Prozess gegen Hedgefonds-Milliardär "Von unserer Unterhaltung darf keiner erfahren"

Raj Rajaratnam: Der Angeklagte wird wohl weiter schweigen
Foto: BRENDAN MCDERMID/ REUTERSDer Angeklagte sitzt nicht vorne auf der Anklagebank. Der lange Tisch ist besetzt von sieben Anwälten der Großkanzlei Akin Gump Strauss Hauer & Feld, die Laptops und Aktenordner vor sich ausgebreitet haben. Ihr prominenter Klient, der Hedgefonds-Milliardär Raj Rajaratnam, verschwindet in der dritten Reihe, von wo aus er das Geschehen verfolgt, meist mit stillem Lächeln.
Die seltsame Sitzordnung im Verhandlungssaal 17B des Daniel Patrick Moynihan Courthouse in Lower Manhattan reflektiert die Einzigartigkeit dieses Prozesses: Das Verfahren gegen Rajaratnam ist der größte Insiderhandel-Thriller in der Geschichte der Wall Street. Der 53-jährige Gründer der Hedgefonds-Gruppe Galleon, ein gebürtiger Tamile, ist angeklagt, sich durch verbotene Tipps und Mauscheleien rund 54 Millionen Dollar erschwindelt zu haben.
Fünf Wochen lang hat die Staatsanwaltschaft ihre Sicht auf den Fall vorgetragen. Sie hat 18 teils hochkarätige Zeugen vernommen, darunter Lloyd Blankfein, den Vorstandschef der Wall-Street-Bank Goldman Sachs. Sie hat 45 abgehörte Telefonate vorgespielt und tonnenweise Beweismaterial präsentiert, etwa interne E-Mails und andere Korrespondenz.
Doch nun wird es wirklich ernst für Rajaratnam: Ab Montag ist die Verteidigung dran. Sie muss die nach Ansicht vieler Beobachter nahezu wasserdichte Darstellung der Anklage widerlegen, bevor sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen. Gelingt es ihr, bleibt Rajaratnam auf freiem Fuß. Misslingt es ihr, könnte er bis zu 25 Jahre im Gefängnis landen.
Mehr noch: Bestätigt sich der Insider-Verdacht, dürfte dies eine Kettenreaktion im feinen Hedgefonds-Business auslösen, in dem Fachkenntnis, Geheimtipps und Insiderwissen bisher zur Tagesordnung gehören. "Alle starren ängstlich auf den Ausgang dieses Prozesses", berichtet ein Banker. "Das Gericht wird klären, was im Geschäft erlaubt ist - und was nicht."
"Allein die Stimmung der Juroren zählt"
Schon lange verschwimmt die Grenze zwischen legalen und illegalen Expertentipps an der Wall Street. Der Präzedenzfall "U.S. v Rajaratnam", Aktenzeichen-Nummer 09-01184, leuchtet diese Grauzone nun endlich aus. Rajaratnam war im Oktober 2009 verhaftet und sein Fonds Galleon geschlossen worden. US-Staatsanwalt Preet Bharara, der die Wall Street besonders streng untersucht, sprach von der umfangreichsten Anklage dieser Art, die es je gegeben habe. Rajaratnam selbst beteuert seine Unschuld.
Der Angeklagte soll unter anderem von Top-Managern bei IBM, Intel und McKinsey vorab über wichtige Transaktionen, die auf die Aktienpreise Auswirkungen hatten, informiert worden sein. Mitangeklagt war die frühere Intel-Mitarbeiterin Roomy Khan, die sich aber bereits 2009 schuldig bekannt hat und seither mit der Staatsanwaltschaft kooperiert. Auch soll Rajaratnam Insiderwissen über die Fünf-Milliarden-Dollar Beteiligung des legendären Investors Warren Buffet an Goldman Sachs erhalten haben, bevor diese bekannt wurde.
In Prozessen wie diesen kommt es aber nicht nur auf die nackten Indizien an - sondern auch auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Aura des Angeklagten. "Trotz Gesetzen und Beweisen ist ein Geschworenenprozess Theater", sagte der Anwalt Mark Zauderer der "New York Times". "Allein die Stimmung der Juroren zählt."
