Trübe Aussichten Ökonomen erwarten wegen des Ukrainekriegs noch weniger Wachstum und mehr Inflation

Russlands Angriff auf die Ukraine schwächt die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise in Deutschland stark. Gleich mehrere Wirtschaftsinstitute haben ihre Prognosen deutlich gesenkt.
Containerschiffe in Hamburg: Wirtschaft noch immer unter dem Vor-Corona-Niveau

Containerschiffe in Hamburg: Wirtschaft noch immer unter dem Vor-Corona-Niveau

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Daniel Reinhardt / dpa

Hohe Energiepreise sowie anhaltende Lieferschwierigkeiten: Der Ukrainekrieg und seine Folgen belasten die deutsche Wirtschaft weiter schwer, mehrere Wirtschaftsinstitute blicken daher pessimistischer auf die deutsche Konjunktur und haben ihre Prognosen deshalb eingedampft.

»Die hohe Inflation dämpft die Erholung der Konjunktur«, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Noch immer liege die Wirtschaftsleistung ein Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau von Ende 2019. Immerhin: Die Münchner Forscher rechnen »mit einem allmählichen Rückgang der Rohstoffpreise und der Materialengpässe im zweiten Halbjahr.« Im Juli oder August werde Europas größte Volkswirtschaft ihr vor Ausbruch der Coronapandemie erreichtes Niveau wieder schaffen.

Das Ifo-Institut korrigierte seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf 2,5 Prozent, bisher waren die Experten von 3,1 Prozent ausgegangen. Das in Essen beheimatete RWI nahm seine Vorhersage sogar von 2,5 auf 1,9 Prozent zurück. Die Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) blieben zwar bei ihren schon im März prognostizierten 2,1 Prozent, senkten aber den Ausblick für 2023 von 3,5 auf 3,3 Prozent – während das Ifo-Institut dann mit 3,7 Prozent rechnet.

Ukrainekrieg und Corona-Lockdowns beim wichtigsten Handelspartner China gelten als größte Risiken für deutsche Konjunktur. Beides trägt dazu bei, dass die Verbraucherpreise in diesem Jahr so stark steigen könnten wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland: Waren und Dienstleistungen dürften sich um durchschnittlich 7,4 Prozent verteuern, sagen die IfW-Forscher voraus. Im März waren sie lediglich von 5,8 Prozent ausgegangen. Auch für 2023 hoben sie die Vorhersage kräftig an, und zwar von 3,4 auf 4,2 Prozent. Sie läge dann immer noch mehr als doppelt so hoch wie von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebt, die die Teuerungsrate bei zwei Prozent halten will.

Der mit den hohen Preisen verbundene Kaufkraftverlust der privaten Haushalte habe zu Jahresbeginn zu einem rückläufigen Warenkonsum geführt, so Wollmershäuser. Dank eines spürbaren Anstiegs der Ausgaben für Dienstleistungen sei allerdings der private Konsum insgesamt im ersten Vierteljahr nicht gesunken, sondern stabil geblieben. Die Dienstleistungen entwickelten sich zur maßgeblichen Stütze des Wachstums im laufenden Jahr: Die Normalisierung des Konsums könne besonders zum Wachstum der deutschen Wirtschaft beitragen.

Inflation droht sich zu verfestigen

»Der gegenwärtige Teuerungsdruck ist vor allem auch eine Folge der weltweit massiven Fiskalprogramme während der Pandemiephase«, sagte IfW-Vizepräsident und Konjunkturchef Stefan Kooths. Die bisherigen geldpolitischen Schritte der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisierte er als »viel zu spät« und »zu zaghaft«. Damit steige die Gefahr, »dass sich über höhere Inflationserwartungen die Geldentwertung verfestigt«.

Trotz der hohen Inflation geht das RWI-Institut nicht davon aus, dass sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln. Die Löhne seien zwar zuletzt stärker gestiegen als im Schnitt der vergangenen Jahre. Gleichzeitig ziehe die Inflation kräftig an und erhöhe die Lebenshaltungskosten deutlich. Es sei nicht zu erwarten, dass kommende Lohnsteigerungen mit der Inflationsrate Schritt halten.

Trotz der insgesamt schwierigen konjunkturellen Lage rechnet das Ifo-Institut mit weniger Arbeitslosen. Deren Zahl soll in diesem Jahr um rund 300.000 auf gut 2,3 Millionen sinken und 2023 erneut leicht zurückgehen. Das Loch in der Staatskasse dürfte sich dieses Jahr halbieren – und zwar von 131 auf 65 Milliarden Euro. 2023 soll das Defizit bei nur noch zwölf Milliarden Euro liegen.

Auch auf globaler Ebene wirkten sich Lieferengpässe und Inflation aus: Allein die strikte Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung werde die Weltwirtschaft in diesem Jahr 0,2 Prozentpunkte Wachstum kosten, so das IfW. Insgesamt werde die globale Wirtschaftsleistung in diesem Jahr noch um drei Prozent zulegen, das IfW korrigierte seine Prognose somit um 0,5 Prozentpunkte nach unten. Für das kommende Jahr verringerte das IfW seine Prognose um 0,4 Punkte auf 3,2 Prozent.

apr/AFP/Reuters
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