Autobauer in der Krise Opel-Belegschaft fürchtet Radikalkur durch neuen Chef

Opel-Mitarbeiter in Bochum bei einer Betriebsversammlung im Mai 2012: Ungewisse Zukunft
Foto: Roland Weihrauch/ dpaÜberraschende Wechsel an der Führungsspitze von Opel haben inzwischen Tradition. Der Rücktritt von Vorstandschef Karl-Friedrich Stracke allerdings machte selbst die Experten sprachlos, die den Konzern laufend intensiv beobachten. Er sei "aus allen Wolken gefallen" als er von dem Rücktritt gehört habe, sagte der Leiter des Center of Automotive an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, Stefan Bratzel. Er habe noch vor wenigen Wochen mit Stracke gesprochen, und dabei sei dieser "fest davon überzeugt gewesen", die Opel-Sanierung zum Erfolg führen zu können.
Nach Nick Reilly ist Stracke nun der zweite Opel-Chef, der an den Vorgaben aus Detroit scheitert. Der 56-Jährige war erst im Januar dieses Jahres zum Europachef von GM aufgerückt, seit April 2011 leitete er die Geschicke von Opel. "Seine Versuche, das Unternehmen neu zu ordnen und wieder in die Gewinnzone zu führen, waren offensichtlich zu halbherzig", mutmaßt ein Beobachter. "Das ging denen in Detroit zu langsam."
Tatsächlich waren die Vorgaben der harten Hunde in der US-Konzernzentrale eine echte Herausforderung. Vor zwei Wochen hatte der Aufsichtsrat zwar noch ein umfassendes Sanierungskonzept gebilligt, doch danach verweigerten Betriebsrat und IG Metall Stracke die Zustimmung. Der Geduldsfaden in Detroit riss.
Stracke wollte den Mitarbeitern bis 2016 ihre Jobs garantieren. Außerdem umfasst sein Sanierungsplan Milliardeninvestitionen in neue Modelle wie den Astra, den Kompakt-SUV Mokka und den Kleinwagen Adam sowie in neue sparsamere Motoren. Sponsor-Gelder für die Bundesliga sollten das Markenimage wieder schärfen und den Export ausweiten. An welcher Stelle er Einsparungen erzielen wollte, um die Milliarden-Investitionen zu finanzieren, darüber redete Stracke weniger.
Kein Standort ist sicher
Das Sparen muss jetzt Stracke-Nachfolger Stephen Girsky erledigen. Der sieht sich zwar nur als Opel-Chef für den Übergang; er gilt jedoch nicht als Manager mit Langmut. GM-Vize Girsky dürfte den Arbeitnehmervertretern denn auch weit härter gegenübertreten als sein Vorgänger. Im Raum stehen derzeit weitere Werksschließungen und Massenentlassungen. Die Zahlen sind seit längerem bekannt: 30 Prozent der Kapazitäten müssten abgebaut werden, um einen Drei-Schicht-Betrieb in den restlichen Werken zu ermöglichen. Das wird ohne die komplette Schließung einzelner Standorte nicht gehen. Als besonders gefährdet gilt in diesem Zusammenhang das Werk in Bochum.
Doch eine wirklich sichere Zukunft hat eigentlich keiner der Standorte, weder Ellesmere Port in Großbritannien noch die Werke in Eisenach - und auch nicht die einstige Unternehmenszentrale in Rüsselsheim. Hier steht zwar das Entwicklungszentrum, das die Technologie auch für die Konzernschwestern liefert. Doch eine Garantie lässt sich daraus nicht ableiten. Denn ungeachtet der neuen Modelle schrumpft die Modellpalette im GM-Konzern. Die Zahl der Fahrzeugplattformen wird nach SPIEGEL-Informationen einem internen Plan zufolge bis 2018 von derzeit 30 auf weniger als die Hälfte verringert. Es soll kaum noch Modelle geben, die speziell für einen Markt wie Europa entwickelt werden.
Einen Vorgeschmack auf die künftige Entwicklung liefert der Blick auf die Situation der Konkurrenten. Sie leiden als Massenhersteller unter dem starken Rückgang der Nachfrage, insbesondere in den Krisenstaaten Südeuropas. Seit dem Rekordjahr 2007 fiel der Autoabsatz in der EU um fast 25 Prozent. Fiat musste bereits 2011 sein Werk Termini Imerese auf Sizilien aufgegeben, das Hauptwerk in Turin ist nach Presseberichten wegen schlechter Auslastung weiter bedroht - ebenso wie auch ein Werk in Norditalien. Ford hat bereits seine Produktionskapazität in Europa gesenkt. In Deutschland wurde außerdem Kurzarbeit beantragt. Renault plant nach Medienmeldungen einen Stellenabbau im Werk Flins nahe Paris.
Hoffen auf die Franzosen
Hoffnung bietet für die Opel-Beschäftigten allenfalls die Kooperation mit PSA Peugeot Citroën. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete, gibt es Überlegungen, die zwei Mittelklasselimousinen des französischen Konzerns künftig in Rüsselsheim bauen zu lassen. Dabei solle es sich um den Peugeot 508 und den Citroën C5 handeln.
Doch auch bei PSA nimmt die Krise inzwischen alarmierende Ausmaße an. Nach den massiven Absatzeinbrüchen der vergangenen Monate verkündeten die Franzosen am Donnerstag den Abbau von 8000 Stellen. Ein großes Werk nahe Paris soll geschlossen werden.
Auch die Pläne GMs zum Ausbau der Kapazitäten in Osteuropa werten Experten als schlechtes Zeichen für die Standorte in den Hochlohnländern. Bis 2016 sollen 300.000 Fahrzeuge zusätzlich aus Werken in Mexiko, Korea und China nach Europa exportiert werden. Für die Traditionsstandorte bleibt da kaum noch Raum, die Hoffnung auf eine Auftragfertigung für die Schwestermarke Chevrolet dürfte Illusion bleiben.
Girsky fällt nun die Aufgabe zu, den Opelanern die bitteren Nachrichten zu überbringen. Angst davor dürfte er kaum haben. Er gilt als Mann des offenen Wortes. Erst jüngst forderte er die Belegschaft auf, ihre Verlierermentalität abzulegen. Keine Frage - die Ankunft Girskys läutet die Finalrunde für Opel ein. Entweder gelingt die Trendwende, oder der Traditionskonzern wird von der Bildfläche verschwinden.