Reiche Russinnen Mit Handgranate im Dior-Täschchen

Unternehmerin Baturina: "Ich will keine Privilegien für Frauen"
Foto: BEN STANSALL/ AFPZwei Dinge muss man über Jelena Baturina wissen. Sie ist mit rund einer Milliarde Dollar die einzige Unternehmerin, die es in das Forbes-Ranking der 100 reichsten Russen geschafft hat, im Volksmund "Oligarchen-Liste" genannt. Und: Baturina hasst Interviews.
Als sie in einem Mailänder Nobelhotel für den SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE eine Ausnahme macht, spricht sie ausführlich über die Lage der Frauen in Russland. Nicht nur die Menschen in ihrem Heimatland, sondern auch die in vielen anderen Staaten wären besser dran, würden sie von Frauen regiert, erklärt die Unternehmerin. "Frauen handeln vernünftiger. Das hat mit ihrem mütterlichen Instinkt zu tun, dem eigenen Kind nichts Böses zu tun", sagt sie. "Der Ukraine-Konflikt wäre nicht entstanden, wenn in Washington im Weißen Haus und im Moskauer Kreml Frauen säßen."
Russland weit vor Deutschland und Amerika
Die Unternehmerin fordert mehr Kindergartenplätze, flexiblere Arbeitszeiten und höhere finanzielle Hilfsleitungen für Frauen. "Der Staat muss berufstätige Frauen stärker unterstützen", sagt sie. "Ich bin aber keine Feministin und will keine Privilegien für Frauen. Privilegien brauchen doch nur Schwache, und ich denke nicht, dass Frauen in Russland das schwache Geschlecht sind."
Dabei kann Baturina sich auf eine Studie der amerikanischen Beratungsgesellschaft Grant Thornton International aus dem vergangenen Jahr stützen. In keinem anderen Land sitzen mehr Frauen in hohen Managerpositionen als in Russland. Der Frauenanteil in den Führungsetagen der Wirtschaft beträgt 43 Prozent, auf Platz zwei folgen Litauen und Indonesien mit jeweils 41 Prozent. Unter den westlichen Staaten liegt Finnland mit 40 Prozent vorn. Amerika kommt hingegen nur auf 22 Prozent, Deutschland auf 14.
Die Top-Positionen in Unternehmen sind allerdings auch in Russland beinahe ausschließlich in Männerhand. Auch die Politik bleibt eine Männerdomäne: Von 29 Ministern sind gerade zwei Frauen, von 85 Gouverneuren drei.
Handgranate in Dior-Tasche
In den Familien verhält es sich in Russland wie in vielen Macho-Ländern: Nach außen gibt der Mann den Chef, tatsächlich sind es oft die Frauen, die sagen, wo es langgeht. Es waren die Frauen, die in der großen Krise nach dem Zerfall der Sowjetunion in den Neunzigerjahren das Land zusammenhielten. Sie wurden wohl besser mit den Veränderungen fertig. Dies lässt sich bis heute an der Lebenserwartung ablesen: Für Frauen liegt sie bei 75 Jahren, für Männer bei 63. "Die Männer haben sich in den Krisenjahren doch auf die Couch gelegt und darüber geweint, wie schön und einfach früher alles war", sagt Irina Eldarchanowa, Gründerin des edlen Schokoladenherstellers Confael. Auf Bestellung fertigen ihre Arbeiterinnen Ausgefallenes: Schokoladenhochhäuser für Architekten, Schoko-Konzertflügel für Pianisten, Tankstellen und Bohrtürme für Ölmagnaten. Minister und bekannte Schauspieler kaufen bei ihr.
Eldarchanowa war zu Sowjetzeiten die jüngste Fabrikdirektorin des Riesenreiches. In der Sowjetunion arbeiteten Frauen als Kranführerinnen, Automechanikerinnen und bis 1957 sogar im Bergbau. In der Industrie waren 52 Prozent der Arbeitskräfte weiblich, allerdings nur jeder elfte Fabrikdirektor eine Frau. Die Sowjetfrau war ganz selbstverständlich berufstätig, und um die Kinder kümmerten sich die Großeltern und der Staat, der von morgens früh bis 6 Uhr abends für jedes Kind kostengünstig Hort- und Kindergartenplätze zur Verfügung stellte, den Samstag eingeschlossen.
Eldarchanowa wurde in den Achtzigerjahren Direktorin einer Kleiderfabrik in der Kaukasusrepublik Tschetschenien. Sie nutzte die Freiheiten, die sich durch Michail Gorbatschows Politik der Perestroika eröffneten. Als der Bürgerkrieg in Tschetschenien ausbrach, ließ sie sich von ihrem Fahrer auf den Markt fahren, kaufte außer Kartoffeln und Zwiebeln eine Makarow-Pistole und eine Handgranate und steckte beide in ihre Dior-Handtasche. "Nur für alle Fälle, man muss sich wehren, auch als Frau", sagt sie. Die Bande des damaligen Präsidenten hat ihr dann doch ihre Fabrik abgenommen.
Frauen, die es in Russland nach oben schaffen, haben keinesfalls die gleichen Auffassungen, wenn es um ihr Rollenverständnis geht. Zum Thema Hausfrauenpflichten und Kochen beispielsweise erklärt die Milliardärin Baturina: "Ich halte es für keinen Fortschritt, wenn Kochen für Frauen heute daraus besteht, ein Fertiggericht aus dem Supermarkt in die Mikrowelle zu schieben. Die Sowjetunion hat mich vieles gelehrt: eine gute Hausfrau zu sein, die bis heute gerne kocht, die aber auch einen Nagel sauber in die Wand schlagen kann", sagt sie. Auch die Gründerin der Supermarktkette Bachetle Muslima Latypowa ist vom Ideal der sowjetischen Frauen bis heute inspiriert. Sie allerdings findet, "dass fürs Kochen Profis zuständig sein sollten, nicht normale Menschen".
Fünf der reichsten Russinnen in Kurzporträts:
Muslima Latypowa: Besitzerin der Supermarktkette Bachetle

