S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Wir leben in einer Blase der Euphorie

In regelmäßigen Abständen rufen Banker, Gelehrte und Europa-Politiker das Ende der Krise aus. Das ist furchtbar naiv! Auch wenn es Deutschland derzeit gutgeht: Europa steht noch immer am Abgrund. Dutzende EU-Gipfel und hyperaktive Politik-Shows haben daran nichts geändert.

Ich war mal in einer Talk-Show, und das Thema war die Krise. Mit mir diskutierte ein Banker. Der sagte, dass man sich nicht so aufregen soll. Die Krise sei spätestens im Frühjahr vorbei. Das war im Herbst 2007.

Der eine oder andere mag angesichts der jüngsten Wirtschaftsdaten derzeit so denken wie einst dieser Banker. Er mag geneigt sein, die Krise für beendet zu erklären. Viel Glück dabei!

Bevor man sich zu einer solch mutigen Aussage hinreißen lässt, erinnere man sich kurz an den Sommer 2008. Da schien es tatsächlich aufwärts zu gehen. Die Europäische Zentralbank warnte sogar vor Inflation und erhöhte die Zinsen. Dann kam die Sache mit Lehman Brothers.

Im März dieses Jahres verkündete dann Herman Van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rates, das Schlimmste sei vorbei. Gerade hatten sich die Europäischen Staats- und Regierungschefs auf einen permanenten Krisenmechanismus einigen können. Die EZB war ebenfalls wieder optimistisch und erhöhte wieder einmal die Zinsen.

Im Juli, Oktober und Dezember gab es weitere Gipfel, jedes Mal mit dem Ergebnis, man habe jetzt wirklich ein Gesamtkonzept geschmiedet. Wirklich jetzt! Und man beglückwünschte sich schon zur Bewältigung der Krise.

Ist die Krise jetzt also wirklich vorbei? Von wegen!

Denn in Wahrheit findet der Aufschwung nur in Deutschland statt. Das zeigt, dass es sich um einen kurzfristigen Effekt handeln muss. In den vergangenen Monaten haben viele Investoren ihre Gelder aus der europäischen Peripherie abgezogen - später auch aus Frankreich und den Niederlanden. Das Geld haben sie dann in deutsche Staatsanleihen investiert. Damit wurden die Marktzinsen in Deutschland gedrückt. Kurzfristige Anleihen gab es zu fast null Prozent. Die Renditen von Zehn-Jahres-Anleihen waren bis vor kurzem noch unter zwei Prozent. Die niedrigen Zinsen haben den Bausektor beflügelt.

Deutschland erholt sich auf Kosten anderer

Gleichzeitig ist Deutschland Nutznießer finanzieller Transfers aus Ländern wie Griechenland und Portugal. Sie haben richtig gelesen! Deutschland bekommt Geld aus diesen Ländern. Zwar hat die Bundesrepublik Garantien für den Euro-Raum gegeben - und riskiert damit Verluste. Bislang aber ist noch kein Geld verlorengegangen. Sehr wohl aber kassiert Deutschland Gebühren für seine Garantien.

All das ist gut für Deutschland - aber nicht unbedingt für Europa. Wir Deutschen leben in einer Blase der Euphorie. Dabei sind wir momentan im Zentrum eines Orkans mit trügerischer Windstille. Wenn Deutschland sich auf Kosten anderer erholt, ist das kurzfristig schön für Deutschland, langfristig aber erschwert es nur die Krisenbewältigung. Politisch wird es nicht einfacher, Solidarität zu verlangen, wenn man die Krise nicht einmal spürt.

Statt vom Ende der Krise zu reden, könnte man die aktuelle Lage eher so beschreiben: Der Untergang wurde gerade noch mal abgewendet - dank der Europäischen Zentralbank (EZB). Die hat Europas Banken gerade gut eine halbe Billion Euro geliehen - und damit eine Liquiditätskrise gestoppt.

Vor wenigen Wochen war der Finanzmarkt in Europa effektiv ausgetrocknet. Die Banken haben sich untereinander kein Geld mehr geliehen. Spanien musste für einen Drei-Monatskredit einen Jahreszinssatz von 5,11 Prozent zahlen. Im nächsten Jahr müssen Banken Schulden von 720 Milliarden Euro refinanzieren, und es sah bis vor kurzem nicht danach aus, dass ihnen das gelingen würde. Die EZB hat den Totalinfarkt des europäischen Bankensektors nun abgewendet.

Die Realität wird uns einholen

Doch das wird nicht reichen. Mit Liquidiätsmaßnahmen gewinnt man Zeit, löst aber keine Krisen. Börsianer wissen das, deshalb gab es auch nicht, wie sonst üblich, ein sattes Kursplus zum Jahresende.

Die Maßnahmen der vergangenen Euro-Gipfel sind unzureichend, der deutsche Aufschwung dürfte an Fahrt verlieren - all das sind Realitäten, die uns bald einholen werden.

Während des ganzen Jahres ist die Politik der Krisenbewältigung trotz Hyperaktivität kein Stück weitergekommen. Die EZB hat uns zu Weihnachten eine Verschnaufpause geschenkt, nicht mehr, nicht weniger. Ich sehe nicht, dass irgendjemand in Berlin, Paris oder Brüssel die Chance nutzen wird, ein Konzept für eine nachhaltige Lösung dieser Krise vorzulegen.

Denn die Krise wird erst dann vorbei sein, wenn sich ein Weg findet, wie Italien gleichzeitig sein Wachstum erhöhen und seine Schulden abbauen kann. Ohne eine wirtschaftspolitische EU einschließlich Euro-Bonds wird daraus nichts.

In der Zwischenzeit geht die Krise weiter - mitsamt der Illusion, dass man sie schon gelöst hat. Ich warte schon auf Herman Van Rompuys nächsten Auftritt. Oder den nächsten Banker, der in einer Talkshow ihr Ende beschwört.

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