Prozess gegen UBS-Banker "Den Löwen zum Fraß vorgeworfen"

Ex-Banker Adoboli: Er agierte, als ob die Regeln nicht zählten
Foto: STEFAN WERMUTH/ REUTERSJohn Hughes ist nervös. Er schwitzt, fährt sich immer wieder durch die langen Haare. Irgendwann hält er es nicht mehr aus. "Darf ich mein Jackett ausziehen?", fragt er den Richter. Der nickt. Hughes legt die Jacke ab, krempelt die Hemdsärmel hoch. "Okay", sagt er. "Ich bin bereit."
Der junge Brite war bis vor einem Jahr Wertpapierhändler bei der Schweizer Großbank UBS in der Londoner City. Am Donnerstag steht er im Zeugenstand in Gerichtssaal Nummer drei des Southwark Crown Court. Er war der engste Kollege von Kweku Adoboli, der vergangenes Jahr der UBS einen Rekord-Handelsverlust von 2,3 Milliarden Dollar eingebrockt hat. Nun ist er einer der wichtigsten Zeugen im Prozess gegen den Skandalhändler.
Im Zentrum des Prozesses steht die Frage: War Adoboli ein "Rogue Trader", der allein handelte, oder wurden seine Zockereien von seinen Chefs geduldet, gar ermutigt?
Die Staatsanwältin Sasha Wass argumentiert, dass Adoboli ein "Zocker" und "Meisterbetrüger" sei. Ein Mann mit krimineller Energie, der seine Kollegen in der Bank jahrelang hinters Licht geführt habe. Doch die Aussage des UBS-Insiders Hughes lässt erhebliche Zweifel an dieser These aufkommen.
Von 2006 bis September 2011 saßen Adoboli und Hughes gemeinsam auf dem Londoner Trading-Floor der Schweizer Bank. Sie handelten mit ETFs, Exchange Traded Funds. Sie waren Kumpels, feuerten sich gegenseitig an - per Chat während der Arbeit, per SMS in der Freizeit. "Du bist eine Legende", lobte Hughes seinen Kollegen, wenn er mal wieder einen großen Profit gemacht hatte. "Ich liebe dich."
Buchungssystem namens "Regenschirm"
Adoboli wird vorgeworfen, von 2008 bis zu seiner Festnahme am 14. September 2011 die Handelsbilanz der Bank mit imaginären Profiten und Handelspartnern gefälscht zu haben. So konnte er die tägliche Handelsobergrenze von 100 Millionen Dollar umgehen und heimlich mit Milliarden spekulieren. Dazu bediente er sich eines separaten Buchungssystems, das er "Regenschirm" nannte.
Im Kreuzverhör erklärte Hughes am Donnerstag, er habe seit Januar 2011 von Adobolis "Regenschirm" gewusst. Die beiden anderen Kollegen am Desk seien seit dem 16. Februar 2011 eingeweiht gewesen. Statt die Regelverstöße zu melden, ließen sie Adoboli gewähren - und freuten sich, wenn die Profite aus den ungesicherten Zockergeschäften gelegentlich in die Bilanz ihres Desks flossen.
Das Quartett habe sich als die "vier Musketiere" gesehen, erklärte Adobolis Anwalt Sherrard vor Gericht. "Einer für alle, alle für einen". Adoboli war der unbestrittene Star. Er sei ein "besessener Trader" gewesen, der auch bei großen Einsätzen keine Bauchschmerzen bekam, sagte Hughes. "Sie haben seine Eier bewundert?", fragte Sherrard. "Ja."
Der Prozess, der vor zwei Wochen begonnen hat, bietet faszinierende Einblicke in den Maschinenraum des Kapitals. Adoboli und Hughes genossen offenbar riesige Freiheiten. Sie waren die ranghöchsten Trader am Desk, und ihr direkter Vorgesetzter seit April 2011, John DiBacco, saß weit weg in New York.
Einmal informierte Adoboli seinen Chef per E-Mail, dass er die Handelsobergrenze verletzt habe. Er war an jenem Tag zeitweilig eine Position von 200 Millionen Dollar eingegangen. Dafür habe er aber einen Profit von sechs Millionen Dollar gemacht, schrieb Adoboli. DiBaccos Antwort auf den krassen Regelverstoß: "Well done." Später schickte er noch eine sanfte Rüge hinterher: Nächstes Mal wolle er vorher Bescheid wissen. DiBacco sagte dem Gericht, die Londoner Händler seien aggressiver als ihre New Yorker Kollegen gewesen. "Ich war überrascht über die Größe ihrer Positionen."
