Rückrufdesaster Toyota in der Pedalklemme

Rückrufdesaster: Toyota in der Pedalklemme
Foto: MARK RALSTON/ AFPBerlin - Der Text auf der Toyota-Homepage liest sich wie die Beschreibung eines zwar lästigen, aber kleinen Ärgernisses: "In seltenen Fällen besteht die Möglichkeit, dass das Gaspedal nicht mit gewohnter Geschwindigkeit in seine Ausgangslage zurückkehrt", schreibt der japanische Autohersteller. "Vereinzelt kann es in der getretenen Position verbleiben." Anschließend folgen ein paar Tipps, wie man dem Problem im Ernstfall begegnen sollte - und der Appell, bei nächster Gelegenheit eine Werkstatt aufzusuchen.
Die Realität jedoch ist weitaus dramatischer, als es der zurückhaltend formulierte Text andeutet. Das ist klar, seit die katastrophalen Folgen des Pedalklemmers vor einem kalifornischen Gericht ausgebreitet wurden: Über eine Tonbandaufnahme konnten die Richter dort das Schicksal einer vierköpfigen Familie verfolgen, die im August vergangenen Jahres einen Notruf abgesetzt hatte - weil sie Probleme mit ihrem Toyota hatten.
Am Steuer eines Lexus ES350 saß Mark Saylor, ein erfahrener Autobahn-Polizist, und kämpfte mit einem blockierten Gaspedal. "Wir sind in einem Lexus, wir fahren auf der 125 in Richtung Norden, und das Gaspedal klemmt!", flehte sein Schwager per Telefon um Hilfe. "Wir haben ein Problem. Die Bremse funktioniert nicht! Wir nähern uns dem Autobahn-Kreuz. Bleiben Sie dran, bleiben Sie dran, und beten Sie, beten Sie!" Wenige Sekunden später - so dokumentiert die Tonbandaufzeichnung - gibt es einen Unfall, und der Fahrer, seine Schwester, sein Schwager und seine Nichte sind tot.
Täglich neue Hiobsbotschaften
Schuld daran soll das verklemmte Gaspedal sein, wirft der Anwalt der Angehörigen dem Konzern vor. Und auch wenn Toyota beteuert, dass der Fall in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Rückruf steht, wird dieser zumindest in der Öffentlichkeit wie ein Schuldeingeständnis gewertet.
Dazu kommen die täglich neuen Hiobsbotschaften, die das Image des einst für seine Qualität berühmten Autobauers immer weiter beschädigen: Wegen der Gaspedale hatte der Konzern zu Beginn des Jahres weltweit knapp 4,63 Millionen Fahrzeuge in die Werkstatt rufen müssen. Zuvor im Herbst waren schon einmal 5,3 Millionen Autos betroffen, deren Fußmatten sich als Klemmfalle für die Pedale herausgestellt hatten. 1,1 Millionen davon wurden im Januar in die Werkstätten zurückbeordert.
Und am Mittwoch wurde dann bekannt, dass es ausgerechnet bei dem Erfolgsmodell, beim Hybrid Prius, zu Problemen mit den Bremsen kommen kann. Mit Details hält Toyota zwar noch hinter dem Berg, in den USA sollen aber bereits mehr als 100 Fälle bekannt geworden sein. "Wenn irgendjemand solch ein Auto besitzt: Nicht mehr fahren", riet US-Verkehrsminister Ray LaHood öffentlich.
Ohnehin drischt die US-Regierung derzeit vehement auf die Japaner ein. Toyota habe inzwischen zwar einige Rückrufe gestartet, echauffierte sich der Minister vor Journalisten. Das Unternehmen habe jedoch erst auf erheblichen Druck von Seiten der Behörden seine Verantwortung wahrgenommen. Das Ganze werde ein Nachspiel haben.
