Trotz Krieg und Krise Drei Gründe, warum der Ölpreis sinkt

Ölfeld im Südirak: Der Staat zerfällt, die Produktion geht weiter
Foto: ATEF HASSAN/ REUTERSHamburg - Am globalen Rohstoffmarkt spielt dieser Tage offenbar die Welt verrückt. Im Irak führt die Terrormiliz "Islamischer Staat" einen barbarischen Krieg ; in Israel bombardiert das Militär den Gaza-Streifen, und die Hamas schickt ihre Raketen inzwischen bis nach Tel Aviv; in Westafrika ist die Ebola-Epidemie außer Kontrolle; und Russland droht wegen der Ukraine-Krise mit steigenden Energiepreisen. Krisen und Kriege beherrschen die wichtigsten Ölförderregionen der Welt - doch die Preise sinken seit Monaten.
Die US-Sorte WTI und das Rohöl der Opec-Staaten kosten schon jetzt weniger als 100 Dollar pro Barrel (159 Liter). Und die für die Märkte so wichtige Nordseesorte Brent ist kurz davor, diese Marke zu unterschreiten. Mitte Juni kostete ein Barrel Brent noch fast 114 Dollar. Auf den ersten Blick erscheint die Entwicklung paradox. Tatsächlich gibt es gute Gründe für sie.
Das Angebot bleibt stabil
Die globale Ölproduktion wurde von den zahlreichen Krisen bisher kaum beeinträchtigt.
- In Israel wird ohnehin kein Öl gefördert. Entsprechend verschlechtert sich durch den Krieg im Gaza-Streifen auch nicht die weltweite Versorgung.
- Das vom Bürgerkrieg gezeichnete Syrien ist in puncto Ölförderung ebenfalls ein Zwerg. Die geschätzte Produktionskapazität betrug selbst vor der politischen Krise gerade 380.000 Barrel pro Tag, was rund 0,4 Prozent des Weltbedarfs entspricht
- Russland ist zwar einer der größten Ölförderländer der Welt. Doch ein Einbruch der Exporte ist trotz Ukraine-Krise kaum wahrscheinlich. Russische Sanktionen gegen die EU und USA sind in diesem Sektor nicht vorgesehen. Und die westlichen Sanktionen werden erst mittelfristig dazu führen, dass Russland Kapital und Technologie für die Ölförderung fehlen. "Auswirkungen werden wohl erst in einigen Jahren sichtbar", sagt der Energiemarktexperte Steffen Bukold vom Branchendienst Energycomment.
- Westafrika leidet zwar unter einer heftigen Ebola-Epidemie. Doch im ölreichen Nigeria wurden erst zwölf Fälle bestätigt. Versorgungsengpässe wären erst zu befürchten, wenn die Epidemie verstärkt auf Nigeria übergreift. Denn dann dürften die für die Förderung so wichtigen ausländischen Fachkräfte aus dem Land gebracht werden.
In anderen wichtigen Förderländern hat sich die Lage zuletzt sogar verbessert.
- In Iran deutet sich eine Aufweichung des Ölembargos an, das die USA und die EU vor gut zwei Jahren verhängt haben, um Teheran zur Aufgabe seines Atomprogramms zu bewegen.
- In Libyen sind die Ölexporte trotz des Bürgerkriegs zuletzt wieder gestiegen, weil einige Häfen und Ölfelder wieder in Betrieb genommen werden konnten.
- In den USA legt die Ölproduktion dank umstrittener neuer Fördermethoden zu, in Kanada die Produktion aus Ölsanden.
Die Nachfrage ist gesunken
Während das Ölangebot trotz Krisen stabil bleibt, ist die Nachfrage zuletzt zurückgegangen. Im vierten Quartal 2013 lag sie nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) noch bei 92,7 Millionen Barrel pro Tag, im zweiten Quartal 2014 waren es eine Million Barrel weniger.
Für den Rückgang gibt es zwei Hauptgründe. Erstens sinkt die Nachfrage in den wärmeren Monaten ohnehin, zweitens herrscht in vielen Ländern der Welt Wirtschaftsflaute. In der Eurozone stagnierte die Wirtschaft im zweiten Quartal, in Japan brach sie heftig ein, Schwellenländer wie Brasilien und China wachsen langsamer.
Im Irak ist die Ölförderung - noch - stabil
Die größten Sorgen bereitet Experten derzeit die Lage im Irak. Die irakischen Ölexporte sind für die Stabilität der Weltmarktpreise höchst bedeutsam. Doch der Staat zerfällt. Im Norden versuchen die Kurden, sich abzuspalten, im Zentrum des Landes hat die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) die Macht übernommen.
Bisher hat die Krise die Ölproduktion kaum beeinträchtigt. Denn ein Großteil der Förderung befindet sich im Süden des Landes, den die Regierung weiterhin unter Kontrolle hat. Und im Norden ist, seit die Kurden den Ölexport mehr und mehr an sich reißen, zwar die Rechtslage unklar - der Rohstoff aber fließt weiter durch die Pipelines.
Die IS-Milizen sollen derzeit nur eine Tagesproduktion von 80.000 Barrel kontrollieren, damit würden 2,5 Prozent der irakischen Ölexporte wegfallen. Wenn überhaupt: Denn auch die Terrororganisation versucht, den Rohstoff zu verkaufen - und soll kleine Mengen angeblich schon verkauft haben. Immerhin könnte sie dadurch rund acht Millionen Dollar pro Tag verdienen.
Eigentlich will sich der Irak in den kommenden Jahren zur neuen Ölsupermacht aufschwingen. Energieminister Hussain al-Shahristani will die Produktion bis 2020 von derzeit drei auf rund sechs Millionen Barrel pro Tag steigern, bis 2035 gar auf 8,3 Millionen Barrel.
Regierungen und Unternehmen setzen große Hoffnungen in diese Pläne. Denn die globale Nachfrage wird nach IEA-Schätzungen auf absehbare Zeit jedes Jahr um gut eine Million Barrel pro Tag zunehmen. Das zusätzliche Öl soll aus dem Irak kommen.
"Andere Förderländer werden die stetig steigende Nachfrage auf lange Sicht nicht decken können", sagt Energieexperte Bukold. "Ein Dauerkonflikt im Irak wird die Ölexporte bremsen. Das wird sich über kurz oder lang auch bei den Ölpreisen zeigen."