Neuer Gaskrieg mit Russland Kiews riskanter Milliarden-Poker

Gasspeicher in der Ukraine: "Signifikante Risiken" für Kunden in Europa
Foto: GLEB GARANICH/ REUTERSDie Kriegserklärung kam trocken daher. Vom "Übergang zum System der Vorauskasse" war die Rede im Statement des russischen Gasriesen Gazprom. Konzern-Sprecher Sergej Kuprijanow brachte es dann etwas später für alle verständlich auf den Punkt: Die Ukraine "zahlt nichts, dementsprechend werden wir auch nichts liefern".
Nach Meldungen ukrainischer Nachrichtenagenturen hat Russland die Gaslieferungen an den krisengeschüttelten Nachbarn bereits eingestellt. Am Montag war ein Gazprom-Ultimatum abgelaufen. Nächtliche Vermittlungsversuche von EU-Energiekommissar Günther Oettinger brachten keinen Durchbruch. Beide Seiten bezichtigten sich gegenseitig der Erpressung. Kiew habe sich "nicht konstruktiv" in den Verhandlungen gezeigt, das werde sich "extrem negativ auf die Wirtschaft der Ukraine auswirken", warnte Russlands Premierminister Dmitrij Medwedew.
Damit steuern Kiew und Moskau auf den dritten Gaskrieg zu, ähnliche Konflikte hatte es bereits 2006 und 2009 gegeben, damals wurden auch Mitgliedstaaten der EU in Mitleidenschaft gezogen. Gazprom-Chef Alexej Miller warnt schon vor "signifikanten Risiken" für Gaslieferungen an Kunden in Europa.
Doch welche Folgen haben die Europäer jetzt im Einzelnen zu befürchten. SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen:
Woran sind die Verhandlungen gescheitert?
Vor allem am Preis, aber nicht nur. Unter Präsident Wiktor Janukowitsch hatte die Ukraine zuletzt 268 Dollar pro tausend Kubikmeter Erdgas bezahlt. Nach dessen Sturz erhöhte Gazprom in zwei Stufen auf 485 Dollar, mehr zahlt kaum ein Land in Europa.
EU-Kommissar Oettinger hatte über Wochen nach Lösungen gesucht. Ein Kompromiss sah 385 Dollar pro Tausend Kubikmeter für ein Jahr vor, das entspricht in etwa dem Preis, den auch Deutschland zahlt (379 Dollar). Die Ukraine lehnte das als zu teuer ab. Kiew störte sich auch daran, dass die russische Regierung den Rabatt per Beschluss festlegen sollte, die Rede war von "politischer Preisbildung".

