimmt. Einwohner können dort in umgerüsteten Chrysler-Minivans ihre Alltagsfahrten in einem zunächst rund 260 Quadratkilometer großen Gebiet erledigen. General Motors will schon 2019 die ersten Roboter-Taxis auf die Straße bringen. BMW peilt 2021 an.

Bis ein Auto ganz ohne Zutun seiner Insassen um die Welt fahren kann, wird es aber noch eine Weile dauern - schon allein, weil selbst Branchenprimus Google die Erde noch nicht zu 100 Prozent vermessen hat. Auch in den Ballungsräumen fällt das Navigieren manchmal schwer.

Das britische Start-up what3words will genau dafür jetzt eine Lösung gefunden haben. Die Briten teilen die Welt einfach in Planquadrate auf, die eine Seitenlänge von drei Metern haben. Ein Algorithmus ordnet jedem dieser Quadrate eine Kombination aus drei Worten zu und macht es damit unverwechselbar. Das Problem: Der Aufwand ist immens: Bei 510 Millionen Quadratkilometern Planetenoberfläche ergibt das die stolze Zahl von 57 Billionen dieser Quadrate.

Die Daimler-Leute ficht das nicht an. Sie haben sich einen Zehn-Prozent-Anteil an what3words gesichert.

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