Führungswechsel Cromme steht Siemens' Neuanfang im Weg

Einstimmig wurde Joe Kaeser zum neuen Siemens-Chef gewählt. Ein Triumph für Aufsichtsratschef Gerhard Cromme: Der gewiefte Strippenzieher hat seine Kontrahenten besiegt - vorerst. Soll ein echter Neuanfang bei dem Industriekonzern gelingen, müsste auch er gehen.
Gerhard Cromme: Außergewöhnliches Stehvermögen

Gerhard Cromme: Außergewöhnliches Stehvermögen

Foto: ? Wolfgang Rattay / Reuters/ REUTERS

München/Hamburg - Im Frühjahr 2011 schlossen Gerhard Cromme und Peter Löscher einen Pakt. Genug Geld hatten beide schon. Trotzdem vereinbarten sie, ab 2012 weitere fünf Jahre beim Siemens-Konzern zu bleiben. Löscher als Vorstandschef und Cromme als sein oberster Kontrolleur. Nebenbei wollte der begnadete Strippenzieher natürlich auch sein Mandat als ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef weiterführen. Wenige Monate später, Ende Juli, verlängerte Cromme den Arbeitsvertrag des gebürtigen Österreichers vorzeitig um fünf Jahre bis 2017. Löscher dankte es dem ehemaligen Stahlmanager mit Loyalität und Respekt.

Seit diesem Mittwoch um 11.30 Uhr ist es mit der Männerfreundschaft endgültig vorbei. Da erschien die offizielle Mitteilung, dass Löscher nicht länger Siemens-Chef ist und seinen Stuhl für Finanzchef Joe Kaeser räumen muss. Ein Aufstand gegen die von Cromme inszenierte handstreichartige Entmachtung seines einstigen Hoffnungsträgers blieb aus - obwohl mit dem Ex-Deutsche-Bank-Chef und dem Allianz-Vorstandsvorsitzenden Michael Diekmann Schwergewichte im Gremium mit dem Gedanken spielten, nicht mitzustimmen.

Wie verletzt der geschasste Löscher sein muss, ließ er nach dem Abtritt durchblicken, als er explizit jenen Mitgliedern des Aufsichtsrats dankte, die ihn "gerade auch in den vergangenen Monaten ausdrücklich unterstützt" und sich in mehreren Gesprächen mit ihm seinen Verbleib an der Spitze des Unternehmens gewünscht hätten. Cromme dürfte sicher nicht gemeint gewesen sein.

Eines steht allerdings schon jetzt fest: Auch wenn der Chefaufseher einen Sieg über seine Kritiker davongetragen hat - es war ein Pyrrhussieg. Denn für einen echten Neuanfang bei Siemens fehlt noch der zweite wichtige Schritt: Crommes eigener Abgang. Der scheint nur noch eine Frage der Zeit.

Es war Cromme gewesen, der den ehemaligen Pharmamanager Löscher nach einem Tipp aus dem Aufsichtsrat 2007 als Erlöser von der Schmiergeldaffäre geholt hatte. Für diese Aufgabe war der polyglotte Manager auch der Richtige. Siemens überstand die Affäre günstig, und der neue Chef warb in aller Welt für garantiert korruptionsfreie Produkte Made in Germany. Irgendwann hätte Löscher allerdings zusammen mit Cromme die nächste Stufe zünden und definieren müssen, wie der Konzern sich in Zukunft aufstellen will, wo er wachsen und wo er eher schrumpfen soll.

Er konsolidierte die Stahlindustrie quasi im Alleingang

Im Spätsommer 2012 muss es Cromme gedämmert haben, dass er für diese Aufgabe wohl den falschen Mann erwischt hatte. Dabei begann da gerade erst die zweite Amtszeit Löschers. Auch Cromme selbst geriet bei seinem Zweitjob als ThyssenKrupp-Chefkontrolleur immer stärker unter Druck. Katastrophales Missmanagement unter seiner Aufsicht hatten dem Konzern existenzbedrohende Milliardenverluste beschert. Dennoch wollte Cromme noch im vergangenen Dezember im SPIEGEL-Gespräch von einem Rücktritt nichts wissen .

