Konjunktur in Zeiten des Terrors Die Angst bedroht den Aufschwung
Die Anschläge von Paris treffen die Wirtschaft in einer ohnehin schwierigen Phase: Die Verunsicherung ist groß, investiert wird wenig. Die Folgen könnten gravierend werden - auch für Deutschland.
Als der Terror die Metropole traf, begann die Wirtschaft sich einzuigeln. Die Manager waren derart verunsichert, dass sie sich kaum noch trauten, in die Zukunft zu investieren. Statt Geld für neue Maschinen, Gebäude oder Patente auszugeben, legten sie es lieber beiseite: Sie bildeten große Barreserven - wer wusste schon, wie es weitergehen würde? Eine mehrjährige wirtschaftliche Schwächephase schloss sich an. Erst dank massiver staatlicher Geldinfusionen kam die Konjunktur wieder auf Trab.
So war das nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Die Wirtschaft war ohnehin schon geschwächt, durch die Terrorakte wurde sie in Schockstarre versetzt. Zu beobachten war diese Reaktion insbesondere in den USA. Die Unternehmen dort legten gigantische Geldspeicher an, um für weitere Rückschläge gewappnet zu sein. Die Barmittel der Konzerne stiegen in den folgenden drei Jahren um rund 60 Prozent, so eine aktuelle Studie von Credit Suisse. Auch in Europa waren die Erschütterungen spürbar. In Deutschland dauerte es drei Jahre, bis die Investitionen wieder zum Wirtschaftswachstum beitrugen.
Die Parallelen zur Gegenwart sind unübersehbar. Die mörderischen Anschläge von Paris treffen Europa in einem Moment, da die Wirtschaft immer noch nachhaltig verunsichert ist. Ein schwächlicher Aufschwung ändert nichts daran, dass viele Länder ökonomisch nach wie vor im Krisenmodus operieren. Die Terrorangst verunsichert zusätzlich - möglicherweise mit erheblichen Folgen für die Konjunktur.
Gerade die deutsche Industrie wirkt anfällig. Die Unternehmen haben ohnehin zu kämpfen: Die Nachfrage aus China bröckelt; der größte Autokonzern Europas (Volkswagen) befindet sich nach den Abgasskandalen in einer tiefgreifenden Krise; die Stromkonzerne (E.on, RWE) sind durch die Energiewende schwer getroffen. Dazu kommt das aktuelle politische Umfeld: Das Bild, das die Europäische Union akut in der Flüchtlingskrise und latent in der Eurokrise abgibt, wirkt nicht gerade vertrauenserweckend: Wenn nach und nach wieder Grenzkontrollen eingeführt werden, kann man schon mal die Stabilität des Binnenmarktes in Frage stellen.
- Die deutsche Industrie steckt in einer Umbruchphase. Das macht sie verwundbar.
Die Verunsicherung lässt sich beziffern: Der Ifo-Geschäftsklimaindex fürs verarbeitende Gewerbe liegt deutlich unter den Niveaus früherer Aufschwungphasen (neue Zahlen gibt es Dienstag). Entsprechend wenig investieren die Unternehmen. Als der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kurz vor den Terroranschlägen Mitte vorvergangener Woche sein Jahresgutachten vorlegte, ging er bereits davon aus, dass die Ausgaben für Maschinen und Anlagen um nur 4,5 Prozent steigen werden. Eine schwache Leistung: "Angesichts der ansonsten guten Konjunktur und der niedrigen Zinsen", so die Fünf Weisen, sei das "eine im historischen Vergleich wenig dynamische Entwicklung".
Die Industrie wird zur Konjunkturbremse. Während binnenorientierte Branchen wie Handel und Bau das Wachstum treiben, trägt die Industrie derzeit fast nichts dazu bei. Aber die Produktion von Gütern ist nun mal jener Sektor, der in Deutschland nach wie vor so groß ist wie in keinem anderen vergleichbaren Land.
- Das ist die ernüchternde Ausgangslage. Nun kommt durch den Terror ein zusätzliches Unsicherheitsmoment hinzu.
Es stimmt schon: Die Terrorgefahr ist seit Langem präsent. Spätestens seit dem Bombenattentat von Madrid 2004 ist klar, dass auch Europa keine friedliche Insel ist. Deshalb ist das Überraschungsmoment nicht so groß wie 2001. So schrecklich nun die Pariser Angriffe sein mögen: Sie bestätigen eine Bedrohungslage, die Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft seit Jahren bekannt ist. Die New Yorker Terroranschläge hingegen kamen am 11. September aus heiterem Himmel. Entsprechend gravierend war damals die Schockwirkung, auch auf die Wirtschaft.
Dennoch ist die Gefahr ökonomischer Folgeschäden womöglich sogar größer als 2001. Denn zum einen ist das weltwirtschaftliche Umfeld schwach. Zum anderen können die Staaten negative Überraschungen kaum noch abfedern.
