Start-up-Entwickler Rocket Internet Rakete ohne Kurs

Mode in Indonesien, Taxis in Kenia, Kochboxen in den USA - Rocket Internet legt tiefrote Zahlen für seine Internetgeschäfte vor. Start-up-Entwickler Oliver Samwer braucht nun dringend einen Erfolg.
Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer

Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer

Foto: Tobias Hase/ dpa

Spurlos sind die vergangenen Monate an Oliver Samwer nicht vorbeigegangen. "Viele Berichte über unser Unternehmen waren einfach nicht korrekt", sagt der Rocket-Internet-Chef in der Telefonkonferenz mit Analysten über das abgelaufene Geschäftsjahr. Mehrmals noch wird er "die Blogs" erwähnen, die den Verlust seines Aufsichtsratschefs und mehrerer Spitzenmanager bei Rocket völlig falsch interpretiert hätten.

Keine Frage, 2015 war ein gebrauchtes Jahr für den Berliner Start-up-Konzern. Die 200 Millionen Euro Verlust der Rocket-Holding  , die Samwer präsentierte, waren da noch das Geringste - Verluste in der Anfangszeit gehören zu Rockets Geschäftsmodell, hoffnungsvolle Internetgeschäfte mit viel Kapital anzuschieben und dann - hoffentlich - für den vielfachen Wert zu verkaufen.

Viel schwerer wiegt das verlorene Vertrauen der Finanzmärkte: Die Raketen-Aktie schmierte im vergangenen Jahr an der Börse brutal ab, auch weil kein einziger der von Samwer forcierten Börsengänge seiner Tochterunternehmen gelang.

Der Kochboxen-Lieferant Hello Fresh fühlte sich im November zwar bereit, der Börse schmeckte die von Samwer forcierte Bewertung jenseits von drei Milliarden Euro aber nicht. Dass Hello Fresh seine Erstnotiz am Aktienmarkt deshalb kurzfristig absagen musste, soll auch zum Bruch mit Aufsichtsratschef Lorenzo Grabau geführt haben - eine Interpretation, die Samwer nun heftig bestreitet.

2016 wird zum Schicksalsjahr für Samwer

All das nagt am Nimbus des "Rocket Man". Vielen Deutschen gilt Samwer ohnehin nur als Erfinder des Jamba-Sparabos. In der Berliner Start-up-Szene dagegen ist der Name "Oli" ein Donnerhall, selbst Rivalen würdigen ihn als wichtigsten deutschen Internetunternehmer. Mit dem Startkapital der Samwer-Brüder wurde Zalando zum großen, gewinnträchtigen Online-Modeversender.

Danach trat Samwer an, den Zalando-Erfolg zur Blaupause für Onlinegeschäfte quer durch alle Branchen zu machen.

Inzwischen herrscht der 43-jährige Manager über ein völlig unübersichtliches Internetreich, in dem die Sonne niemals untergeht: Seine Unternehmen verkaufen Schuhe in Indonesien, Unterwäsche in Chile und Kochboxen in den USA, vermitteln Putzkräfte in Deutschland und Taxifahrten in Kenia. Seine Vision: Rocket soll "die größte Internetplattform außerhalb der USA und Chinas" sein.

2016 wird zum Schicksalsjahr für Samwer. Die Zeiten, in denen ein Geldverbrennungsmotor die Rakete antreibt, sollen zu Ende gehen. Die Verluste der großen Beteiligungen wie Hello Fresh oder der Essenslieferplattform Delivery Hero, verspricht Samwer, hätten 2015 ihr Maximum erreicht. Bis Ende 2017 sollen drei der großen Rocket-Firmen sogar profitabel arbeiten. Bislang tut das keine einzige.

Bei Lazada konnte Rocket seinen Einsatz verfünfzehnfachen

Denn das rund 70-prozentige Umsatzwachstum von Rockets am weitesten entwickelten Firmen war verdammt teuer erkauft. Eine Milliarde Euro Verlust machten die 13 Firmen im Gesamtjahr.

Hello Fresh, aktuell Samwers beste Wette, konnte seinen Umsatz 2015 zwar mehr als vervierfachen. Doch selbst die eher schmeichelhafte Kennzahl des um außergewöhnliche Aufwendungen, Steuern, Zinsen und Abschreibungen bereinigte Jahresergebnis verschlechterte sich bei dem Essensversender deutlich, von minus 17,6 auf minus 28,3 Prozent.

Kann Oliver Samwer seine Rakete auf Kurs bringen? Sein Gespür für lukrative Deals hat er jedenfalls noch: Erst am Dienstag verkündete Rocket den Teilverkauf seiner Anteile an dem südostasiatischen Amazon-Klon Lazada an den chinesischen E-Commerce-Giganten Alibaba für 137 Millionen Dollar. Rocket konnte seinen Einsatz in den 2011 gegründeten Onlinehändler verfünfzehnfachen. Die Rocket-Aktie legte in den zwei Tagen nach dem Lazada-Verkauf um fast zehn Prozent zu.

Die frischen Einnahmen sind für Rocket aktuell sekundär, inklusive eines neu aufgelegten Fonds kann der Konzern noch mehr als zwei Milliarden Euro in seinen Start-ups schießen. Lucas Boventer, Analyst bei der Privatbank Warburg, hält den Deal aus einem anderen Grund für wegweisend: "Er zeigt neben dem Börsengang einen anderen Weg für Rocket, seine Beteiligungen gewinnbringend zu verkaufen."

Rocket braucht einen Börsengang

Die nun veröffentlichten Rocket-Zahlen zeigen aber auch, dass Lazada 2015 mehr Geld verbrannte, als die Firma vor dem Alibaba-Deal noch auf dem Konto hatte. Auch andere Schwellenländer-Firmen von Rocket, der Zalando-Klon Zalora oder der Essenslieferdienst Foodpanda, brauchen sehr wahrscheinlich frisches Geld, um 2016 durchzustehen.

Rockets ganz große Beteiligungen plagt ein anderes Problem: Die Bewertungen für Delivery Hero (2,9 Milliarden Euro) und Hello Fresh (2,6 Milliarden Euro) sind inzwischen so hoch, dass nur noch wenige Investoren Lust haben dürften, zu einem noch höheren Preis einzusteigen. Ein erfolgreicher Börsengang ist fast die einzige Chance für Rocket, seine Anteile gewinnbringend loszuschlagen.

Bejubelt werden solche teils verlustreichen Wetten auf die Zukunft an der Börse aber längst nicht mehr. Schon nach Präsentation der Zahlen büßte Rocket seine kompletten Gewinne seit dem Lazada-Geschäft ein. Ein weiteres Jahr ohne große Verkäufe oder Börsengänge würde Rocket finanziell wohl überleben - an der Börse wäre Oliver Samwer aber endgültig untendurch.

Die Negativgeschichten in den Blogs wären dann sein geringstes Problem.

Zusammengefasst: Rocket Internet legt tiefrote Geschäftszahlen für 2015 vor - der Berliner Start-up-Entwickler verliert 200 Millionen, seine wichtigsten Beteiligungen eine Milliarde Euro. Chef Oliver Samwer will seine weltweit aktiven Internetplattformen ab diesem Jahr auf Profit trimmen, doch die Börse misstraut seinen Versprechen. Um den schlappen Kurs der Rocket-Aktie wieder zu steigern, sind große Verkäufe oder Börsengänge seiner Beteiligungen nötig.

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