Vermögen: 284 Millionen Euro
Persönliches: 63 Jahre, geschieden, eine Tochter. Latypowa stammt aus der muslimisch geprägten Teilrepublik Tatarstan im Süden Russlands.
Biografie: Zu Sowjetzeiten arbeitete sie als Verkäuferin in einem Lebensmittelladen und führte später eine Kantine - kochen kann Latypowa nach eigenen Angaben allerdings nicht.
Business: Lapytowa gehören 100 Prozent von Bachetle, der Jahresumsatz der Supermarktkette liegt bei umgerechnet 128 Millionen Euro. Anfang der Neunzigerjahre gründete sie ihr erstes Unternehmen in der tatarischen Hauptstadt Kasan - einen Lebensmittelgroßhandel, danach 1998 Bachetle (tatarisch für "glücklich"). Die Supermarktkette ist bekannt für selbst produzierte Fertiggerichte und tatarisches Gebäck. Russlandweit gibt es 28 Märkte, darunter neun in Moskau. Der Anteil von Bachetle-Fertiggerichten an den verkauften Lebensmitteln schwankt je nach Markt zwischen 40 und 50 Prozent, das ist ganz im Sinne Lapytowas, die sich vom sowjetischen Ideal der berufstätigen Frau inspirieren lässt. Die Sowjetmacht wollte die Frau mit Kantinen und Fertiggerichten von der "Küchensklaverei" befreien.
Zitat: "Man sollte sich besser um die Familie kümmern, anstatt Stunden am Herd zu verbringen. Fürs Kochen sollten Profis zuständig sein, nicht normale Menschen."
Marija Scharapowa: Tennisprofi, Wimbledon-Siegerin

Vermögen: 175 Millionen Euro, Jahreseinkommen 30 Millionen
Persönliches: 28 Jahre, Scharapowa ist liiert mit den bulgarischen Tennisprofi Grigor Dimitrov. Vater war Bauarbeiter, Mutter wurde mit Maria schwanger, als sie noch in der Schule war.
Biografie: Geboren in Sibirien. Zog 1994 mit ihrem Vater nach Florida zur Tennisausbildung. Die 1,88 Meter große Athletin war als Model schon auf dem Cover von "Cosmopolitan", "Esquire" und "Harper's Bazaar". Wegen ihrer Schreie auf dem Platz als "Screaming Cinderella" oder "Sibirische Sirene" bekannt. Sie hat 15 Millionen Follower bei Facebook.
Business: Die "Financial Times" nannte Scharapowa "sport's biggest brand". In den vergangenen zehn Jahren belegte sie stets den ersten Platz des Forbes-Rankings der bestbezahlten Sportlerinnen. Scharapowas jährliches Einkommen aus Werbeverträgen von Nike, Porsche, Evian, Tiffany's und des Uhrenherstellers Tag Heuer beläuft sich auf etwa 18 Millionen Euro. Vor drei Jahren startete Scharapowa mit "Sugapova" eine eigene Süßigkeitenmarke. In den ersten zwei Jahren soll die Tennisschönheit in 30 Ländern 3,5 Millionen Packungen ihrer Süßigkeiten verkauft haben.
Zitat: "Als ich mit 17 Wimbledon gewann, dachte ich, ich kann alles erreichen. Mondlandung inklusive."
Natalja Kasperskaja, Software-Entwicklerin und Mitgründerin Kaspersky Labs, Aufsichtsratsvorsitzende von InfoWatch

