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Neustart nach Schlecker: An die Arbeit, Frauen!

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Geschäftsgründung Rückkehr der Schlecker-Frauen

Vom Pleite-Opfer zur Unternehmerin: Ehemalige Schlecker-Verkäuferinnen wagen den Neuanfang. Sie gründen Dorfläden in der Provinz, wollen die Nahversorgung auf dem Land retten. Ein großer Handelskonzern unterstützt das Experiment - kann das klappen?

Die Schlecker-Aufkleber an den Schaufenstern haben die Frauen mit Ceran-Kochfeldreiniger abgekratzt. "Damit alles Blaue verschwindet. Das hat hier nichts mehr verloren", sagt Karin Meinerz. Blau, das war die Hausfarbe von Schlecker. Meinerz' Kolleginnen Bettina Meeh und Annemarie Keller schieben in Rollcontainern Regalböden durch ihren neuen Laden. "Wir haben jeden Reifen abgeschraubt und einzeln geschrubbt", sagt Meinerz und deutet auf die Container. "Vorher waren die Rollen schwarz, jetzt sind sie hellgrau. Unser Laden soll ja schön werden."

"Unser Laden" - das war bis Ende Juni eine Filiale der Drogeriekette von Anton Schlecker. Mit der Pleite wurde die Verkaufsstelle in Erdmannhausen, 30 Kilometer nördlich von Stuttgart, abgewickelt. Karin Meinerz, Bettina Meeh und Annemarie Keller verloren ihre Jobs. Die Jüngste von ihnen ist 47 Jahre alt, die Älteste 58.

Zehn oder gar 20 Jahre haben die Frauen für Schlecker gearbeitet. Meinerz musste Ende August gehen, Meeh und Keller wurden schon Ende Juni arbeitslos. Doch von Frust ist bei den Ex-Verkäuferinnen nichts zu spüren. Sie haben als Betriebsrätinnen bei Schlecker das Kämpfen gelernt. Nun haben sie beschlossen, ihren eigenen Laden zu gründen.

Der wird gerade frisch gestrichen. Der Vermieter übernimmt einen Teil der Kosten. Er hat ein Interesse daran, dass seine Immobilie nicht leer steht. Den Großteil der alten Ladeneinrichtung haben die Frauen ausgemustert. Altes Zeug, viel zu hohe Regale, sagen sie. Stattdessen kauften sie das noch neue Mobiliar einer aufgelösten IhrPlatz-Filiale, die ebenfalls zum Schlecker-Reich zählte. Die Männer von Bettina Meeh und Karin Meinerz sind Lastwagenfahrer. Sie organisierten zwei Lkw. Mit Freunden und Verwandten bauten sie an einem Samstag die komplette Ladeneinrichtung ab und fuhren sie nach Erdmannhausen. Dort stehen nun zwei neue Kassen und Dutzende zerlegte Regale.

"Hier ist echtes Unternehmertum im Gange"

Hinter einer der Kassen steht Christina Frank, vor ihr liegt ein dicker Ordner mit Listen und Auftragsbestätigungen. Eigentlich ist sie Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di. Doch seit Juni ist Frank noch dazu Unternehmerin. Sie steckt maßgeblich hinter der Idee, in Baden-Württemberg aus früheren Schlecker-Filialen Dorfläden zu machen. Erdmannhausen soll als Erstes an den Start gehen. Deshalb muss die Renovierung des Ladens vorangehen. Vor allem die Lampen müssten dringend angebracht werden.

Frank ruft selbst beim Elektriker an. Der Mann hat viele Aufträge, die Frauen würden ihn auch am Sonntag in den Laden lassen. "Es wär geschickt, wenn Sie einfach ja sagen", lockt Frank ihn. "Sie wissen doch: Hier ist echtes Unternehmertum im Gange." Als sie auflegt, lächelt sie zufrieden. "Der kommt."

Dann zieht sie einen Zettel heraus. "Drehpunkt" steht darauf. Das "P" ist grün eingefärbt, von einem Kreis umgeben und gespiegelt. Es ist das Logo für die Läden. "Drehpunkt hat was von Treffpunkt", sagt Frank. "Und es zeigt, dass sich was ändern muss."

Frühestens am 10. November soll der Laden eröffnen. Die Tür steht schon jetzt offen. Nachbarn schauen herein. Manche spendieren sogar Kaffee, erzählen die Frauen. Sie waren im Seniorenheim und haben dort für ihre Neueröffnung geworben. Die alten Leute können in den Laden kommen und ihre Sachen selbst aussuchen. Die Frauen fahren die Produkte dann später mit dem Auto ins Heim. "Jetzt können wir endlich auf Kundenwünsche eingehen", sagt Meinerz.

Mit dem roten Cabrio über die Schwäbische Alb

Christina Frank ist zufrieden. Am Morgen hat sie 10.000 Plastiktüten bestellt. Die Lieferanten haben Waren zugesagt. Kürzlich konnte sie Rewe mit seiner Handelsgenossenschaft "Für Sie" als Partner für den Einkauf gewinnen. Damit kommen die Dorfläden zu wettbewerbsfähigen Konditionen an Waren. "Das war der Durchbruch", sagt Frank.

