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Russland: Chinesischer Touristenboom in Moskau

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Chinesische Touristen in Russland Luxusshopping im Bruderstaat

Eiffelturm, Akropolis, Kolosseum? Pah! Chinesische Touristen bestaunen lieber den Kreml, die Zahl ihrer Russlandreisen hat sich zuletzt verdreifacht. Ein seltsamer Mix aus roter Nostalgie und Luxuskonsum zieht sie an.
Von Sofia Dreisbach

10 Uhr morgens im Zentrum Moskaus. Ein Bus hält in Höhe des Außenministeriums an, chinesische Touristen steigen aus und folgen im Gänsemarsch einem Reiseleiter, der mit chinesischer Fahne voran marschiert in Richtung der Flaniermeile der Altstadt, dem Arbat.

Vor dem Puschkin-Haus stellt sich einer nach dem anderen auf. Sie fotografieren sich gegenseitig, machen Halt im Souvenirladen, kaufen Matrjoschkas als Mitbringsel. Auch die russische Schokolade aus dem Supermarkt an der Ecke darf nicht fehlen. Die Chinesen packen sie tafelweise ein. Dann klettern sie wieder in den Bus, der weiter Richtung Roter Platz fährt.

So oder ähnlich spielen sich Szenen jeden Tag dutzendfach ab in Moskau. Chinesische Touristen gelten als Meister der Gruppenreisen. Sie überlassen nichts dem Zufall, ihr Zeitplan ist eng getaktet.

Im vergangen Jahr kamen knapp 1,3 Millionen Chinesen nach Russland - 200.000 mehr als im Vorjahr. In den ersten sechs Monaten 2017 hat sich die Zahl im Vergleich zum ersten Halbjahr 2016 bereits verdreifacht.

Der neue Ansturm aus China steht in krassem Gegensatz zur Entwicklung der übrigen Touristenzahlen. Besonders aus Europa kommen seit der Krim-Annexion und dem Krieg in der Ostukraine deutlich weniger Besucher hierher. Was also treibt die Chinesen nach Russland? Es ist eine Mischung aus Shopping und Nostalgie.

Der erste Boom des chinesischen Russland-Tourismus begann im Krisenjahr 2014: Mit dem Verfall des Ölpreises brach die russische Wirtschaft damals ein, hinzu kamen die Sanktionen der USA und EU nach Putins Annexion der Krim. Der Wechselkurs des Rubel stürzte ab - und das lockte viele chinesische Touristen an, die günstig einkaufen wollten. Während ein chinesischer Yuan noch vor fünf Jahren rund 4,5 Rubel wert war, bekommen die Chinesen heute etwa das Doppelte dafür.

Chinesen sind Powershopper auf ihren Reisen: 2016 lagen sie mit ihren Urlaubsausgaben auf Platz eins - weit vor Touristen aus den USA, Deutschland und Großbritannien. Laut der russischen Agentur für Tourismus gaben Reisende aus China im Jahr 2015 mehr als zwei Milliarden Dollar (etwa 1,7 Milliarden Euro) in Russland aus. Sie kauften vor allem Luxusartikel wie Uhren, Kosmetik und Schmuck. Ein lohnenswertes Geschäft.

Damit sich die Chinesen wie zu Hause fühlen und unkompliziert mit einem Barcode bezahlen können, führte der chinesische Marktführer Alipay sein mobiles Bezahlsystem 2017 in Russland ein. Souvenirshops in der Moskauer Innenstadt locken chinesische Kunden nun mit dem türkisfarbenen Alipay-Firmenzeichen.

