Siemens und Alstom Das ICE-Manöver

TGV und ICE: Siemens-Chef bläst zum Gegenangriff
Foto: Marijan Murat/ picture alliance / dpaAuf dem Schlachtfeld der Unternehmensübernahmen herrscht die Sprache des Militärs. Der US-Industriekonzern General Electric (GE) plant offenbar den Kauf des französischen Konkurrenten Alstom - und die Pariser Zeitung "Le Monde" fühlt sich bei dem überraschenden Vorstoß prompt an "un Blitzkrieg" erinnert.
GE will Alstom mutmaßlich zerschlagen, für die Amerikaner ist vor allem die Energiesparte interessant, weniger das Geschäft mit den Schienenfahrzeugen wie dem Hochgeschwindigkeitszug TGV. Das eigentliche Ziel des Angriffs sitzt jedoch in München: Siemens, der weltweit schärfste Wettbewerber von GE. Der könnte durch GEs geballte Macht im Energiegeschäft unter Druck geraten.
Um die Attacke zurückzuschlagen, wagt Siemens-Chef Joe Kaeser jetzt selbst einen überraschenden Vorstoß und signalisiert Alstom "Gesprächsbereitschaft" über eine engere Kooperation.
In einem Brief an Alstom-Chef Patrick Kron schlug Siemens-Chef Joe Kaeser vor, Siemens könnte Alstoms Energiegeschäft übernehmen. Im Gegenzug wäre Siemens bereit, Teile seiner Mobilitätssparte zur Verfügung zu stellen, heißt es in dem Brief nach Angaben aus Siemens-Kreisen weiter. Die Sparte umfasst unter anderem Siemens' ICE-Züge, weitere Fern- und Nahverkehrszüge sowie Verkehrsmanagementsysteme. Auf diese Weise könnten Siemens und Alstom große "europäische Champions" im Energie- und im Zuggeschäft generieren, warb der Siemens-Chef in dem Brief für seinen Vorschlag. Alstom stellt unter anderem die TGV-Hochgeschwindigkeitszüge für die französische Staatsbahn SNCF her und beliefert den Kraftwerksbetreiber EdF.
Die Idee eines solchen Tausches gibt es schon seit vielen Jahren. Sie galt aber bisher wegen der womöglich marktbeherrschenden Stellungen und wegen politischer Widerstände in Frankreich als undurchführbar. Zumindest die Politik in Frankreich könnte Siemens nun aber auf seiner Seite haben: Die französische Regierung fürchtet eine mögliche Offerte des US-Rivalen General Electric für Alstoms Energiegeschäft und hat Siemens deshalb um ein Gegenangebot gebeten.
Typisches Zeichen von Boomzeiten
Angreifen, abwehren, zerschlagen, verteidigen: Solche ökonomischen Kriegsspiele sind ein typisches Zeichen von Boomzeiten. Wenn die Gewinne sprudeln, dann wagen sich Top-Manager aus ihren Stellungen und versuchen sich an Zukäufen. Der Vierfrontenkrieg zwischen Siemens Alstom, GE und der französischen Regierung ist da nur Teil eines größeren Trends.
Anfang April gaben Holcim und Lafarge bekannt, zum weltgrößten Zementkonzern zusammengehen zu wollen. Die Medikamentenhersteller Novartis und GlaxoSmithKline tauschen Sparten in Milliardenwert. Laut Daten der Nachrichtenagentur Bloomberg schwoll das Volumen der geplanten Übernahmen in den ersten drei Monaten 2014 - inklusive gescheiterter Angebote - auf mehr als 750 Milliarden Dollar (580 Milliarden Euro) an. Das ist der höchste Wert für ein Quartal seit knapp sieben Jahren, also kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise.
Die Wirtschaftswelt durchweht wieder der schneidige Geist der Nullerjahre, als das Übernehmen, Eingliedern, Abstoßen für Top-Manager das vornehmste Feld der Ehre war. Volkswagen schluckte damals Porsche - und beinahe wäre es umgekehrt ausgegangen. Bayer verleibte sich Schering ein.
