Blitzanalyse zum Börsengang Riskante Wette auf den nächsten großen Snap

Der Messenger-Dienst Snapchat hat einen fulminanten Börsenstart hingelegt. Anleger rissen sich um die Aktie. Doch das Unternehmen hat bisher noch keinen Dollar verdient. Droht die nächste Tech-Blase?
Snap-Gründer Evan Spiegel (Mitte) und Bobby Murphy mit NYSE-Chef Thomas Farley (l.)

Snap-Gründer Evan Spiegel (Mitte) und Bobby Murphy mit NYSE-Chef Thomas Farley (l.)

Foto: LUCAS JACKSON/ REUTERS

Snapchat-Gründer Evan Spiegel zeigt den Fernsehkameras sein strahlendes Lächeln, die rechte Hand hat er lässig in der Hosentasche seines Maßanzuges vergraben. Dann drückt er auf den goldenen Knopf der Börsenklingel, die den Handel an der New Yorker Börse einläutet. Sein Co-Gründer Bobby Murphy schwingt mehrmals die Faust und lacht.

Wenige Stunden später zeigt sich, dass die Vorfreude aus Sicht der Unternehmenschefs berechtigt war. Die Aktie des Snapchat-Betreibers Snap ist bei ihrer Premiere an der Wall Street regelrecht durchgestartet. Die Papiere des Messaging-Dienstes schossen im Vergleich zum am Vortag festgelegten Preis um bis zu 50 Prozent in die Höhe. "Das ist ein Traumstart für Snap", sagte ein Broker direkt nach dem Handelsstart dem Fernsehsender "CNN". Es ist lange her, dass man die New Yorker Börse so im Rausch gesehen hat.

Tatsächlich ist es der größte Börsengang eines US-Tech-Unternehmens seit dem Mega-Börsengang von Facebook vor fünf Jahren. Der globale Tech-Hype erreicht damit die nächste Stufe: Es geht ein Unternehmen an die Börse, das noch keinen einzigen Dollar Gewinn gemacht hat - und die Investoren greifen trotzdem gierig zu. Die Banken, die den Börsengang begleiteten, hätten problemlos das Zehn bis Zwölffache an Snap-Aktien verkaufen können, heißt es. Die Nachfrage nach den Snap-Papieren war riesig.

Doch die Investoren blenden dabei die Unternehmenskennzahlen aus. Wer Aktien kauft, geht in Wahrheit eine hochspekulative Wette darauf ein, dass Snap mit seinem Fotodienst Snapchat das nächste große Ding in der Welt der sozialen Medien ist.

Snap kommt bei seinem Börsendebüt auf eine Bewertung von rund 34 Milliarden Dollar. Aber ein soziales Medium für flüchtige Fotonachrichten und lustige Filter soll fast so viel wert sein wie der Sportartikelhersteller Adidas? Ernsthaft?

Skeptisch machen die Zahlen aus Snaps Börsenprospekt :

  • Das Unternehmen hat im Jahr 2016 einen Verlust von einer halben Milliarde Dollar gemacht. Damit verbrennt das Start-up derzeit mehr Geld, als es Umsätze macht.
  • Die Nutzer-Wachstumsrate ist eingebrochen. Während die Anzahl der täglichen Nutzer im zweiten Quartal 2016 noch um 17 Prozent wuchs, waren es im Schlussquartal 2016 nur noch 3,2 Prozent.
  • Außerdem heißt in den Papieren: "Es ist möglich, dass die Profitabilität nicht erreicht wird."

Facebook stand bei seinem Börsengang im Jahr 2012 deutlich solider da: Es konnte vorm Börsenstart bereits einen Gewinn von knapp einer Milliarde Dollar vorweisen. Von solch einem Profit ist Snap derzeit weit entfernt.