Einbruch bei den Verkaufszahlen
Das aber hat es bereits jetzt - wie die Zulassungszahlen deutlich zeigen: Im Januar gingen die Verkaufszahlen auf dem US-Markt gleich um ein Sechstel zurück und markierten damit ein Zehnjahrestief. Im gleichen Zeitraum legte General Motors um 14 Prozent zu, Ford sogar um 25 Prozent. Nach großen Rückrufen breche der Absatz in der Regel um mehr als 20 Prozent ein, räumte Toyota-Vizepräsident Shinichi Sasaki gegenüber der "Tageszeitung" ein. Insgesamt schätzt Toyota die Gesamtkosten für Reparaturkosten und Verkaufsausfälle auf rund 1,4 Milliarden Euro.
Diese Größenordnung aber ist nach Überzeugung von Wolfgang Meinig, Direktor der Forschungsstelle Automobilwirtschaft, nur dann realistisch, wenn Toyota baldmöglichst aus den Negativschlagzeilen herauskommt. "Aller Erfahrung nach kann eine etablierte Marke ihren Ruf recht schnell wiederherstellen, wenn es ihr gelingt, das Problem schnell in den Griff zu kriegen."
Genau daran aber hapert es momentan - denn zu den technischen Problemen kommt eine gewisses Unvermögen des Konzerns, mit der ungewohnten Öffentlichkeit adäquat umzugehen. So berichtet etwa die in Tokio erscheinende "Japan Times" unter Berufung auf vertraute Kreise im Konzern, die Ingenieure hätten bereits seit 2007 von den Schwierigkeiten gewusst. Trotzdem erklärten Konzernvertreter noch am 27. Januar bei einem Treffen mit dem Energieausschuss des US-Repräsentantenhauses, der die Rückrufe genauer untersucht, die Ursache für die Fälle unbeabsichtigter Beschleunigung sei sehr, sehr schwer zu identifizieren.
Das hat einen einfachen Grund - denn die Probleme Toyotas dürften viel größer sein, als es das aktuelle PR-Desaster vermuten lässt. Plötzlich steht das System Toyota auf dem Prüfstand - und das ungestüme Wachstum der vergangenen Jahre. Im Wettlauf mit Volkswagen steigerten die Japaner ihre Produktion in den vergangenen Jahren jährlich um rund 400.000 Stück. Zwei bis drei komplett neue Autofabriken entstanden jedes Jahr, irgendwo auf der Welt.
Toyota-System braucht Zeit
Bei der Dynamik hat sich ausgerechnet der weltweit bewunderte Toyota-Ansatz als Hindernis erwiesen - das regelmäßige Streben nach Verbesserung. Denn das erfordert den Mut jedes einzelnen Mitarbeiters, zur Not auch einmal das Band anzuhalten, wenn er einen Fehler entdeckt - auch wenn das die Produktion verzögert. Eine solche Unternehmenskultur aber in den Köpfen der vielen neu eingestellten Mitarbeiter zu etablieren, braucht seine Zeit. Selbst die Zulieferer, die in den vergangenen Jahren in großer Zahl hinzukamen, mussten das Toyota-Prinzip ihren eigenen Mitarbeitern erst erklären.
Dazu kommt: Der Erfolgsdruck hat selbst die Manager gezwungen, die eigenen Prinzipien immer wieder zu missachten. So wurden die fehlerhaften Gaspedale noch Tage lang weiter montiert, obwohl der offizielle Rückruf bereits erfolgt war. Erst der Ukas der US-Verkehrssicherungsbehörde stoppte die Produktion. Toyota sei zu schnell zu groß geworden, lautet denn auch die Kritik in den eigenen Reihen. Die Frage ist jetzt, woher der Konzern die Zeit nehmen will, um das Versäumte nachzuholen.
Dabei steht außer Frage, dass Toyota genau das schaffen muss - denn für keinen anderen Autobauer könnten die Technikprobleme so gravierend sein wie für Toyota: Der Konzern gründete seinen Erfolg bislang darauf, Autos von hoher Qualität zu einem günstigen Preis zu verkaufen. "Toyotas besitzen keine Seele, dafür tun sie ihren Dienst" - dieser Spruch galt für die rational orientierten Autokäufer regelmäßig als Rechtfertigung für ihren Kaufentscheid.
Jetzt aber ist der Ruf das Qualitätsführers dahin. Und Konkurrenten aus Korea liefern schon seit längerem Autos, die viel billiger sind.