Nordamerika, Westeuropa und nun auch die Schwellenländer sitzen auf riesigen Schuldenbergen, die die ökonomische Dynamik drosseln. Länder wie Brasilien, die vor Kurzem noch als kommende Weltwirtschaftsmächte gefeiert wurden, werden von heftigen Krisen geschüttelt. Die Globalisierung in ihrer bisherigen Form stößt an Grenzen. Welche Technologien und Trends die Wirtschaft künftig treiben werden, ist unklar.
Entsprechend verhalten sich viele Manager: Im Zweifel gehen sie lieber keine Risiken ein, investieren nicht, legen stattdessen riesige Cashpuffer an, schütten Gewinne in bislang unerreichten Größenordnungen aus. Allein US-Konzerne dürften ihren Aktionären dieses Jahr mehr als eine Billion Dollar in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen überweisen. Auch in Europa wissen viele Unternehmen nicht recht, in was sie investieren sollen und schütten Gewinne lieber aus, als sie in die Zukunft zu investieren. Der globale Kapitalismus - er wirkt derzeit reichlich orientierungslos.
2001 waren die Regierungen noch handlungsfähig
2001 war das ganz anders: Die Schwellenländer standen gerade erst am Anfang eines absehbar langen Booms. Internet und Biotech wirkten noch neu - große Versprechen auf eine segens- und ertragreiche Zukunft.
Die Wirtschaftspolitiker ihrerseits waren in der Lage, ökonomische Schocks abzudämpfen. In Washington und London wurden die Staatsausgaben hemmungslos in die Höhe getrieben und dafür kräftig Schulden gemacht. Auch die Regierungen in Berlin und Paris ließen die Defizite anschwellen und scherten sich nicht um den Euro-Stabilitätspakt. Parallel dazu senkten die Notenbanken beiderseits des Atlantiks die Zinsen drastisch. Ein konzertierter Großeingriff in die Wirtschaft, der letztlich den globalen Boom Mitte der Nullerjahre befeuerte.
Heute hingegen sind die staatlichen Reaktionsmöglichkeiten dürftig. Die öffentlichen Schuldenstände in vielen reichen Ländern haben besorgniserregende Höhen erreicht, sodass kaum Spielräume für weitere defizitfinanzierte Konjunkturprogramme bleiben. Die Notenbanken haben die Zinsen gen Null gesenkt und ihrer Kreativität bei der Entwicklung neuer geldpolitischer Instrumente freien Raum gelassen. Ob weitere Maßnahmen - etwa zusätzliche Anleihekäufe durch die EZB, die ihr Präsident Mario Draghi in Aussicht gestellt hat - tatsächlich noch die Wirtschaft anzukurbeln vermögen, ist umstritten. Kurz: Den Konjunkturpolitikern geht die Munition aus.
Bislang haben die Börsen die Anschläge achselzuckend zur Kenntnis genommen. Kein Crash, nirgends. Daraus jedoch zu schließen, sie hätten keine Auswirkungen auf die reale Wirtschaft, wäre ein folgenschwerer Irrtum.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche:
Montag
Brüssel - Stabi-Pakt und Co. - Die Euro-Gruppe beugt sich bei einem Sondertreffen noch mal über die Haushaltspläne der Euroländer.
Hamburg - Staatsakt - Trauerfeier für Helmut Schmidt. Mit dabei: Gauck, Merkel, Kissinger
Dienstag
Washington - Beistand - Gemeinsames Vorgehen gegen den IS: Frankreichs Präsident Hollande besucht US-Präsident Obama
Berlin - Unendliches Jobwunder? - Deutscher Arbeitgebertag in Zeiten millionenfacher Zuwanderung
Berlin - Dichter-und-Denker-Vergleich - Vorstellung des OECD-Berichts "Bildung auf einen Blick 2015"
München/Wiesbaden - Deutsche Konjunktur - Das Ifo-Institut veröffentlicht den Geschäftsklimaindex für November. Das Statistische Bundesamt legt Details zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im dritten Quartal vor.
Paris - Französische Konjunktur - Neue Daten zum Geschäftsklima im November
Mittwoch
Frankfurt - Deutschland im Crashtest - Die Bundesbank stellt ihren Bericht zur Finanzstabilität vor.
Donnerstag
Moskau - Neue Nähe - Nach den Terroranschlägen von Paris besucht Frankreichs Präsident Hollande den russischen Präsidenten Putin.
Frankfurt - Sachdienlicher Hinweis - Die EZB veröffentlicht Daten zur Entwicklung der Geldmenge M3 in der Eurozone im Oktober. Börsenstrategen werden daraus Rückschlüsse auf die nächsten geldpolitischen Entscheidungen übernächste Woche ziehen.
Freitag
Brüssel - Abstimmung - Die EU-Außenminister tagen. Drängende Themen gibt es reichlich: Terror, Flüchtlinge, Assad, Putin, Erdogan
Brüssel - Euro-Stimmung - Neue Daten zu Wirtschaftsvertrauen, Geschäftsklima, Verbrauchervertrauen in der Eurozone.
- Institut für Journalistik, TU Dortmund