Außergewöhnliches Stehvermögen hatte der stets verbindlich auftretende Cromme seit jeher bewiesen. Als er 1986 zum Stahlhersteller Krupp wechselte, befand sich die Branche auf dem Höhepunkt einer bereits seit vielen Jahren andauernden Krise. Es gab zu viele und zu viele veraltete Hütten. Cromme reagierte knallhart: Sein Beschluss, das traditionsreiche Werk Duisburg-Rheinhausen mit rund 6000 Beschäftigten zu schließen, entfachte im Winter 1987/88 einen fünfmonatigen Arbeitskampf, den längsten und heftigsten in der deutschen Nachkriegszeit. Die aufgebrachten Stahlwerker bedrohten Cromme, bewarfen ihn mit Eiern und hielten vor seinem Privathaus monatelang Mahnwachen. Cromme ließ sich nicht beirren.

Bis Ende der neunziger Jahre konsolidierte er die bundesdeutsche Stahlindustrie quasi im Alleingang: Krupp schluckte erst Hoesch, dann den wesentlich größeren Konkurrenten Thyssen. Cromme blieb dabei stets an der Spitze. Auch als er 2001 auf den Chefposten des ThyssenKrupp-Aufsichtsrats wechselte, gestaltete er eher, als dass er kontrollierte, mehr und mehr auch über das Unternehmen heraus. Cromme stieg scheinbar unaufhaltsam zum Drahtzieher der deutschen Wirtschaft auf und saß in zahlreichen Aufsichtsräten wichtiger Dax-Konzerne. Die damalige rot-grüne Bundesregierung betraute ihn 2001 mit dem Vorsitz der Corporate-Governance-Kommission. Cromme konnte seinen Managerkollegen damit maßgeblich diktieren, wie sie ihr Unternehmen gut und anständig zu führen hätten.

Es mangelt an geeigneten Kandidaten für Nachfolge

Aber ausgerechnet hässliche Affären um überteuerte Reisen, diverse Razzien wegen Kartellvorwürfen und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen brachten den Granden der alten Deutschland AG bei ThyssenKrupp Anfang März dieses Jahres schließlich selbst zu Fall. Nun hatte er noch mehr Zeit, über vergangene Fehler bei ThyssenKrupp zu sinnieren und zu ventilieren, wie ähnliches bei Siemens zu vermeiden ist.

Mit dem erzwungen Rückzug Löschers hat Cromme seine Fehleinschätzung nun korrigiert - und Siemens vermutlich einen großen Dienst erwiesen, auch wenn die Umsetzung mehr als holprig war. Doch sein eigener unabdingbarer Abgang dürfte kurzfristig an einem weiteren Problem scheitern, das er ebenfalls selbst verursacht hat: dem Mangel an geeigneten Kandidaten.

Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist für die Arbeitnehmervertreter ein rotes Tuch. Auch mit dem ehemaligen Bayer-Chef Werner Wenning können sie sich nicht so recht anfreunden, außerdem hat der schon genug andere Mandate. Bleibt noch Allianz-Chef Michael Diekmann. Doch der hat mit seinem eigenen Unternehmen genug zu tun. Als möglicher Cromme-Nachfolger fällt deshalb immer wieder der Name von Linde-Chef Wolfgang Reitzle. Er hört im kommenden Frühjahr auf, müsste dann aber erst einmal in den Siemens-Aufsichtsrat einziehen und den Konzern besser kennenlernen, bevor er den Vorsitz übernehmen kann.

Die nächste Siemens-Hauptversammlung findet allerdings schon Ende Januar 2014 statt. Eine halbwegs geordnete Amtsübergabe an ihn wäre deshalb bis dahin nur schwer möglich. Gut denkbar also, dass Cromme plant, bis zur Hauptversammlung Anfang 2015 zu bleiben. Dann wäre er fast 72, macht aber nix. Eigens für ihn war die Altersgrenze von 70 Jahren bei Siemens bereits im Oktober 2011 angehoben worden.

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