Polemik Wie man blitzschnell eine Marke abwrackt

Der einst erfolgreichste Autokonzern der Welt zerlegt sich derzeit in atemberaubendem Tempo. Von Toyota kann jedes Unternehmen etwas lernen - es ist ein Lehrbuchfall misslungener Krisenkommunikation. Thomas Hillenbrand erklärt, wie auch Sie Ihre Marke binnen kürzester Zeit abwracken.
Zerfetzte Toyota-Flagge: Ein Lehrbuchfall für misslungene Krisenkommunikation

Zerfetzte Toyota-Flagge: Ein Lehrbuchfall für misslungene Krisenkommunikation

Foto: © Johannes Eisele / Reuters/ REUTERS

Hamburg - Unternehmerischer Erfolg ist ein bisschen wie Schlittenfahren. Zum Gipfel zu stapfen ist beschwerlich und dauert sehr lange. Wenn man einmal oben ist, kommt man dafür schnell wieder runter - mitunter viel schneller, als einem lieb ist.

Nirgendwo ist dieses Phänomen derzeit besser zu besichtigen als bei Toyota. Der japanische Autokonzern war branchenweit Qualitätsführer, Marktführer, Innovationsführer und so weiter. Inzwischen gleicht Toyotas Image eher einer Corolla-Lackierung nach stundenlangem Hagelschlag. Die Kunden fliehen, die Aktie taumelt, die Anwälte wetzen die Messer.

Sind Sie neidisch auf so viel unternehmerische Dynamik? Schon ein bisschen, oder?

Keine Sorge: Was Toyota kann, das können Sie auch. Wenn Sie unserem Fünf-Punkte-Plan zur Krisenkommunikation folgen, dann kann auch Ihre funkelnde Premiummarke schon morgen von gestern sein.

Bevor es losgeht, müssen Sie Ihren Markenartikler nur noch schnell in eine Krise epischen Ausmaßes manövrieren. Der klingt diffizil, ist aber ganz einfach. Irgendwann baut schließlich immer irgendwer Mist und konstruiert ein Auto oder eine Waschmaschine so, dass das Produkt massenhaft versagt.

Warten Sie einfach, bis das passiert. Dann stecken Sie die Finger in die Ohren und tun ansonsten nichts. Sie werden sehen: Die Mega-Krise ist schneller da, als Sie denken. Jetzt können Sie krisenkommunikativ voll loslegen.

Punkt 1: Verstecken Sie Ihren Vorstandschef

Einige PR-Profis raten: Wenn man millionenfach Produkte zurückruft, dann gehört der Boss vor die Kamera und zwar schnell - so wie damals Ford-Chef Jac Nasser, nachdem seine Autos wegen kaputter Reifen aus der Kurve flogen. Der war schneller im Fernsehen, als Sie "Detroit" sagen können.

Folgen Sie diesem Rat auf keinen Fall! Verweisen Sie stattdessen darauf, dass Ihr CEO sich grundsätzlich nie zu Rückrufen oder anderen Detailproblemen äußert. Wenn er zu solchen Dingen etwas sagen wollte, dann wäre er schließlich Pressesprecher geworden. Das wird der Öffentlichkeit Vertrauen einflößen.

Wenn die Presse weiter hartnäckig nachfragt, was Ihr Vorstandschef während der größten Krise der Unternehmensgeschichte eigentlich den ganzen Tag macht, dann erklären Sie einfach, der Boss übe sich in der Konzerntradition des "genchi genbutsu". Das wird die Journalisten beeindrucken.

Und falls es sich gar nicht vermeiden lässt, den Chef vor eine Kamera zu schieben, dann stellen Sie um Gottes Willen zumindest sicher, dass ihn niemand versteht. Selbst wenn er in den USA studiert hat, sollte er jetzt auf keinen Fall Englisch sprechen! Das wirkt nämlich, als wolle er sich anbiedern.

Stellen Sie außerdem sicher, dass es keine Übersetzer gibt, so dass CNN die Pressekonferenz im Original ausstrahlen muss, mit dem Hinweis "No Translation".