In Erdmannhausen liegen das Rathaus, ein Bäcker und ein Metzger in Laufweite zum Laden. Direkt gegenüber bietet ein "Gockelmobil" Hähnchen an. Aber wenn die 5000 Einwohner andere Sachen für den täglichen Bedarf nicht mehr im Ort bekommen, dann fahren sie nur noch in die großen Einkaufszentren der Städte, sagt Frank. Dann machen irgendwann auch der Bäcker und der Metzger dicht. "Dann haben wir einen Geisterort. Wer will denn da noch wohnen?"

Frank schaut auf die Uhr. In drei Stunden muss sie auf der Schwäbischen Alb sein. Dort will sie in Stetten am kalten Markt Bürger von einem weiteren Dorfladen überzeugen. Die Gewerkschafterin steigt in ihr rotes Audi-Cabriolet und fährt los.

Seit Juni ruft Frank bei Bürgermeistern an und wirbt dafür, dass sie den Läden zinslose Darlehen zur Verfügung stellen. Manche wollen bis zu 30.000 Euro geben, damit die Nahversorgung erhalten bleibt. Frank hat mit ihren Unterstützern einen Treuhänderverein gegründet, in den Kirchen, Gewerkschaften, Geschäfts- und Privatleute sowie Gemeinden Geld einzahlen können, um die Finanzierung der Dorfläden anzustoßen. 70.000 Euro haben sie schon zusammen. Die Ver.di-Frau verhandelt auch mit Lieferanten und Vermietern. Zehn Läden will sie in den kommenden Monaten auf die Beine stellen.

Allein diese Woche fährt sie zu drei Bürgerversammlungen in Baden-Württemberg. Auch bei der CDU war sie schon und hat dort um Unterstützung für ihr Konzept geworben. Frank selbst ist Mitglied der Linkspartei. Eine sozialistische Gewerkschafterin erklärt den Schwarzen, wie man arbeitslose Verkäuferinnen zu Unternehmerinnen macht.

In der Tat ist es auch ein gesellschaftliches Experiment, das hier abläuft. Verkäuferinnen, die von Schlecker vor allem als Befehlsempfängerinnen gesehen wurden, sollen nun in Eigenverantwortung die Läden führen. Und die Bürger sollen ihren Teil dazu beitragen, dass die kleinen Verkaufsstellen eine Chance haben.

"Stützlis" sollen den Kapitalstock bilden

In Stetten am kalten Markt sind fast 200 Leute in den Versammlungssaal gekommen. An einem Tisch neben der Bühne sitzen Andrea Straub, Karin Beck, Ramona Kunze und Erika Kleiner. Kurz vor der Renovierung ihres Schlecker-Ladens kam die Pleite. Nun wollen sie den neuen Dorfladen gründen. "Unser Laden war eine Top-Verkaufsstelle", sagt Straub.

Als die vier Frauen von dem Ver.di-Dorfladenprojekt hörten, bewarben sie sich sofort. Frank hat den Unternehmensberater Wolfgang Gröll engagiert. Er hilft seit 20 Jahren bei der Gründung von Dorf- und Nachbarschaftsläden. Zusammen gingen sie die Umsatzlisten von Schlecker durch. Nur Filialen mit einem Jahresumsatz von mindestens 500.000 Euro kamen in die Auswahl.

Für jeden Laden soll eine eigene Mini-GmbH gegründet werden. So werden bei Problemen einzelner Läden nicht andere Filialen in die Pleite mitgerissen. Die früheren Schlecker-Verkäuferinnen werden Gesellschafterinnen. Ihre Haftung ist begrenzt, in Erdmannhausen zahlten die Frauen jeweils 100 Euro ein. Eine übergeordnete Holding soll Buchhaltung, Marketing und den Einkauf übernehmen.

Berater Gröll erklärt den Bürgern, was sie für ihren Dorfladen tun müssen: Mindestens 200 "Stützlis"  kaufen. Das sind Wertmünzen zu 50 oder 100 Euro. 70.000 bis 90.000 Euro Kapitalbedarf habe der Dorfladen in Stetten, rechnet der Berater den Bürgern vor. "Ideal wäre es, wenn wir 10.000 Euro mit regionalen Stützlis zusammenbekommen. Das zeigt den Banken, dass Vertrauen da ist." Er setzt auf weiteres Geld, etwa von Ver.di. Und den Rest sollen Banken dann durch Kredite beisteuern.

"Die Damen verkaufen ein Stück Menschlichkeit"

Gröll verspricht faire Preise. "Ihren Stützli können Sie dann in drei Jahren als Warengutschein einlösen". Und wer Teilhaber werde, könne zum Beispiel auch einen Bringservice nutzen. "Diese Damen verkaufen auch ein ganz großes Stück Menschlichkeit", sagt Gröll und deutet zu den vier Verkäuferinnen. Die Zuhörer klatschen.

Nun schwärmen Grölls Helfer aus und verteilen Antragsformulare für die Stützlis. Doch schon nach der Hälfte der Tische gehen die Formulare aus. "Wo kann ich denn diese Stützlis dann kaufen?", ruft eine Frau. Nun schaltet sich der Bürgermeister ein. Er will im Rathaus Anträge auslegen. Und die Verkäuferinnen wollen den alten Läden öffnen und dort Anträge ausgeben. Eine frühere Kundin läuft zu Andrea Straub und nimmt sie in den Arm.

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