
Asien: Explodierende Preise, endlose Schlangen
Preisexplosion bei Lebensmitteln Asien fürchtet Hungersnot
"Es reicht gerade so", sagt Moshikur Hasan über seinen Verdienst. Er kramt in seiner Geldbörse und zieht ein paar uralte, zerbröselnde Geldscheine hervor. 200 Taka hat der 30-Jährige an diesem Tag eingenommen, umgerechnet zwei Euro.
Hasan ist Fahrer einer Fahrradrikscha in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Auf dem Weg nach Hause, in ein Armenviertel am Stadtrand, wird er an einem Gemüsestand halten und für 150 Taka Gemüse und eine Handvoll Reis kaufen, damit seine Frau, die drei Kinder und er etwas zu essen haben. "Wir haben uns längst daran gewöhnt, auf Fleisch, Eier und Milchprodukte zu verzichten."
In weiten Teilen Asiens grassiert eine Inflation, die Lebensmittel fast unbezahlbar macht. Zwar sind die Preise für Nahrungsmittel weltweit auf Rekordniveau geklettert - höher als bei der Lebensmittelkrise im Frühjahr 2008 -, aber so starke Steigerungen wie in Bangladesch, Indien und Pakistan sind kaum woanders zu verzeichnen. Wie Moshikur Hasan müssen die meisten Menschen in diesen Ländern 80 Prozent und mehr ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden. Zum Vergleich: In Deutschland, wo das Statistische Bundesamt gerade einen Preisschub bei Lebensmitteln bekanntgab, sind es gerade einmal zehn Prozent.
Die Mehrheit in Asien lebt ohnehin in Armut, entsprechend hart trifft die Teuerung die Menschen. In Indien, wo nach Uno-Schätzungen etwa 40 Prozent der rund 1,2 Milliarden Einwohner mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen, haben die Kosten für Lebensmittel im Vergleich zum Vorjahr fast 20 Prozent zugenommen. Gemüse verteuerte sich sogar noch stärker (siehe Tabelle).
Preissteigerung in Indien, zweites Quartal 2010*
Produktgruppe | Preissteigerung in Prozent |
---|---|
Inflation gesamt | 8,8 |
Lebensmittel | 20 |
Eier | 20 |
Fleisch | 20 |
Fisch | 20 |
Gemüse | 25 |
Zwiebeln | 300 |
Was dies bedeutet, macht ein einfaches Rechenbeispiel deutlich: Wenn man weniger als 100 Euro im Monat verdient, wie die große Masse der Menschen in Indien, und wenn man 80 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel ausgeben muss - dann geht eine Preissteigerung um 20 Prozent wirklich an die Substanz.
Die Entwicklung bringt Politiker in die Bredouille, die täglich versprechen, die Preise würden bald sinken. "Die Inflation bei den Nahrungsmittelpreisen ist inakzeptabel", schimpfte Indiens Finanzminister Pranab Mukherjee am Mittwoch und kündigte Gespräche mit Politikern aus allen Teilen des Landes an.
"Zwiebelkrise" lässt indische Politiker zittern
Die indischen Zeitungen schreiben schon von einer "Zwiebelkrise", da sich der Preis für dieses Gemüse innerhalb weniger Monate verdreifacht hat. Zwiebeln sind eine Hauptzutat für die meisten Currys. Steigende Zwiebelpreise alarmieren deshalb alle Politiker, sie können die Karriere beenden. So musste der Regierungschef von Neu-Delhi, Sahib Singh Verma, 1998 zurücktreten, weil auch damals die Zwiebelpreise astronomisch gestiegen waren. Verma hatte es gewagt, den Armen zu raten, ihr Essen eben ohne Zwiebeln zu kochen.
Im Nachbarland Pakistan sind die Kosten für Mehl, Gemüse, Obst, Speiseöl, Linsen, Milch, Eier und Fleisch so stark gestiegen, dass manche Politiker von einer "existentiellen Krise" sprechen. Schon im Frühjahr 2010 widmete sich das pakistanische Nachrichtenmagazin "Herald" der Kostenexplosion auf dem Lebensmittelmarkt. "Die wahren Kosten der Inflation" hieß die Titelgeschichte. Menschen würden an Mangelernährung sterben, zitiert das Magazin einen Arzt in Islamabad. Und ein Polizist, der nur 8500 Rupien im Monat, also etwa 70 Euro verdiene, sei geradezu darauf angewiesen, Bestechungsgelder anzunehmen, um seine Familie zu ernähren.
