Amazon und die Mindeststeuer Hey Alexa, wo bleibt das Geld?

Kampagne für höhere Besteuerung von Superreichen (»Besteuer mich, wenn du kannst«) mit dem Konterfei des Amazon-Gründers Jeff Bezos in Washington
Foto: Jonathan Ernst / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Es kommt selten vor, dass deutsche Finanzminister sich öffentlich an einzelne Unternehmen wenden. Doch Amtsinhaber Olaf Scholz ist aktuell auch Kanzlerkandidat der SPD – und damit etwas offensiver unterwegs. Zu Wochenbeginn veröffentlichte der Parteivorstand ein Bild von Scholz zusammen mit den Worten »Sorry Alexa, Amazon wird endlich global Steuern bezahlen«.
Hintergrund der selbstbewussten Ansage: Am Wochenende hatten sich die G7-Staaten hinter das Konzept einer internationalen Steuerreform für Unternehmen gestellt. Entscheidender Bestandteil ist eine Mindeststeuer, die Scholz bereits vor drei Jahren vorgeschlagen hatte. Sie soll das weltweite Verschieben von Gewinnen eindämmen, durch das multinationale Unternehmen wie Amazon bislang ihre Steuerzahlungen minimieren.
Über die letzten drei Jahre hat @OlafScholz international verhandelt - und jetzt mit Frankreich und der neuen US-Regierung einen historischen Durchbruch erzielt: Die G7-Staaten haben sich auf eine Mindeststeuer von 15% geeinigt. Endlich Schluss mit Steueroasen! pic.twitter.com/5nfQePRIZN
— SPD Parteivorstand 🇪🇺 (@spdde) June 7, 2021
Auch wenn der G7-Beschluss einen Durchbruch markiert, könnte sich Scholz' Jubel als verfrüht erweisen. Zum einen müssen bis zu einem Gipfel der G20-Staaten Anfang Juli noch die Schwellenländer von der Reform überzeugt werden. Hier zeichnen sich besonders mit China schwierige Verhandlungen ab. Zum anderen ist unklar, ob ein entscheidender Teil der Reform für den US-Handelsriesen überhaupt gilt. »Es ist gut möglich, dass Amazon davon nicht erfasst wird«, sagt Dominika Langenmayr, Steuerexpertin an der Katholischen Universität Eichstätt.
Die Mindeststeuer ist nur eine von zwei Säulen der geplanten Reform unter Führung der Industrieländerorganisation OECD. Die andere bildet eine neue Abgabe, die rund hundert Unternehmen mit mindestens 20 Milliarden Dollar Jahresumsatz weltweit abführen sollen. Wie die Einnahmen aus dieser Abgabe verteilt werden, richtet sich nach Verkäufen in einzelnen Ländern – und nicht wie bislang üblich nach dem Sitz der Betriebsstätten. Die Marktstaaten, also jene Länder, in denen die Verkäufe anfallen, sollen laut dem G7-Beschluss mindestens ein Fünftel jener Gewinne erhalten, die eine Rendite von zehn Prozent überschreiten.
»Man merkt, dass es ein stark ausgehandelter Kompromiss ist«, sagt Ökonomin Langenmayr über die Formel, die als Alternative zu reinen Digitalsteuern entstand. Solche meist am Umsatz orientierten Abgaben hatten Länder wie Frankreich bereits im Alleingang eingeführt und damit die USA verärgert, die einen Angriff auf die heimische Digitalbranche witterten.
Mit der jetzigen Formel könnte Amazon hingegen unter Umständen gar nicht mehr Mitglied im Klub der 100 besonders besteuerten Konzerne sein. Denn der US-Konzern machte im vergangenen Jahr zwar sagenhafte 386 Milliarden Dollar Umsatz. Doch seine Rendite lag lediglich bei 6,3 Prozent – also unter der nun von den G7-Staaten vorgegebenen Schwelle. Muss Amazon, dessen Gründer Jeff Bezos laut neuen Enthüllungen über mehrere Jahre auf einen durchschnittlichen Steuersatz von 0,98 Prozent kam, also am Ende gar nicht mehr zahlen?
Ganz so weit wird es nicht kommen. Denn die geplante Mindeststeuer, also die erste Säule, würde für den Konzern so oder so gelten. »Amazon muss auf jeden Fall mehr Steuern auf den Gewinn zahlen«, so Langenmayr. »Die landen aber vor allem in den USA, nicht in Europa.« Der Grund: Zahlt Amazon irgendwo im Ausland weniger als den global vereinbarten Mindeststeuersatz, kann im Land des Firmensitzes nachkassiert werden – und der ist in Seattle.
Damit auch die Europäer mehr Steuern als bislang von Amazon bekommen, dürften sie auf den Ansatz der sogenannten Segmentierung dringen. Dabei können einzelne Teile eines Unternehmens separat besteuert werden, wenn sie für sich die Schwellen von Umsatz und Profitabilität überschreiten. Bei Amazon gilt das fürs Geschäft mit anderen Händlern, die die Plattform für ihre Verkäufe nutzen.
Der Segmentierungsansatz soll nur in Ausnahmefällen genutzt werden. Er lässt aber ahnen, wie schwierig die Verhandlungen über technische Details der neuen Steuerregeln werden. Schon heute rechnen Konzerne mithilfe von Steuerkanzleien und Beratungsgesellschaften ihre Gewinne klein. Nach einer Einigung auf die globale Steuerreform dürften sie dabei die neuen Schwellenwerte besonders im Blick haben.
Sind 15 Prozent genug?
Bei der Mindeststeuer sind ebenfalls noch viele Fragen offen. So besteuert Estland Gewinne im Gegensatz zu anderen Ländern erst dann, wenn sie ausgeschüttet werden. Wie weit im Voraus darf eine solche Besteuerung für die Mindeststeuer berücksichtigt werden? Auch das werden die Unterhändler klären müssen.
Unklar ist nicht zuletzt, wie hoch der Mindeststeuersatz am Ende sein wird. Die G7-Minister fordern 15 Prozent. Damit liegen sie deutlich unter den 21 Prozent, die US-Präsident Biden als nationale Mindeststeuer angepeilt hat, und nur leicht über den 12,5 Prozent, die das europäische Niedrigsteuerland Irland derzeit erhebt. Nichtregierungsorganisationen kritisierten den G7-Beschluss deshalb als unzureichend.
Allerdings sollen die 15 Prozent sich auf die effektive Besteuerung beziehen – also das, was Unternehmen am Ende tatsächlich dem Fiskus überweisen. Diese Quote liegt in Irland und vielen anderen Ländern bislang aufgrund vieler Sonderregeln weit unter dem nominalen Satz. »Ich glaube, dass es gut ist, beim Mindeststeuersatz tiefer anzusetzen«, sagt Expertin Langenmayr. »Denn viele Länder kommen von null Prozent.«