Alipay-Schild: Bezahlsystem aus China

Alipay-Schild: Bezahlsystem aus China

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15 Tage ohne Visum

Moskau ist das Top-Ziel chinesischer Touristen - die Hauptstadt liegt auf der Beliebtheitsskala noch vor der Grenzregion Primorje im äußersten Südosten des Landes und der Kulturstadt Sankt Petersburg im Westen. Von dort gibt es seit vergangenem Sommer Direktflüge nach Shanghai. Doch schon vorher war Sankt Petersburg beliebt: Laut dem örtlichen Flughafenbetreiber ist die Zahl der Passagiere von und nach China 2015 auf 93.000 Menschen gestiegen, ein Plus von 92 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Regierung in Moskau tut alles, um den Tourismus aus China zu fördern. Bereits 2006 schloss sie mit der chinesischen Führung ein Abkommen, das es Touristen in Gruppen erlaubt, bis zu 15 Tage ohne Visum in das jeweils andere Land zu reisen. Im Juli demonstrierten die Staatschefs Wladimir Putin und Xi Jinping wieder einmal ihre Verbundenheit: Als Xi auf dem Weg zum Hamburger G20-Gipfel in Moskau Halt machte, verlieh ihm Putin für seine Bemühungen um die russisch-chinesischen Beziehungen den Sankt-Andreas Orden, die höchste russische Auszeichnung.

Die russischen Bürger müssen sich erst langsam an ihre Gäste gewöhnen. Die chinesischen Besucher treten fast ausschließlich in großen Gruppen auf und bleiben unter sich. Selbst ihre Mahlzeiten nehmen sie in speziellen Restaurants ein.

Auf den Spuren Lenins

Viele der chinesischen Touristen kämen auch aus nostalgischen Gründen nach Russland, erzählt Olivia. Die Touristenführerin aus Chongqing will nur ihren englischen Namen nennen. Zehn Tage ist sie mit 43 Chinesen im Land unterwegs, sie besuchen Moskau und Sankt Petersburg. Die meisten Reiseteilnehmer sind Mitte 50. Olivia gehört mit ihren 27 Jahren einer anderen Generation an, aber sie weiß: "Früher war Russland der große Bruder Chinas, die Leute denken gern daran zurück."

Auch Wolfgang Georg Arlt, Gründer des China Outbound Tourism Research Institute in Hamburg, nennt die Geschichte als wichtigen Grund für den neuen Boom: "Viele Chinesen kennen die Sowjetunion aus den Fünfzigerjahren und haben den Eindruck, sie kommen unter Gleichgesinnte", sagt er.

Seit zwei Jahren boomt der sogenannte Rote Tourismus, für den man in China in jedem Buchladen Reiseführer findet. 2015 feierten die Direktoren der nationalen Tourismusbehörden Russlands und Chinas mit einer großen Zeremonie in Shaoshan, dem Geburtsort Mao Zedongs, den Ausbau der "Roten Touren". Sie folgen den Spuren Lenins, besuchen sein Geburtshaus in Uljanowsk, die Universität Kasan, Sankt Petersburg als Ort der Oktoberrevolution 1917 und sein Mausoleum auf dem Roten Platz vor den Mauern des Kreml in Moskau. Etwa zehn Tage lang geht es quer durch Russland.

Mit den Touristen selbst ins Gespräch zu kommen, ist schwierig. Die meisten sprechen keine Fremdsprachen, nur die wenigen jungen können Englisch. Sie loben die Gebäude am Roten Platz als "großartig", wie ein 14-jähriger Schüler aus dem Südwesten der Volksrepublik. Einer 23-jährigen Frau aus Peking gefallen die alten Häuser auf dem Arbat, Moskau sei wunderschön, sagt sie.

Fotos auf dem Roten Platz

Fotos auf dem Roten Platz

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China-Experte Arlt rechnet damit, dass in den kommenden fünf Jahren noch mehr Touristen aus der Volksrepublik nach Russland kommen. Denn abgesehen von Geld und Geschichte sei noch etwas wichtig für sie: das Gefühl von Sicherheit, dass die russischen Gastgeber gerne vermitteln. Westeuropa verbinden viele Chinesen dagegen zunehmend mit Nachrichten von Terroranschlägen, Straßendiebstählen und Flüchtlingskrisen. Länder wie Italien, Griechenland und Frankreich büßten 2016 mehr als zehn Prozent chinesische Urlauber ein. "Sie fürchten Chaos", sagt Arlt.

Aber auch Russland müsse sich bald ein neues Konzept überlegen, um weiter massenweise chinesische Touristen anzulocken, meint der Experte. Die Generation, die in der Schule etwas über den großen Bruder Sowjetunion gelernt habe, sterbe schließlich irgendwann aus.

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