Heute wie damals spielt es eine wichtige Rolle, dass die Unternehmen schlicht nicht wissen, wohin mit ihren Gewinnen. An die Aktionäre ausschütten? Wäre doch schade um das schöne Geld! In eigene Forschung und Entwicklung investieren? Ein mühsames Geschäft, das sich bestenfalls in ein paar Jahren auszahlt. Wohingegen nichts einen Unternehmenslenker so schnell in die Wirtschaftsgeschichte eingehen lässt wie eine forciert gerittene Übernahmeattacke.
Die prall gefüllte Kriegskasse dürfte auch bei GEs Frankreich-Feldzug eine wesentliche Rolle spielen. Knapp 60 Milliarden Dollar hat das Unternehmen im Ausland gehortet. Bei einer Rückführung in die USA müssten diese Gewinne nachträglich versteuert werden. Allein die fiktive Steuerersparnis reicht aus, damit sich die kolportierten 13 Milliarden Euro für die Alstom-Übernahme rechnen - zumindest auf dem Papier.
Denn der Wunsch nach Steuerersparnis ist ein ebenso schlechter strategischer Ratgeber wie die Sehnsucht nach Management-Ruhm. Und deshalb sollten Aktionäre wie Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen die Übernahmepläne ihrer Konzernspitze mit einer gesunden Portion Skepsis betrachten. Sicher, große Übernahmen können sinnvoll sein, wenn sich Unternehmen mit ihnen...
- ...den Zugang zu Märkten sichern, in denen sie bislang nicht vertreten waren,
- ...sich technologisches Wissen einkaufen, das ihnen in ihrem Geschäft hilft,
- ...durch größere Produktionsmengen Rationalisierungsgewinne erzielen.
Doch oft spielt ein weiterer Faktor die Hauptrolle: Man will sich mit der Übernahme Marktmacht kaufen, will einen lästigen Wettbeswerber ausschalten und dadurch höhere Preise für die eigenen Produkte durchsetzen. Dieses Streben geht regelmäßig nach hinten los.
Entweder erkennen die Kartellbehörden, dass sich da gefährlich hohe Marktanteile zusammenballen und zwingen das Unternehmen, einen Teil davon wieder zu verkaufen. Oder aber der hohe Marktanteil macht das Unternehmen träge und kundenfeindlich und erlaubt über kurz oder lang neuen Wettbewerbern, in den Markt vorzustoßen. Regelmäßig unterschätzen Top-Manager auch die Integrations-Grabenkämpfe, die sich nach einer großen Übernahme innerhalb des Konzerns auftun. Sie führen ebenfalls dazu, dass Kunden und Produkte vernachlässigt werden.
Eine Zustimmung der Kartellbehörden wäre kaum vorstellbar
Wie sieht die Übernahmeschlacht um Alstom im Lichte dieser Argumente aus? Bei der Energietechnik könnten die Franzosen tatsächlich helfen, Lücken in der Produktpalette von GE zu schließen, etwa bei Offshore-Windparks. Doch zugleich ist Alstom in hohem Maß von Aufträgen abhängig, die direkt oder indirekt vom französischen Staat kommen. Eine Übernahme gegen den Willen der Regierung in Paris kann sich GE da kaum erlauben.
Bei Siemens wiederum würde die Übernahme der Energie-Aktivitäten von Alstom vor allem dazu dienen, die eigene Marktmacht zu stärken - Lücken im Produktportfolio gibt es hier kaum. Doch genau deshalb ist es auch kaum vorstellbar, dass Kaesers Plan vom Spartentausch ohne Weiteres den Segen der Kartellbehörden findet. Im Eisenbahnbereich hätte Alstom nach dem Tausch mit Siemens faktisch ein Monopol auf Hochgeschwindigkeitszüge in Europa.