Gasleitungen: Die Lieferwege für russisches Gas nach Europa
Foto: DER SPIEGELOettinger schlug dann 326 Dollar vor. Die Ukrainer stimmten zu, aber Gazprom nicht. Ungelöst ist auch die Frage der ausstehenden Schulden der Ukraine. Gazprom beziffert sie auf 4,5 Milliarden Dollar, ein Drittel davon stammt aus den Monaten November und Dezember 2013, zwei Drittel liefen nach russischer Ansicht nach der Preiserhöhung im April und Mai auf.
Entscheidend für das Scheitern der Verhandlungen aber dürften die politischen Gräben sein, die sich seit dem Sturz der Regierung Janukowitsch zwischen Russland und der Ukraine gebildet haben.
Warum sind Gasverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine so brisant?
Die Atmosphäre ist seit der Maidan-Revolution vergiftet. Mit der Krim hat die Ukraine auch Gasfelder in der Schwarzmeerregion verloren, die Verluste würde Kiew Moskau am liebsten in Rechnung stellen. Präsident Wladimir Putin hat den ukrainischen Verhandlungsführer vor einem Millionenpublikum im TV als korrupt und käuflich geschmäht. Kiews Energieminister Jurij Prodan habe einen "vielsagenden Namen", so Putin. Prodan bedeutet auf Russisch "verkauft".
Für die Ukraine ist der Gaspreis eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens. Das Land steht vor dem Bankrott, rund 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes muss Kiew für Gasimporte berappen. Umgerechnet auf 1000 Dollar Wirtschaftsleistung verbraucht die Ukraine mehr Energie als jedes andere Land in Europa, das liegt vor allem an alten Maschinen und horrender Energieverschwendung.
Die Ukraine nimmt zehn Prozent aller russischen Gasexporte ab. Hinter Deutschland, der Türkei und Italien ist das Land Gazproms bedeutendster Kunde. Die Ukraine ist darüber hinaus das wichtigste Transitland - knapp 60 Prozent der russischen Erdgas-Exporte nach Europa laufen über ihr Territorium.
Was hat es mit den russischen Rabatten auf sich?
Russland beteuert seit Jahren, Gas nicht zu politischen Zwecken einzusetzen. Dem inzwischen gestürzten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch aber gewährte Moskau mehrfach Rabatte, und zwar als Gegenleistung für politisches Entgegenkommen. Den ersten Nachlass gab es für die Verlängerung des Pachtvertrags der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim, den zweiten als Dank für den Verzicht auf das EU-Assoziierungsabkommen im November 2013.
Die neue, russlandkritische Maidan-Regierung pocht nun ebenfalls auf Preisnachlässe. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim fühlt sie sich im Recht. Außerdem wähnt sie mit der EU und den USA starke Partner an ihrer Seite, die Russland zu einem Einlenken zwingen sollen.
Welche Auswirkungen hat der Gaskrieg für Europa?
Auch wenn viele Politiker die Unabhängigkeit von Moskaus Gas predigen: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Der Anteil von Gazprom-Lieferungen am europäischen Gasverbrauch ist auf 30 Prozent im Jahr 2013 gewachsen, 2012 waren es 26 Prozent. Rund die Hälfte des Exports in die EU fließt durch ukrainische Leitungen.

Gas aus der Tiefe: Unkonventionelle Vorkommen
Lücken in der Versorgung sind mittelfristig dennoch nicht zu befürchten. Gazprom hat versprochen, Lieferverpflichtungen gegenüber EU-Staaten zu erfüllen. Deutschland wird zudem über die Nordstream-Pipeline in der Ostsee versorgt, sie umgeht die Ukraine. Das Bundeswirtschaftsministerium weist daraufhin, dass die Pipeline derzeit nur zu zwei Dritteln ausgelastet sei. "Engpässe könnten so unter anderem über die Nordstream-Pipeline über zusätzliche russische Mengen ausgeglichen werden", sagte eine Sprecherin.
Hinzu kommt der geringe Verbrauch im Sommer. Der letzte Gaskrieg dagegen war im Winter 2009 ausgetragen worden. Die Ukraine zapfte damals für Kunden in Europa bestimmtes Gas aus Transitleitungen ab. In der Folge blieben damals viele Wohnungen in Südeuropa kalt.
Europas Gasspeicher sind zudem gut gefüllt. Die Reservoire in Deutschland fassen bis zu 23 Milliarden Kubikmetern und sollen zu drei Vierteln voll sein. Auch die Ukraine hat Vorräte von 12 bis 14 Milliarden Kubikmetern gebunkert. "Die nächsten Wochen werden kein Problem", sagt Oettinger. Je nachdem wie sich die Ukraine weiter verhalte "hätten wir aber bei einem kalten Winter ein Problem".
Wie geht es weiter?
EU-Kommissar Oettinger will noch im Juni die Verhandlungen wieder aufnehmen. Möglich ist aber auch, dass am Ende Gerichte entscheiden: Denn Gazprom hat eine Klage bei einem internationalen Schiedsgericht in Stockholm eingereicht. Kurz darauf reichte auch der ukrainische Konzern Naftogaz eine Klage gegen "zu hohe Preise" ein. Nach Einschätzung des deutschen Gasexperten Roland Götz aber hat "rechtlich wohl Russland die besseren Karten".