"Kein glamouröser Job"
Die ersten Zeugenaussagen dürften dem UBS-Management kaum gefallen, verstärken sie doch den Eindruck, dass die Risikokontrollen in der Bank mangelhaft waren. Auch die Einstellungskriterien dürften hinterfragt werden. Hughes berichtete, er sei direkt nach dem College eingestellt worden, habe ein kurzes Training "on the job" erhalten, bevor er auf die Märkte losgelassen wurde. "Es ist kein besonders glamouröser Job", sagt er. "Es steckt nicht viel dahinter. Der Markt geht hoch oder runter."
Die Verteidigung argumentiert, dass Adoboli kein schwarzes Schaf, sondern vielmehr ein typisches Produkt der UBS-Risikokultur gewesen sei. Verteidiger Paul Garlick präsentierte diese Woche einen Artikel mit der Überschrift "Ossie's Casino" aus dem Wirtschaftsmagazin "The Economist" von 2009. "Ossie" war der interne Spitzname des damaligen Vorstandschefs Oswald Grübel. "Ich will, dass wir mehr Risiko eingehen und härter handeln", hatte er damals als Parole ausgegeben.
Grübel war Anfang 2009 als Krisenmanager geholt worden, nachdem die Bank 2008 einen Jahresverlust von 50 Milliarden Franken gemacht hatte und vom Staat gerettet werden musste. Er gab das Ziel aus, binnen fünf Jahren wieder einen Vorsteuergewinn von 15 Milliarden Franken zu erwirtschaften. Die Kehrtwende sollte unter anderem durch mehr Eigenhandel erreicht werden. Beim Eigenhandel spekuliert die Bank nicht mit dem Geld ihrer Kunden, sondern mit dem eigenen Geld. Das ist riskanter, aber auch lukrativer.
Grübels Ansage habe ihre Wirkung auf die Mitarbeiter nicht verfehlt, sagte Phillip Allison, Chef der Cash-Equities-Abteilung, dem Londoner Gericht. Wegen der Finanzkrise 2007 hätten die Händler verlernt, Risiken einzugehen. "Wir haben versucht, Risiko wieder einzuführen", sagte Allison. Der Eigenhandel sollte auf zehn Prozent des Gesamtgeschäfts erhöht werden. Denn es sei nun mal so: "Wenn eine Bank kein Risiko eingeht, ist es sehr schwer, Geld zu verdienen."
Allerdings wies Allison die Unterstellung der Verteidigung zurück, dass die Risikokontrollen unter Grübel gelockert wurden. Man habe sogar noch mehr darauf geachtet als zuvor, sagte er. Die Führung habe nie signalisiert, dass Regelverstöße akzeptabel seien.
Ungedeckte Positionen von mehr als acht Milliarden Dollar
Dagegen steht nun Hughes' Aussage, dass die Handelsobergrenzen eher lax gewesen seien. Adoboli jedenfalls agierte, als ob die Regeln nicht zählten. Sein "Regenschirm" wurde immer größer. Am Tag seiner Festnahme am 14. September 2011 beliefen sich seine ungedeckten Positionen auf mehr als acht Milliarden Dollar. Nach der Abwicklung aller Geschäfte blieb ein realer Verlust von 2,3 Milliarden Dollar für die Bank.
Adoboli ist wegen Betrugs in zwei Fällen und Bilanzfälschung in zwei Fällen angeklagt. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Doch will er offensichtlich nicht allein bestraft werden. Die Verteidigung erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bank. Die drei anderen Trader an seinem Desk hätten Adoboli am 14. September "den Löwen zum Fraß vorgeworfen", sagte Sherrard. Sie alle hätten mitgemacht. Auch gebe es noch mehrere solcher "Regenschirme" in der UBS.
Das halbe Dutzend UBS-Vertreter im Gerichtssaal verfolgte die Anschuldigungen mit versteinerter Miene. Sie wissen: Wenn Insider plaudern, um ihre eigene Haut zu retten, wird es brandgefährlich. Am Freitag geht das Kreuzverhör von Hughes weiter.