Grundsatzurteil zu Schichtarbeit Bundesarbeitsgericht billigt unterschiedlich hohe Nachtzuschläge

Verschiedene Zuschläge für gelegentliche und regelmäßige Nachtarbeit können laut Bundesarbeitsgericht rechtens sein – selbst zulasten derer, die ständig ran müssen. Das Urteil dürfte Folgen für Tausende Kläger haben.
Coca-Cola-Abfüllung in Brandenburg: Dutzende Millionen Euro Streitwert

Coca-Cola-Abfüllung in Brandenburg: Dutzende Millionen Euro Streitwert

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Jens Kalaene / dpa

Nachtarbeit ist gesundheitsschädlich. Um die Belastung für den Körper auszugleichen, gibt es Freizeit – und zusätzliches Geld. Diese Zuschläge dürfen nach einem aktuellen Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts auch unterschiedlich hoch sein.

Hintergrund ist ein seit Jahren schwelender Streit um die Zuschläge in der deutschen Getränke- und Lebensmittelindustrie. Der zehnte Senat entschied  am Mittwoch nun in Erfurt in einem Fall, der den Getränkekonzern Coca-Cola in Ostdeutschland betrifft, dass Tarifverträge unterschiedlich hohe Nachtzuschläge vorsehen können.

In dem Fall aus Brandenburg ging es um die Frage, ob für gelegentliche Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 Prozent gezahlt werden kann – für regelmäßige Schichtarbeit nachts aber nur ein niedrigerer Zuschlag von 20 Prozent. Das sei rechtlich nicht zu beanstanden, sagte der Vorsitzende Richter Waldemar Reinfelder bei der Urteilsverkündung.

400 Klagen allein bereits vorm Bundesarbeitsgericht

Allerdings sei für solch eine Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund erforderlich, »der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss«. Das sei in dem Fall von Coca-Cola so. Neben dem Gesundheitsschutz könnten die Tarifvertragsparteien weitere Zwecke verfolgen. Es liege in ihrem Ermessen, wie sie die schlechtere Planbarkeit gelegentlicher Nachtarbeit ausgleichen.

Die BAG-Entscheidung hat nach Einschätzung von Fachleuten Signalwirkung für etwa 6000 Klagen zu Nachtarbeitszuschlägen bei den Arbeitsgerichten. Es geht dabei um unterschiedliche Tarifverträge für Zehntausende Arbeitnehmer.

Es geht um einen Streitwert, »der sich mittlerweile auf gut 50 Millionen Euro summiert hat«, so die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Allein 400 Klagen haben es inzwischen bis zum BAG geschafft. Gerichtspräsidentin Inken Gallner hatte kürzlich bereits angekündigt: »Das wird 2023 eines der großen Themen am Bundesarbeitsgericht.« Verhandlungen und Entscheidungen zu Nachtarbeitszuschlägen seien auch im März, Mai und Juni zu erwarten.

Die NGG wendet sich gegen einen Tarifvertrag, den sie 1998 mit dem zuständigen Arbeitgeberverband abgeschlossen hat und der von Coca-Cola angewendet wird. Die Gewerkschaft würde die Regelung gern vom Tisch haben.

Geklagt hatte eine Nachtarbeiterin, die regelmäßig nachts arbeitet – und verlangt hat, dass ihr die Differenz zwischen 20 und 50 Prozent erstattet wird. Die Vorinstanzen hatten ihren Fall unterschiedlich entschieden. Er machte Furore, weil er bereits 2020 vom Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt wurde. Die europäischen Richter entschieden jedoch nicht: Es handle sich nicht um eine Frage des europäischen Rechts, die Entscheidung liege allein bei den höchsten deutschen Arbeitsrichtern.

Aktenzeichen: 10 AZR 332/20

apr/dpa
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