Schwächelnder Energieriese Gazprom USA entthronen Erdgaskönig Russland

Rückschlag für die Rohstoffsupermacht: 2009 ist die Fördermenge des russischen Staatskonzerns Gazprom dramatisch zurückgegangen. Zum ersten Mal seit Jahren verliert Moskau seine Position als größter Erdgasförderer der Welt - und ausgerechnet der Rivale Amerika droht Russland abzuhängen.
Gazprom-Pipeline: Der Riese schwächelt

Gazprom-Pipeline: Der Riese schwächelt

Foto: DENIS SINYAKOV/ REUTERS

Im Süden von Moskau, abseits des Zentrums der russischen Hauptstadt, schlägt in einem grauen Wolkenkratzer das Herz eines mächtigen Imperiums. Hier residiert der staatliche Energieriese Gazprom  , die Lieblingsfirma des Kreml - und von hier aus steuert in einem abgedunkelten Schaltraum eine Handvoll Mitarbeiter das weitverzweigte Pipelinenetz des Konzerns. Es ist ein Kontinente umspannendes Reich: Die Röhren verbinden Russlands Fernen Osten, Sibirien und Zentralasien mit Europa. "Russland", hat der Gazpromchef und Vertraute von Wladimir Putin, Alexej Miller, einmal stolz gesagt, "ist die führende Gasmacht der Welt."

Doch das war einmal, der Riese schwächelt.

Im vergangenen Jahr, das geht aus aktuellen Zahlen des russischen Energieministeriums hervor, ist die Gasförderung in Russland dramatisch eingebrochen. 2009 gewannen russische Unternehmen nur noch 582,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas - ein Minus von 12,4 Prozent. Beim nationalen Champion Gazprom sieht es noch schlimmer aus: Um mehr als 16 Prozent schrumpfte die Fördermenge. So wenig wie im vergangenen Jahr hat das Unternehmen noch nie gefördert. Die einstige Dominanz der Firma, vom Kreml gern als Faustpfand für Russlands geopolitische Interessen eingesetzt, wirkt brüchig.

Kostensteigerungen von mehr als 30 Prozent

Zum ersten Mal seit 2002 verliert Russland auch den Titel des größten Gasproduzenten der Welt - und muss ausgerechnet den Rivalen USA vorbeiziehen lassen. 620 Milliarden Kubikmeter Gas förderten die Vereinigten Staaten, vor allem aus neu erschlossenen Lagerstätten in Schiefergesteinen. Zwar verbrauchen die Amerikaner das einheimische Gas vor allem selbst. Trotz der Krise konnten sie jedoch die eigene Produktion steigern und verdrängen damit das sogenannte "Shale Gas" vom US-Markt. Die Flüssiggasimporte werden statt in den USA nun auf den Weltmärkten angeboten und sind damit vor allem in den europäischen Industriestaaten eine preisgünstigere Alternative zu Gazproms Pipelinegas - auch wenn viele Abnehmer in Russland langfristige Verträge mit den Russen haben.

Und das bringt Gazprom in Schwierigkeiten. "Der russische Gasmonopolist ist nicht in der Lage, seine Produktions- und Transportkosten zu kontrollieren", sagt Energieexperte Michail Kortschemkin. Das vergangene Jahr endete für Gazprom "sehr schlecht". Allein im zweiten Quartal 2009 hat Kortschemkin Kostensteigerungen bei Gazprom von mehr als 30 Prozent festgestellt. Hinzu kommen kostspielige Megaprojekte wie die Ostseepipeline, für die der Konzern und seine westlichen Partner bis zu acht Milliarden Euro berappen müssen. Oder das South-Stream-Projekt, mit dem der Kreml die europäische Pipeline Nabucco ausbremsen will.

Für die derzeitige Förderflaute ist jedoch etwas anderes entscheidend: Die Wirtschaftskrise. In Europa ist der Verbrauch von russischem Gas massiv gesunken. Nach Informationen der Zeitung "Kommersant" haben Gazproms europäische Kunden 2009 zehn Prozent weniger Gas abgenommen als vertraglich vereinbart - obwohl sie nach dem Prinzip "take or pay" dafür bezahlen mussten. Allein die krisengebeutelte Ukraine, deren Wirtschaft um 15 Prozent geschrumpft ist, hat ihre Gasimporte von 55 auf 33,5 Milliarden Kubikmeter fast halbiert.

Immer mehr Konkurrenz

Zudem hat Russland derzeit Mühe, seine traditionelle Vormachtstellung als Exporteur von Gas aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens zu verteidigen. Vor allem Turkmenistan, das nach eigenen Angaben über riesige Erdgasreserven verfügt, will seine Ausfuhren diversifizieren und liebäugelt mit dem europäischen Nabucco-Projekt, das Europa unter Umgehung Russlands mit Gas versorgen soll. China hat schon heute direkten Zugang zu Turkmenistans Energie: Mitte Dezember wurde eine 1800 Kilometer lange Pipeline in der Hauptstadt Aschgabat eröffnet. Auch die Staatschefs der Nachbarstaaten Kasachstan und Usbekistan nahmen an der feierlichen Zeremonie teil - auch sie wollen mit China ins Geschäft kommen.

Zwar verfügt Russland selbst noch immer über die mit Abstand größten Erdgasreserven, sie übersteigen die der USA um ein Vielfaches. Doch die Vorkommen liegen zunehmend in tieferen Schichten oder kaum zugänglichen Regionen wie der Barentssee - ihre Erschließung ist also teuer.

Den Rückstand auf die USA, glauben Marktbeobachter, wird Russland unter diesen Umständen kaum wieder aufholen müssen. "Es ist unausweichlich", sagte Noel Tomnay, Chef der Gasconsulting Firma Wood Mackenzie der Zeitung "Moscow Times", "dass die USA in den nächsten Jahren ein größerer Produzent sein werden."

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