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Anleitung in Bildern: So funktioniert Snapchat

Die Lage ist sogar noch absurder: Anleger konnten nur Aktien ohne jedes Stimmrecht kaufen. Das heißt: Sie bekommen Anteile am Unternehmen, haben aber keinen Einfluss auf operative Entscheidungen des Unternehmens. Für Kleinanleger mag das egal sein, doch dass große, kapitalstarke Fondsgesellschaften solche Aktien kaufen, ist ungewöhnlich.

"Das spricht für eine Blase. Es gibt keinen vernünftigen Wert, und die Investoren tragen das gesamte Risiko", sagte Stephen Isaacs, Aufsichtsratsmitglied bei der Fondsgesellschaft Alvine Capital zu dem TV-Sender "CNBC". Den Anlegern bleibe nur die Hoffnung, dass Unternehmenschef Spiegel die richtigen Entscheidungen treffen wird.

Gut, alles halb so schlimm, könnte man sagen. An der Börse wird nun mal die Zukunft gehandelt. Investoren setzen eben darauf, dass Snap mit seiner revolutionären Idee - mit anderen Nutzern sich von selbst löschende Fotos auszutauschen - den Markt für soziale Medien völlig neu ordnen wird. Snap könnte noch viele weitere Millionen von Nutzern hinzugewinnen, mit denen sich in Zukunft eine Menge Geld verdienen lässt. Nichts liebt die Werbebranche so sehr, wie den Zugang zur jungen Zielgruppe, die Snapchat wie kein zweites soziales Netzwerk versteht.

Zudem geht es Snap wie vielen anderen Tech-Unternehmen: Viele haben in ihren Anfängen viel Geld verbrannt und sind dann zu Schwergewichten an der Börse geworden. Unternehmen wie Facebook und Amazon haben es vorgemacht. Warum soll das nicht auch Snap in ein paar Jahren gelingen? So eine Entwicklung braucht nun mal Zeit.

Doch es gibt einen weiteren Grund, an diesem Ausgang der Geschichte zu zweifeln. Denn das Unternehmen droht derzeit von seinem größten Konkurrenten zermalmt zu werden. Facebook-Chef Mark Zuckerberg ließ die Story-Funktion - die Kernfunktion von Snapchat, bei der sich Fotos und Videos kreativ bearbeiten und anschließend in einer sich von selbst löschenden Slideshow zusammenstellen lassen - in seine beiden Apps Instagram und Whatsapp integrieren.

Damit kopiert Facebook eine Funktion, die Snapchat schon vor Jahren erfunden hatte. Nie zuvor ist ein Tech-Unternehmen an die Börse gegangen, dessen zentrale Idee von seinem größten Konkurrenten zwei Wochen zuvor dreist abgekupfert worden ist.

Für Daniel Kröger, Fondsmanager bei der Frankfurter Fondsgesellschaft Acatis, kommt deshalb Snaps Börsengang fast schon zu spät. "Das Unternehmen geht ausgerechnet in einer Phase an die Börse, in der es massiv bedroht ist", sagt er. Die Beispiele StudiVZ und MySpace zeigen, wie schnell innovative Plattformen in der Tech-Branche durch neue innovativere Produkte ersetzt werden können. Gerade Jugendliche gelten nicht als loyale Kundengruppe.

Und Zuckerbergs Attacke trifft Snap empfindlich: Die Facebook-Tochter Instagram erreicht allein mit ihrer Stories-Funktion schon jetzt 150 Millionen Nutzer pro Tag - fast genau so viele wie die gesamte Snapchat-App pro Tag hat. Inzwischen seien viele Snapchat-Kunden zu Instagram gewechselt, sagen Brancheninsider. Das Kundenwachstum ist erlahmt.

Natürlich ist vorstellbar, dass Snap-Chef Evan Spiegel auch in den nächsten Jahren der Trendsetter bleibt und seinen Nutzern weiterhin coole, innovative Features präsentiert, die keine andere App hat. Doch das wird Zuckerberg nicht davon abhalten, auch in Zukunft erfolgreiche Funktionen der Konkurrenz einfach in seine eigenen Produkte zu integrieren.

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