Massenentlassung bei Schlecker "Wir wurden von allen fallengelassen"

Es ist ein schwarzer Tag für die Schlecker-Mitarbeiter: Transfergesellschaften gibt es nicht, 10.000 Beschäftigte erhalten ihre Kündigung. Die Angestellten der Drogeriekette sind wütend auf die Politik und fürchten ein fatales Signal: "Man hat den Eindruck, dass unser Unternehmen nichts mehr wert ist."
Schlecker-Mitarbeiterinnen: Insolvenzmasse zweiter Klasse

Schlecker-Mitarbeiterinnen: Insolvenzmasse zweiter Klasse

Foto: Jochen Lübke/ dpa

Hamburg - Es hätte ein schöner Tag für die Bundesregierung werden können. Mit etwas mehr als drei Millionen waren im März so wenige Männer und Frauen arbeitslos wie zuletzt vor 20 Jahren. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen rief einen "weiter stabilen Aufwärtstrend" aus. Doch nur wenige Stunden nach Bekanntgabe der Zahlen mussten Politiker eine schlechte Nachricht überbringen: Eine Transfergesellschaft für Beschäftigte von Schlecker ist gescheitert. Noch am Donnerstag verschickte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz rund 10.000 Kündigungen.

"Ich könnte kotzen", ist Andrea Davis' erste Reaktion auf diese Nachricht. Die Schlecker-Betriebsrätin aus dem niedersächsischen Bramsche will es am Donnerstagnachmittag noch nicht richtig wahrhaben, dass die Mitarbeiter der Pleite-Drogerie "von allen fallengelassen wurden". "Ich habe bis zur letzten Minute an eine Lösung geglaubt", sagt sie.

Dabei war schon am Abend zuvor klar gewesen, dass sich die Bundesländer nicht auf den Aufbau einer Auffanggesellschaft einigen konnten, weil sich Sachsen und Niedersachsen querstellten - beide mit FDP-geführten Wirtschaftsministerien. Daraufhin hatte Baden-Württemberg dafür geworben, zusammen mit Bayern und Nordrhein-Westfalen die Garantien für die 70-Millionen-Euro-Bürgschaft eines KfW-Kredits zu übernehmen. Doch die Regierung in München lehnte ab - weil FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil sich verweigerte. Ohne die Bürgschaft der Länder sei eine Auffanglösung definitiv nicht finanzierbar, erklärte der Schlecker-Insolvenzverwalter.

Es dürfe aus Gründen der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung keine Insolvenzen erster und zweiter Klasse geben", sagte der bayerische Minister Zeil. Doch die Schlecker-Frauen fühlen sich nun wie Insolvenzmasse zweiter Klasse. Kaum jemand sei ernsthaft an den 10.000 Mitarbeiterinnen interessiert gewesen, die nun endgültig ihre Kündigungen erhalten, sagt Davis. Allein in ihrem Bezirk sollten noch am Donnerstag 23 Entlassungsbriefe rausgeschickt werden. Am Ende seien die Schlecker-Frauen nur ein Spielball der Politik gewesen, meint die Betriebsrätin.

"Ist es auch wirklich gut genug, was vorgelegt wurde?"

Auch ihre Dresdner Kollegin Katharina Klose ist bestürzt. "Selbst der Gesamtbetriebsrat hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Länder die Frauen auffangen", sagt sie. Schon der warnende Brief des Insolvenzverwalters, dass eine Kündigung droht, sei für die Betroffenen ein Schock gewesen. "Jede hat gehofft, dass es sie nicht trifft."

Die Aussicht auf eine Auffanggesellschaft habe zumindest noch ein bisschen Hoffnung gemacht. Damit hätten die Betroffenen ein halbes Jahr lang einen Teil ihres letzten Nettogehalts bekommen. Außerdem hätten die Gesellschaften den ehemaligen Schlecker-Mitarbeitern geholfen, möglichst schnell einen neuen Job zu finden - unter anderem durch Qualifizierungsmaßnahmen. "Es hätte vielen schon geholfen, wenn sie Hilfe bei einer Bewerbung bekommen hätten. Das haben die meisten doch seit Jahren nicht mehr gemacht", sagt Klose. "Jetzt fallen die betroffenen Frauen einfach in die Arbeitslosigkeit."

Doch die Betriebsrätinnen sorgen sich nicht nur um die Kolleginnen, die vor der Entlassung stehen. Sie haben auch Angst, dass die verbliebenen rund 13.000 Mitarbeiter bei Schlecker keine Zukunft mehr haben könnten. Schlimmer als das politische Gezänk sei für sie das Signal gewesen, das von den gescheiterten Verhandlungen ausging, sagt Betriebsrätin Davis. "Man hat den Eindruck, dass unser Unternehmen nichts mehr wert ist." Sie fürchtet sich nun davor, dass selbst für die verbleibenden 3000 Filialen und Mitarbeiter kein Investor gefunden wird. Sie und ihre Kollegen zweifeln offenbar zunehmend an dem Konzept von Insolvenzverwalter Geiwitz. "Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber ist es auch wirklich gut genug, was vorgelegt wurde?", fragt Davis.

Insolvenzverwalter fürchtet Kündigungsklagen

Ein Gutachten der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) hatte in den vergangenen Tagen für Unruhe gesorgt. Die von Baden-Württemberg in Auftrag gegebene Beurteilung sieht die Überlebenschancen der insolventen Drogeriekette äußerst skeptisch. Es sei "nicht gewährleistet", dass sich innerhalb von sechs Monaten ein Investor finde, hieß es.

Insolvenzverwalter Geiwitz beteuerte zwar umgehend, dass es "handfestes Interesse" mehrerer Investoren gebe, doch die Länder konnte er nicht mehr von einer Kreditbürgschaft überzeugen.

Nun fürchtet der Insolvenzverwalter eine Welle von Kündigungsschutzklagen - die wiederum Investoren abschrecken könnten. "Natürlich steht jedem Mitarbeiter dieses Recht zu, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit werden solche Klagen nichts bringen, im Fall einer hohen Gesamtzahl jedoch massiv den verbleibenden Schlecker-Frauen schaden", sagte Geiwitz. Er will die Gespräche mit potentiellen Investoren rasch fortführen.

Rösler rät Frauen zu "schnellstmöglicher Anschlussverwendung"

FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler versuchte den gekündigten Schlecker-Mitarbeitern mit recht ungelenken Worten Mut zu machen - dabei hatte auch er sich gegen die Bürgschaft ausgesprochen. Die Arbeitsmarktsituation sei gut, sagte er. Jetzt gelte es für die Betroffenen "schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden".

Die gekündigten Frauen müssen nun zur Bundesagentur für Arbeit (BA). Auch diese gibt sich optimistisch. "Derzeit gibt es bundesweit 25.000 offene Stellen für Verkäuferinnen", sagte BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker. "Der Markt ist also aufnahmefähig." Die Arbeitsagenturen seien darauf eingestellt, den Betroffenen rasch eine neue Arbeit zu vermitteln.

Doch für die Schlecker-Frauen überwiegt derzeit noch die Enttäuschung über die Politiker. Gesamtbetriebsrätin Christel Hoffmann sagte: "Der Tag hat uns gezeigt, welche Wertstellung Frauenarbeit in Deutschland hat. Das ist bitter."

mit Material von dpa, dapd und Reuters
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