Vermögen: 207 Millionen Euro
Persönliches: 49 Jahre, verheiratet, fünf Kinder, darunter zwei aus ihrer ersten Ehe mit dem Antiviren-Experten Jewgenij Kaspersky, den sie mit 20 Jahren kennenlernte. In zweiter Ehe mit dem Internetunternehmer Igor Aschmanow verheiratet. Spricht gut Deutsch.
Biografie: Sie gilt als treibende Kraft hinter der Gründung von Kaspersky Labs 1997. Bereits 1991 hat sie die ersten Entwicklungen ihres Mannes Evgeny Kaspersky zum Patent angemeldet. 2011 wurde ihr Sohn damals 20-jähriger Sohn Iwan entführt. Auf Vkontakte, dem russischen Facebook, hatte er Lebensgewohnheit und Adresse preisgegeben.
Business: Zwei Jahre nach der Gründung von Kaspersky Labs ließ sich das Gründerpaar scheiden, doch Kasperskaja blieb in der Firma und verließ erst nach neun Jahren den Posten des Generaldirektors. Kasperskaja verkaufte ihre Anteile - der größte Teil ihres Vermögens stammt aus dem Verkauf - darüber hinaus bekam sie als Entschädigung 100 Prozent der Anteile der IT-Sicherheitsfirma InfoWatch. 2013 machte ihr Unternehmen rund 14,5 Millionen Euro Umsatz. Der Umsatz von Kaspersky Labs betrug im selben Jahr etwa 600 Millionen Euro.
Zitat: "Die Firma Kaspersky war für mich wie ein Baby."
Olga Pleschakowa, Direktorin der Fluggesellschaft Transaero

Vermögen: 153 Millionen Euro
Persönliches: 48 Jahre, zwei Kinder, sammelt Schuhe.
Biografie: Führt Transaero seit 14 Jahren. Ihr Mann Alexander Pleschakow, Sohn des sowjetischen Ministers für Zivilluftfahrt, überzeugte sie, am Moskauer Luftfahrtinstitut zu studieren. Sie wurde 2001 Geschäftsführerin von Transaero. Unter ihrer Führung etablierte sich Transaero als eine der zehn größten europäischen Fluggesellschaften.
Business: Pleschakowa hält 18,4 Prozent der Transaero-Aktien, 0,2 Prozentpunkte mehr als ihr Mann. Transaero ist mit 13,2 Millionen Passagieren jährlich größte private Airline Russlands und die zweitgrößte nach der staatlichen Aeroflot. Das Fluggastaufkommen stieg im vergangenen Jahr trotz der Wirtschaftskrise um 5,6 Prozent, 70 Prozent der Passagiere buchen Auslandsflüge. Transaero zählt zu den sichersten Fluglinien der Welt. Seit der Gründung 1991 gab es keinen Absturz. Das deutsche Flugsicherheitsranking JACDEC listet Transaero als einzige russische Fluggesellschaft in den Top-30 auf Platz 23 - noch vor Air Berlin (Platz 26) oder Condor (Platz 29).
Die Transaero-Flotte besteht aus 105 Boeing-Maschinen. Pleschakowa plant allerdings langfristig einen Umstieg auf Airbus, darunter vier Maschinen des Typs A380 - des größten Verkehrsflugzeugs der Welt.
Zitat: "Zuhause sprechen wir immer über die Arbeit. Manchmal müssen wir einfach aufhören, weil wir beide sehr emotional sind."
Tatjana Bakaltschuk, Direktorin des Fashion-Onlineshops Wildberries
Vermögen: 342 Millionen Euro
Persönliches: 39 Jahre, verheiratet, drei Kinder. Halbkoreanerin.
Biografie: Nach ihrem Englischstudium gründete sie einen Onlineshop, als sie in Elternzeit war und ihre Arbeit als Englisch-Nachhilfelehrerin aufgeben musste. Sie gilt als pressescheu und hat bisher nur ein einziges Interview gegeben. "Schön und ungewöhnlich" sollte der Name der Firma klingen, sagte sie da.
Business: Bakaltschuk hält 100 Prozent von Wildberries. Vor elf Jahren importierte sie Kleidung und Schuhe aus Quelle- und Otto-Katalogen nach Russland und verkaufte sie mit Aufschlag. Ihre eigene Wohnung musste damals als Lager dienen. Inzwischen gehört Wildberries zu den größten russischen Internetunternehmen. Die Firma expandiert rasant und machte 2013 rund 480 Millionen Euro Umsatz und 5,2 Millionen Euro Gewinn. Das Erfolgsrezept der Firma sind "Anprobe-Center" in 127 russischen Städten. Dort kann die bestellte Kleidung ausprobiert und gegebenenfalls zurückgeschickt werden.
Zitat: "Wir hätten nie gedacht, dass es so ein Riesenprojekt werden würde."