
Oetker-Gruppe im Nationalsozialismus: Enge Bande zum Regime
Industrielle im Nationalsozialismus "Zwischen Oetker und das Regime passte kein Blatt Papier"
Hamburg - "Er war Nationalsozialist": Mit diesen Worten charakterisiert August Oetker, langjähriger Chef des Familienkonzerns, seinen Vater und Vorgänger an der Firmenspitze, Rudolf-August Oetker. Erst nach dessen Tod im Jahr 2007 drängte sein Sohn darauf, die braune Vergangenheit der Backpulver- und Pudding-Dynastie wissenschaftlich untersuchen zu lassen.
Von 2009 an werteten der renommierte Münchner Historiker Andreas Wirsching sowie die Nachwuchswissenschaftler Sven Keller und Jürgen Finger im Auftrag der Familie zahlreiche bis dahin unerschlossene Quellen aus. Finanziert wurde die Studie von der Oetker-Gruppe selbst. Das Ergebnis dieser Untersuchung erscheint nun als Buch mit dem Titel "Dr. Oetker und der Nationalsozialismus".
Im Interview spricht Forschungsleiter Wirsching über die Befunde und die Zusammenarbeit mit der Familie Oetker.
SPIEGEL ONLINE: Herr Wirsching, Sie haben drei Jahre lang die Geschichte der Oetkers im Nationalsozialismus erforscht. Wie braun war Dr. Oetker?
Wirsching: Zwischen Oetker und das NS-Regime passte kein Blatt Papier. Das gilt für die Familie wie für das Unternehmen. Wir haben keinen einzigen Beleg für eine Abgrenzung gefunden. Eine Schlüsselrolle spielte Rudolf-August Oetkers Stiefvater Richard Kaselowsky, der das Unternehmen von 1921 an führte. Kaselowsky steht exemplarisch für die Entwicklung eines konservativen Liberalen zu einem glühenden Anhänger des Nationalsozialismus.
SPIEGEL ONLINE: Wie zeigte sich das?
Wirsching: Er war stolz, Mitglied im Freundeskreis Reichsführer-SS zu sein, einem Berater- und Unterstützergremium der obersten SS-Führung. Als absolutes Highlight empfand Kaselowsky, Hitler persönlich vorgestellt zu werden. Diese Haltung teilte Kaselowsky mit seinem Stiefsohn Rudolf-August Oetker, der sich freiwillig zur Waffen-SS meldete und nach dem Krieg jahrzehntelang an der Spitze des Konzerns stand.
SPIEGEL ONLINE: Was machte die Oetkers so anfällig für die NS-Ideologie?
Wirsching: Eine besonders wichtige Schnittstelle war die betriebliche Sozialpolitik. Dr. Oetker hatte eine lange Tradition einer paternalistischen, autoritär-fürsorglichen Unternehmensphilosophie. Das passte sehr gut zum Führerprinzip und Antikommunismus der Nationalsozialisten. Es ist kein Zufall, dass Dr. Oetker 1937 zu einem der ersten nationalsozialistischen Musterbetriebe gekürt wurde.
SPIEGEL ONLINE: Abgesehen von dieser ideologischen Nähe - haben sich die Oetkers im Nationalsozialismus konkreter Verbrechen schuldig gemacht?
Wirsching: Bei den Zwangsarbeitern ist der Befund zwiespältig. Für das Stammwerk in Bielefeld, wo Nährmittel - also etwa Back- und Puddingpulver - produziert wurden, gibt es keinen Beleg für den Einsatz von Zwangsarbeitern. Dort arbeiteten hauptsächlich Frauen, die nicht an die Front und dementsprechend auch nicht ersetzt werden mussten. Bei vielen Unternehmen, an denen die Familie substantiell beteiligt war, gab es aber Zwangsarbeit in erheblichem Umfang, etwa bei der Nähmaschinenfabrik Koch's Adler oder der Chemischen Fabrik Budenheim. Deshalb hatte Oetker auch im Jahr 2000 in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter eingezahlt.
SPIEGEL ONLINE: Und bei den Arisierungen, dem Raub jüdischen Eigentums?
Wirsching: In einem gewissen Umfang hat sich die Familie bereichert, privat und geschäftlich. So kaufte Rudolf-August sehr günstig eine Villa in bester Lage in Hamburg, deren jüdischer Besitzer aus dem Land getrieben wurde. Später erwarb er das Nachbargrundstück, das dem jüdischen Ehepaar Lipmann gehört hatte. Sein Stiefvater und Firmenchef Kaselowsky hatte auch keinerlei Bedenken, Unternehmen beziehungsweise Unternehmensanteile äußerst günstig zu kaufen, die Juden zwangsweise aufgeben mussten. Ein Beispiel ist die Brauerei Groterjan. Sie war der Beginn des Einstiegs in den Getränke- und Brauereibereich, der heute ein wichtiger Teil der Oetker-Gruppe ist.
SPIEGEL ONLINE: Die Oetker-Gruppe mit ihren zahlreichen Firmen in verschiedenen Branchen macht heute elf Milliarden Euro Umsatz. Wäre das ohne die Bereicherung in der NS-Zeit denkbar?
Wirsching: Der oetkersche Reichtum beruht nicht entscheidend auf den Arisierungen oder Gewinnen aus der Kriegswirtschaft. Die einzige Ausnahme ist das Brauereiwesen. Da stellte die Arisierung tatsächlich eine Initialzündung dar.
SPIEGEL ONLINE: Das Ergebnis Ihrer Forschung ist kein Ruhmesblatt für die Oetkers. Hat die Familie versucht, Einfluss auf Ihre Arbeit zu nehmen?
Wirsching: Im Gegenteil. Als wir von der Familie beauftragt wurden, war Voraussetzung, dass wir vollkommen offenen Zugang zu allen verfügbaren Unterlagen erhalten. Es gab zum Beispiel einen Bestand von rund 70 Umzugskisten aus dem Keller der Bielefelder Zentrale, in der die Korrespondenz der Firmenführung aus jener Zeit, vor allem von Richard Kaselowsky, schlummerte. Ohne diese Quellen wären wir zu vielen wichtigen Erkenntnissen nicht gekommen.
SPIEGEL ONLINE: Bereits 1968 gab es in Bielefeld, dem Stammsitz der Oetkers, massive Proteste wegen der NS-Vergangenheit Kaselowskys. Rudolf-August hatte angekündigt, der Stadt ein Kunsthaus zu stiften - unter der Bedingung, dass es nach seinem Stiefvater benannt würde. Wieso hat es noch einmal 45 Jahre gedauert, bis sich die Familie ihrer Vergangenheit stellte?
Wirsching: Rudolf-August Oetker wollte es einfach nicht. Er sah Kaselowsky als seinen Vater und verehrte ihn, zudem war er ja selbst während der NS-Zeit voll auf Linie. Jedes Ansinnen in diese Richtung blockte Rudolf-August bis zu seinem Tod 2007 ab. Außerdem war der öffentliche Druck nicht so stark, weil Dr. Oetker kein Rüstungsunternehmen war. Das ist der Unterschied zu den Quandts oder den Flicks: Oetkers Backpulver und Pudding waren schlicht nicht kriegsrelevant.
Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching: "Dr. Oetker und der Nationalsozialismus - Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945". Verlag C.H.Beck, München; 624 Seiten; 29,95 Euro. Erscheinungstag: 21. Oktober 2013