Managementstil von Oliver Samwer "Rocket sucht Soldaten, keine Kapitäne"

Rocket-Chef Oliver Samwer: Ohne Schnörkel und Filter
Foto: Hannelore Foerster/ Getty ImagesEin Chef, der in seinem gläsernen Büro Strichlisten führt, wer vor ein Uhr morgens nach Hause geht. Der seine Leute im Büro einschließt, bis ein bestimmtes Projekt abgeschlossen ist. Der sich im Ton vergreift und Mitarbeiter feuert, sobald sie nicht die geforderte Höchstleistung erbringen. Das alles sind Anekdoten über Rocket-Internet-CEO Oliver Samwer. Belegen lassen sich die meisten nicht, dennoch halten sich derlei Geschichten hartnäckig - auch weil viele ehemalige und sogar noch treue Samwer-Anhänger Ähnliches im Vertrauen erzählen.
Nach gängiger Lesart des Personalmanagements bekommt ein Unternehmer, der so mit seinen zumeist hochqualifizierten Angestellten umgeht, schnell ein Problem: zu wenige bewerben sich noch, zu viele kündigen - und die Besten gehen zuerst. Doch bei Rocket Internet scheint davon wenig zu spüren zu sein. Nach eigenen Angaben gehen dort monatlich etwa 4000 Bewerbungen ein. Warum ist das Unternehmen trotz Samwers Brutalo-Managements bei Bewerbern so beliebt?
Bei Rocket Internet war am Donnerstag zu dieser Frage keine Stellungnahme zu kriegen. Doch die Geschichten um den harten Umgangston in Firmen, die von den Samwer-Brüdern betreut werden, kursieren schon seit Langem. Spätestens mit seiner "Blitzkriegs"-Mail, die Oliver Samwer 2012 an seine Mitarbeiter schickte und in der er unter anderem mit Blut geschriebene Unterschriften forderte, wurde die Haltung des selbst ernannten "aggressivsten Manns im Internet" öffentlich.
Kultur der harten Arbeit
Das harte Image könnte den Brüdern aber gerade bei der Rekrutierung von leistungshungrigen Nachwuchsmanagern nutzen: "Man hätte denken können, dass die Berichterstattung zu der 'Blitzkriegs-Mail' sich negativ ausgewirkt hätte - aber das Gegenteil war der Fall: Auf potenzielle Mitarbeiter und Geschäftspartner wirkte das besonders engagiert", sagt Joel Kaczmarek, Autor des Buchs "Die Paten des Internets" über die Samwer-Brüder. "Das Image von Rocket wirkt anziehend auf Leute, die arbeitsintensive Umfelder suchen."
Bastian Purrer ist so einer. Er hat vier Jahre lang für die Samwers das Marketing verschiedener Firmen vor allem in Südostasien betreut. Rückblickend sagt er: "Ich habe extrem positive Erfahrungen mit Rocket gemacht. Schon ein Jahr nach meinem Bachelorabschluss konnte ich mich im Ausland beweisen, in schnell wachsenden Start-ups, zusammen mit jungen Menschen - das hat mein Leben spannend gemacht." Natürlich sei Rocket nicht für jeden etwas. "Es ist eine Kultur, in der harte Arbeit gefordert wird, wie es in Start-ups allgemein häufig der Fall ist." Andererseits locke das Image Leute an, die bereit seien, vollen Einsatz zu geben. "Und es schreckt die ab, die man sowieso nicht haben will."
Man will bei Rocket keine Ausdiskutierer und Work-Life-Balance-Optimierer. Die idealen Kandidaten, das seien die "insecure overachiever", übersetzt etwa: die unsicheren Höchstleister, die Angst haben, zu versagen, und deshalb besonders hart arbeiten, sagt ein ehemaliger Manager der Berliner Holding, der anonym bleiben möchte. "Ihnen wird das Gefühl gegeben, dass sie Unternehmer sind, aber eigentlich sind sie Manager." Anders als Gründer müssten sie sich um viele Dinge keine Gedanken machen, etwa woher das Kapital kommt. "Rocket sucht Soldaten, keine Kapitäne. Die Mitarbeiter sollen ausführen und sich keine Gedanken über die Strategie der nächsten drei Jahre machen", sagt der Ex-Mitarbeiter.
