Sex-Party bei Ergo-Tochter Die etwas andere Versicherung

Ergo-Zentrale in Düsseldorf: Einer der größten Branchenvertreter
Foto:Horst Ossinger/ dpa
Hamburg - Einige Versicherungsmanager dürften sich nun freuen. Nicht öffentlich. Aber im Stillen unter ihresgleichen. "Wenn das mal nicht nach hinten losgeht", hatten Branchenvertreter bereits im vergangenen Sommer geraunt. Damals begann die Ergo , sich als "Wir sind ganz anders"-Versicherung zu präsentieren - irgendwie besser, ehrlicher und verständnisvoller als die Konkurrenz. "Versichern heißt verstehen", lautet der Slogan des Konzerns, den es schon lange gibt, der aber erst seit 2010 auch unter der Marke Ergo Produkte verkauft.
In Werbespots und auf Plakaten tritt ein lässig-nett-kerliger Frauenversteher und Versicherungsnichtversteher auf, der so aussieht, wie sich Werber aus Berlin junge Hauptstadtmenschen vorstellen. Er fordert: "Ich will versichert werden. Nicht verunsichert." Weiter heißt es: Es gibt 82 Millionen Gründe für Deutschlands neue große Versicherung. Wir freuen uns auf Ihren."
Die Sache mit dem Andersseinwollen könnte für die Ergo nun tatsächlich nach hinten losgehen. Ihr ist ungefähr das Dümmste widerfahren, das einem Konzern passieren kann: Zwischen Marketing-Anspruch und Firmenwirklichkeit klafft eine beträchtliche Lücke. Und jeder (potentielle) Kunde kann diese leicht erkennen.
Was ist passiert? Der zum Ergo-Konzern gehörende Strukturvertrieb der Hamburg-Mannheimer HMI lud 2007 seine besten 100 Drücker nach Budapest ein. Für die akquisestärksten Mitarbeiter gab es in einer angemieteten Therme Prostituierte mitsamt Himmelbetten zur freien Verfügung. Das Vertretermagazin schwärmte anschließend von einem "Mordsspaß".
Anders ist nun anders als gedacht
Nun ist es so, dass das "Wir sind ganz anders"-Versprechen der Ergo bereits zweifelhaft war, bevor der im Branchenjargon "Incentive" genannte Ausflug in die ungarische Hauptstadt bekannt wurde. Ob die Versicherung - selbst wenn sie es wollte - tatsächlich kundenfreundlicher sein kann als die Konkurrenz, ist zumindest fraglich. Schließlich lebt die Ergo wie die gesamte Branche vor allem von Provisionen, die Mitarbeiter müssen also möglichst viele Produkte verticken. Man hat ja bislang nur wenig von Versicherungsvertretern gehört, die Kunden während des Beratungsgesprächs erklären, was sie alles nicht brauchen.
Und ob die Sex-Party in der Branche tatsächlich so einzigartig ist, wie es in der aktuellen Aufregung erscheint, lässt sich schwer nachweisen. Wahrscheinlich gilt: Sie ist weder der Normalfall noch ein Einzelfall. Zumal es auch im 21. Jahrhundert - Frauenrechte hin, Unternehmensleitlinien her - durchaus noch vorkommt, dass erfolgreiche Geschäftsabschlüsse nicht nur mit Champagner, sondern auch auf der Reeperbahn oder in vergleichbaren Stadtbezirken mit entsprechender Begleitung gefeiert werden.
Das eigentliche Problem von Ergo liegt also weniger darin, dass es bei weit mehr als 50.000 Mitarbeitern und rund 20 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr Verfehlungen Einzelner gab. Das Risiko für die Versicherung, die auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen ist, besteht im Saubermann-Image, das sie sich zulegen wollte - und immer noch will. Zwar nicht mehr so spießig wie die Hamburg-Mannheimer mit dem ach so freundlichen Herrn Kaiser, sondern jung, dynamisch, verständnisvoll mit dem Ergo-Boy aus Berlin. Das Unternehmen will anders sein. Und, so muss man das wohl sagen, dieses "Anders" wirkt nun anders als gedacht.
Wer hohe Ansprüche definiert, muss diese auch einhalten. Sonst ist die Glaubwürdigkeit in Gefahr. Und es kann in der Kommunikation holprig werden. Wie groß die Sorge bei der Ergo vor dem möglichen Imageschaden ist, lässt sich an der Reaktion des Konzerns erkennen. In Krisensituationen flüchten sich Pressestellen besonders gern in Allgemeinplätze und Schönrederei.
Katholisches Verhalten
Ganz anders der Ergo-Pressesprecher: "Das ist eine peinliche Geschichte, keine Frage. Niemand hier ist erfreut darüber." Er wagt zwar einen kleinen Exkurs über die Intensität des Wettbewerbs beim Vertrieb und darüber, dass man Leuten auch Anreize geben müsse - allerdings nur, um gleich hinterherzuschieben: "Trotzdem ist so etwas nicht tolerabel."
Ob er es denn nicht für möglich halte, dass es solche Events auch bei der Konkurrenz gebe? Antwort: "Selbst wenn, macht es das in unserem Fall nicht besser." Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben inzwischen Richtlinien verabschiedet, die ähnliche Himmelbett-Exkursionen für die Zukunft verbieten. Außerdem prüft es noch, ob es in der Vergangenheit vergleichbare Vorkommnisse gab.
Die Ergo verhält sich also durchaus katholisch: Schön beichten, eigene Fehler eingestehen, sie für die Zukunft brav ausschließen. Und schon kann das Leben weitergehen. Das ist aus Sicht des Unternehmens unter den verfügbaren Alternativen die erträglichste Variante. Und durchaus eine Taktik mit Aussicht auf Erfolg. Heute ist die Aufregung groß, in den nächsten Tagen wird sie bereits nachlassen - und schon bald haben die Kunden das meiste vergessen.
So war es bei vergleichbaren Skandalen in der Vergangenheit auch. Es gibt wohl nur wenige Kunden, die noch heute auf den Kauf eines Volkswagens verzichten, weil sich Manager und Betriebsräte einst in Bordellen vergnügten. Und kaum jemand dürfte Osram-Lampen nur deshalb im Regal liegen lassen, weil der Mutterkonzern Siemens in eine Schmiergeldaffäre verwickelt war.