Punkt 2: Große Probleme erfordern winzige Lösungen

Als die A-Klasse von Mercedes beim Elchtest umkippte, stoppte Daimler umgehend die gesamte Produktion und baute nachträglich ein schweinemäßig teures, elektronisches Stabilitätssystem in alle Autos ein. Machen Sie nicht den gleichen Fehler!

Klemmen beispielsweise Ihre Gaspedale, dann tauschen Sie diese auf keinen Fall aus. Das erwarten die Kunden und die Medien zwar - aber die haben, unter uns gesagt, ja nicht mal ein Ingenieursdiplom und sind folglich nur bedingt ernst zu nehmen.

Machen Sie stattdessen nur das aus Sicht Ihrer Techniker Allernötigste aus - setzen Sie zum Beispiel ein kleines Metallplättchen ein. Alternativ können Sie Ihren Kunden einfach raten, ohne Fußmatte zu fahren oder nicht mehr so fest aufs Gas zu drücken. Das dokumentiert Ihren Sinn für Details und ist auch viel billiger.

Wenn sich später herausstellen sollte, dass das technische Problem doch woanders lag - dann starten Sie halt einen neuen Rückruf.

Punkt 3: Erst kommt die Börse, dann der Kunde

Wenn man - wie Toyota in den USA - mehr Autos zurückruft als man überhaupt baut, dann wird die Börse schnell nervös. Sie müssen der Wall Street jetzt dringend einen schmackhaften Brocken hinwerfen. Am besten, Sie erhöhen flugs ihre Gewinnprognose.

Erzählen Sie den Analysten, dass sie nach wie vor im Geld schwimmen - und dass kaputte Bremsen, klemmende Gaspedale oder enttäuschte Kunden daran auch nichts ändern werden.

Qualitätsprobleme und hohe Gewinne zur gleichen Zeit? Einige Ihrer Kommunikationsberater werden einwenden, das Timing für solch eine Jubelnachricht sei denkbar schlecht gewählt. Hören Sie einfach weg. Diese Typen haben keine Ahnung.

Punkt 4: Zeit nehmen - nicht von der Presse treiben lassen

Lassen Sie sich von der Sensationspresse nicht das Heft aus der Hand nehmen. Ziehen Sie stattdessen Ihren im zweiwöchigen E-Mail-Umlaufverfahren zwischen weltweit 34 Pressestellen abgestimmten Kommunikationsplan eisern durch - komme, was da wolle.

Was kümmert es Sie, dass irgendein nassforscher Reporter den geplanten Rückruf ihres Ökoautos schon vier Tage vor dem anvisierten Datum vermeldet? Bestätigen Sie nichts, selbst wenn es stimmt. Schließlich müssen Sie erst einmal die Fahrgestellnummern auszählen - eine Arbeit, bei der man sich nicht hetzen lassen sollte.

Punkt 5: Es gibt noch andere Dinge im Leben

Rückruf, Rückruf, Rückruf - das ist ein bisschen monothematisch, oder? Wenn Sie sich nur noch mit Ihren defekten Produkten beschäftigen, dann kommunizieren Sie die völlig falsche Message.

Schaffen Sie sich auch in bewegten Zeiten Freiraum für andere Dinge. Ihr Vorstandschef sollte mit gutem Beispiel vorangehen und zum Weltwirtschaftsforum in Davos fliegen. Wann, wenn nicht jetzt ist der richtige Zeitpunkt für ein paar grundlegende Gedanken zur Wirtschaftsethik? Man wird Ihren CEO für seine demonstrative Gelassenheit bewundern.

Auch ganz wichtig: Zeigen Sie den Nervensägen von der Presse, dass es neben dem langweiligen Rückruf noch viele andere schöne Themen gibt, über die man auch mal berichten könnte. Verschicken Sie zum Beispiel eine Pressemitteilung zu Ihrer unternehmensinternen Tombola  oder informieren Sie die Medien über die Schoko-Sonderedition Ihres Kleinwagens . So etwas interessiert die Leute immer.

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