Ende Juli überrollte auch noch eine Flutkatastrophe Pakistan, etwa ein Fünftel des Landes stand unter Wasser. Ackerflächen und Viehbestände wurden zerstört, erneut stiegen die Preise für Nahrungsmittel dramatisch: in der Regel um 100, in manchen Regionen um bis zu 300 Prozent. In diesem Jahr, wenn das ganze Ausmaß der Ernteausfälle deutlich wird, dürften sie noch weiter nach oben klettern. Skrupellose Geschäftsleute nutzen die Gelegenheit, zusätzlich etwas draufzuschlagen und das mit der Flut zu begründen.
"Risiko gewalttätiger Auseinandersetzungen"
Aber auch anderswo in Asien ist die Entwicklung besorgniserregend: In Vietnam kostet Reis doppelt so viel wie vor wenigen Monaten, in China hat die Regierung die steigenden Preise zur Chefsache erklärt und, wie in Indien, Getreide und Reis aus staatlichen Reserven auf den Markt geworfen, um das Angebot zu erhöhen und die Preise zu drücken.
Die Vereinten Nationen warnen bereits vor Unruhen wie zuletzt 2008, als Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika auf die Straßen gingen und ihrer Wut freien Lauf ließen. Anfang des Jahres sagte Abdolreza Abbassian, Ökonom und Getreideexperte bei der Uno-Welternährungsorganisation FAO, man müsse mit Ausschreitungen rechnen. "Je länger die Preise oben sind, desto höher ist das Risiko, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen wegen nicht bezahlbarer Nahrungsmittel kommt", sagte er der Nachrichtenagentur Dow Jones. Sollten die hohen Preise weiter steigen, womit bis zum Sommer zu rechnen ist, drohten in ärmeren Ländern Proteste und Unruhen, heißt es bei der FAO. In vielen Ländern müsse man sich auf eine Hungersnot oder zumindest eine Welle von Krankheiten durch Mangelernährung gefasst machen.
Hoffnungen auf sinkende Preise machen weder die Uno noch die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): In ihrem "Agricultural Outlook 2010" heißt es, dass die Preise für Getreide bis 2020 je nach Sorte um durchschnittlich 15 bis 40 Prozent zulegen würden.
Wachsende Weltbevölkerung, neue Essgewohnheiten
Für die hohen Preise macht die Uno vor allem die ungünstigen Wetterbedingungen und die damit verbundenen Ernteausfälle verantwortlich. Erosion, Versalzung und unzureichende Bewässerung machten jährlich Hunderttausende von Hektar Anbaufläche unbrauchbar. Naturkatastrophen wie die Überschwemmung in Pakistan und die Waldbrände in Russland haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu einer Verknappung des Angebots im Großhandel mit Getreide, Saaten und Futtermittel geführt - und damit zu einer Preissteigerung um durchschnittlich 20 Prozent beigetragen. Hinzu kommt, dass der Anbau von Biokraftstoffen immer mehr die Lebensmittelproduktion verdrängt. Außerdem verteuern gestiegene Energiepreise die landwirtschaftliche Produktion und damit die Lebensmittel.
Experten sehen aber auch im wachsenden Wohlstand Asiens und den damit veränderten Ernährungsgewohnheiten eine Ursache für die Verknappung. In China wird beispielsweise fünfmal mehr Fleisch verzehrt als vor drei Jahrzehnten. Während die Produktion an Lebensmitteln global stagniert, wächst die Weltbevölkerung um jährlich bis zu 80 Millionen Menschen. Ob sich die Produktion mit Hilfe der Gentechnik ankurbeln lässt, ist umstritten.
Rikschafahrer Moshikur Hasan aus Dhaka hat, um sein Überleben zu sichern, eine drastische Lösung gefunden: Seit ein paar Tagen bereitet seine Frau nur noch zwei Mahlzeiten am Tag zu, Frühstück und Abendessen. Das Frühstück besteht meist aus Fladenbrot, das am Vorabend übriggeblieben ist.