Und so setzte die Staatsanwaltschaft denn auch auf viel Theaterdonner. Immer wieder spielte sie Telefonate ab, die das FBI heimlich mitgeschnitten hatte, um die Insidergeschäfte zu belegen. "Ich habe gestern von jemandem im Board bei Goldman Sachs gehört, dass sie zwei Dollar pro Aktie verlieren werden", sagt Rajaratnam in einem der Telefonate zu einem Mitarbeiter. "Die Börse rechnet mit 2,50 Dollar."
Andere Tonbänder zeigen nach Ansicht der Justiz, dass Rajaratnam auch versucht habe, seine Spuren zu verwischen. So spricht er mit zwei Mitarbeitern über anstehende Geschäfte der Halbleiterfirma Spansion. "Wir müssen sicherstellen, dass keiner außer uns dreien von unseren Unterhaltungen erfährt", sagt er. "Man muss doch vorsichtig sein, nicht wahr?" Rajaratnam riet, das Insiderwissen durch getürkte Kommunikation zu kaschieren: "Wir müssen eine E-Mail-Spur schaffen."
Prominentester Zeuge des Prozesses war Ende März Goldman-Chef Blankfein. Er stellte sich vor, indem er seinen Namen buchstabierte und bestätigte, dass der frühere Goldman-Direktor Rajat Gupta Interna an Rajaratnam lanciert habe. Dabei sei es unter anderem um die Firmenbilanz und eine potentielle Fusion mit der kaputten Bank Wachovia gegangen, die später von Wells Fargo übernommen wurde.
Großes Theater ist zu erwarten
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft brachten allein die Goldman-Tipps Rajaratnam fast 18 Millionen Dollar ein. "Wir wollen nicht, dass Informationen über unsere Firma nach draußen dringen, bevor es angemessen ist", sagte Blankfein, der jede Mitschuld seines Konzerns abstritt. Ein weiterer Zeuge war Adam Smith, ein einstiger Portfoliomanager bei Galleon, der sich ebenfalls bereits schuldig bekannt hat.
Die Verteidigung hat nun die schwierige Aufgabe, die detaillierten Angaben und Aussagen, die die Anklage aufgefahren hat, zu konterkarieren. Dafür ist eine weitere Woche avisiert. Auch hier ist großes Theater zu erwarten: Eine Strategie ist es, die Zeugen der Anklage zu diskreditieren, da sie im Gegenzug für ihre Aussagen Strafmilderung bekommen haben. Allein zwei Zeugen der Verteidigung sollen Adam Smith unglaubwürdig machen und die Geschworenen davon überzeugen, er habe "unter Druck" ausgesagt. Es reicht der kleinste Schimmer des Zweifels, um einen Schuldspruch zu verhindern.
Auch hofft die Verteidigung, dass andere Ex-Galleon-Mitarbeiter unter Eid für die Korrektheit aller Transaktionen bürgen: Die Informationen, welche die Staatsanwaltschaft als Insiderwissen brandmarke, seien der gemeinen Öffentlichkeit durchaus zugänglich gewesen. Das soll etwa der Wirtschaftsprofessor Gregg Jarrell untermauern - ein Auftritt, den die Anklage vergeblich zu verhindern versucht hat.
"Die Beweise werden zeigen, dass Raj Aktien nur aufgrund öffentlicher Informationen, Experten-Research und Galleon-Analysen handelte", sagte sein Anwalt John Dowd in seinem Eröffnungsplädoyer. "Wir werden Ihnen die Zeitungsartikel und die öffentlichen Analyse-Berichte zeigen, in denen diese Informationen bereits veröffentlicht worden waren."
Rajaratnam selbst dürfte nicht in den Zeugenstand treten. Ein solcher Auftritt gilt als schlechte Strategie, da die Staatsanwaltschaft den Angeklagten dann in ein scharfes Kreuzverhör nehmen kann. Und das wäre wirklich das ultimative Theater.