Ohne Schnörkel und Filter
Arbeitswütigen stehen dennoch viele Türen offen: In den 16 Stunden und mehr, in denen sie arbeiten, bauen sie ganze Firmen mit auf, statt nur in Besprechungen zu sitzen oder Präsentationen zu basteln; eine Wirkungsmacht, von der viele Konzern-Trainees oder junge Unternehmensberater nur träumen können. Der Preis dafür: "Im Umgang sind die Samwers sehr direkt, das mag nicht jeder. Die sagen dir, was sie von dir und deiner Arbeit halten, ohne Schnörkel oder Filter", sagt Purrer. "Klar ist Oliver super-aggressiv, aber das ermöglicht ihm, Dutzende Unternehmen weltweit zu führen. Er schafft Arbeitsplätze auf der ganzen Welt und bringt E-Commerce in Schwellenländer, in die sich sonst niemand getraut hat."
Kaczmarek berichtet in seinem Buch allerdings von drastischeren Zwischenfällen. So zitiert er einen ehemaligen Mitarbeiter, der aus der Zeit berichtet, in der die Samwers den Klingeltonanbieter Jamba führten: "Es war praktisch an der Tagesordnung, dass Oliver Samwer cholerische Tobsuchtanfälle bekam, während derer er durchaus auch handgreiflich wurde." Oft habe er Mitarbeiter von hinten an die Schulter gegriffen und sie durchgerüttelt, wenn er auf ihrem Bildschirm etwas gesehen hatte, das ihm missfiel. "Insgesamt hatten Oliver Samwers Übergriffe Kalkül, es lag ihm dran, andere psychologisch einzuschüchtern", heißt es weiter.
Dass dennoch jeden Monat Tausende Bewerbungen bei der Start-up-Schmiede eingehen, findet Linus Dahlander verständlich: "Beim Militär ist es ähnlich", sagt der Professor an der Berliner Managementhochschule ESMT, "da wollen auch viele in die härteste Truppe. Die Leute suchen einfach die ultimative Herausforderung." Da sei es nur logisch, wenn sich die Menschen, die sich beweisen und messen wollen, auch dem Unternehmen mit dem härtesten Image anschließen. "Außerdem versprechen sie sich damit eine Abkürzung zum Erfolg." Dafür müssten sie sich eben auch einstecken können.
Keine moralischen Bedenken
Eine Chance zu bekommen, ist die eine Sache - nicht nach ein paar Wochen wieder gefeuert zu werden, eine andere. "In der Regel werden die Leute bei Rocket innerhalb von zehn Minuten eingestellt. Der Auswahlprozess beginnt, wenn die Leute an Bord sind", sagt der ehemalige Manager. "Rocket hat keine moralischen Bedenken, jemanden bei McKinsey rauszuholen und nach drei Monaten wieder auf die Straße zu setzen." Dass Rocket gerne bei der Unternehmensberatung rekrutiert, sei bekannt, sagt Dahlander. Der Grund: Die Leute sind hartes Arbeiten gewohnt, der Druck ist ähnlich groß. Ein McKinsey-Sprecher möchte dazu auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE nichts sagen.
Ex-Rocket-Manager Purrer führt das harte Image der Samwers auf andere Gründe zurück: "Natürlich gibt es auch Kritikpunkte, aber gerade unter den lautesten Kritikern finden sich viele Neider und Leute, die es bei Rocket nicht geschafft haben", sagt er. "Davon sollte sich Rocket nicht beirren lassen."