Schrottpapiere Skandal bei Goldman? Schaut auf die Deutsche Bank!

Mittelstandsbank IKB (2008): Hat die Deutsche Bank den Zusammenbruch mitausgelöst?
Foto: A3276 Martin Gerten/ dpaIm Windschatten der befreundeten Supermacht Amerika wachsen deutsche Politiker plötzlich über sich hinaus. Sie werden mutig, ja geradezu forsch. Nachdem die US-Börsenaufsicht SEC die Investmentbank Goldman Sachs und einen ihrer führenden Mitarbeiter wegen Betrugs angeklagt hat, überschütten sie nun ihrerseits das Geldhaus mit Kritik.
"Nach einer sorgfältigen Bewertung der Unterlagen werden wir rechtliche Schritte prüfen", fabuliert Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Mehrere Koalitionspolitiker fordern gar eine Abkehr von der wohl mächtigsten und prestigeträchtigsten Investmentbank der Welt. Solange die US-Ermittlungen laufen, müsse die "Zusammenarbeit mit Goldman Sachs auf Eis" gelegt werden, verlangt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt im "Handelsblatt". Und der Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss, Frank Schäffler, plädiert dafür, "die Geschäftsbeziehungen mit der US-Bank ruhen" zu lassen, bis die Vorwürfe geklärt seien.
Sogar der ansonsten recht filzpantoffelige Michael Meister, Fraktionsvize der Union im Deutschen Bundestag, spürt auf einmal Tatendrang: "Es ist nur konsequent, wenn jetzt Schadensersatzansprüche geprüft werden", sagt er. Schließlich steht Goldman Sachs im Verdacht, vor allem ein Unternehmen geschädigt zu haben: die deutsche Mittelstandsbank IKB. Und an der war seinerzeit der Bund "der größte Minderheitsaktionär", so Meister. "Wenn man jetzt Verantwortliche dingfest machen könnte, an die sich Schadensersatzansprüche richten, sollten wir das dringend ausnutzen."
"Es stimmt, wir hatten zeitweise eine andere Marktauffassung"
Tatsächlich geht es bei den Vorwürfen gegen Goldman - auch - um das Verhalten der Bank gegenüber ihrem Kunden IKB. So gesehen sind die Vorwürfe berechtigt. Und auch an der Haltung der Politik gäbe es nichts herumzumäkeln - wenn die Geschichte nicht eine Vorgeschichte hätte. Vor deren Hintergrund aber sind die Forderungen nichts weiter als eine Heuchelei.
Denn auch die Deutsche Bank hat der IKB jene verhängnisvollen Schrottpapiere angedreht, die das Institut in den Untergang trieben - und zwar zu einer Zeit, als die smarten Investmentbanker die Papiere längst aus den eigenen Beständen verkauft hatten, wie Konzernchef Josef Ackermann indirekt zugab. Mehr noch: Die Bank hat sogar auf einen Verfall solcher Papiere gewettet. "Es stimmt, wir hatten zeitweise eine andere Marktauffassung als die IKB", erklärt die Deutsche Bank heute. Gleichzeitig beteuert das Institut jedoch, dass dies für jedermann erkennbar gewesen sei. Genau das bezweifeln viele Finanzexperten.
Vor allem aber hat die Deutsche Bank den wohl unvermeidlichen Zusammenbruch der IKB selbst ausgelöst - und zwar durch einen Anruf von Institutschef Ackermann beim Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Jochen Sanio.
Dem teilte er mit, dass die Deutsche Bank die Kreditlinien an die IKB sperren werde. Beide Männer mussten wissen, dass dies das Ende der IKB bedeuten würde, sollte der Staat kein Rettungspaket auflegen. Insgesamt waren bis Ende 2009 sogar drei Rettungspakete mit einem Volumen von mehr als zehn Milliarden Euro nötig, um das marode Geldhaus vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Der damalige Finanzminister Steinbrück wurde informiert
Schon im März 2008 kam deshalb der renommierte Wirtschaftsstrafrechtler Walter Perron zu dem Schluss: "Das Verhalten von Mitarbeitern der Deutschen Bank gegenüber der IKB kann den Straftatbestand des Betruges verwirklichen." Perron ist C4-Professor in Freiburg und hat einen Standardkommentar zum Strafgesetzbuch mitverfasst, unter anderem zu den Tatbeständen Untreue und Betrug. Und auch der damalige Richter am Bundesgerichtshof, Axel Boetticher, forderte 2008, dass die Vorgänge um den Zusammenbruch der IKB strafrechtlich untersucht werden müssten.
Über all das berichtete der SPIEGEL, und die Fakten waren auch zahlreichen Politikern aus der Unionsfraktion bekannt. Selbst der damalige SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kannte das Gutachten, der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hatte es ihm geschickt.
Doch Steinbrück ließ seine Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl antworten, die sich in dem Schreiben für nicht zuständig erklärte: "Es ist nicht Aufgabe des Bundesministeriums der Finanzen, die Geschäftspraktiken von Banken zu beurteilen." Zuständig sei vielmehr die BaFin, und die habe "unmittelbar mit Ausbruch der Finanzkrise die Analyse, insbesondere des Kursverlaufes und der Umsätze der IKB-Aktien", begonnen.
Ein Strafverfahren gegen die Deutsche Bank gibt es nicht
Die Politik verweilte im sanften Dämmerschlaf, in jenem Schlummer, der es den Banken auch weiterhin so einfach macht, Milliardengewinne auf Kosten des Staates zu scheffeln. Ein Strafverfahren gegen die Deutsche Bank jedenfalls gibt es in der Causa bis heute nicht, weder in Frankfurt noch in Düsseldorf, wie Sprecher der beiden Staatsanwaltschaften bestätigen. Sie kennen auch das Gutachten nicht. Niemand hat es für nötig gehalten, ihnen das Papier zuzusenden.
Und offenbar hat es auch niemand richtig gelesen. Denn auch das Nichtstun kann für die Verantwortlichen gefährlich werden. Mit strafrechtlichen Vorwürfen gehen schließlich Schadensersatzansprüche einher.
Laut Perron könnten sich die Mitglieder des IKB-Vorstands und des Aufsichtsrats sowie die verantwortlichen Köpfe des Bundes und der bundeseigenen KfW-Bank der Untreue schuldig machen - sollten sie die möglicherweise gegen die Deutsche Bank bestehenden Schadensersatzforderungen nicht geltend machen.